(Anmerkung: Dieser Artikel wurde 1996 in Dimensionen 2000 veröffentlicht. Er versucht zu zeigen, dass eine Reihe der Probleme Afrikas mit einer wirtschaftlich und politisch relativ ungünstigen Bevölkerungsentwicklung und -verteilung zusammenhängen könnten. Zum Downloaden als PDF hier)

Erwin Ebermann[1]

I.            Situation und Entwicklung Subsahara-Afrikas 1996

Das Entwicklungsniveau der Nationen wird auch heute noch weitgehend am Bruttosozialprodukt/Kopf gemessen. Dessen bekannte Schwächen (nach Stiftung Entwicklung & Frieden 1993/94:54) sind u.a.:

· Nichteinrechnung wesentlicher Elemente der Lebensqualität (Gesundheits-, Bildungs- und Ernährungsniveau);

· Nichteinrechnung der ökologischen Kosten des Wachstums;

· Nichtberücksichtigung der tatsächlichen Kaufkraft;

· Nichtberücksichtigung der sozialen Ungleichheit innerhalb von Staaten;

· unzureichende Berücksichtigung marktferner Wirtschaftstätigkeiten.

Diese führten 1990 dazu, daß die UNDP zur Messung des Entwicklungsniveaus den Human Development Index (HDI) vorschlug. Er umfaßt drei ”wesentliche Elemente des Lebens”: Lebensdauer, Bildung und einen ”angemessenen Lebensstandard”. Mit dem HDI gemessen, ergibt sich sogar ein relativ positives Bild der Entwicklung Afrikas in den letzten Jahrzehnten:

 

    • Bildung: 1960 waren 27% der Afrikaner alphabetisiert, 1992 54% (UNDP 1995:214);

    • Lebensdauer: Die Kindersterblichkeit sank von 165/1000 im Jahre 1960 auf 97 im Jahr 1992; die Lebenserwartung stieg gleichzeitig um fast 30% von 40,1 auf 51,3 Jahre (UNDP 1995:214);

    • Lebensstandard: Die Kaufkraft (PPP[2]) stieg in Afrika südlich der Sahara (ASS) von US$ 934 im Jahr 1960 auf 1346 im Jahr 1992 (UNDP 1995:163).

Angesichts dieser Erfolge erstaunt es zunächst, daß die afrikanische Entwicklung von außen, aber auch von innen, zunehmend negativ beschrieben wird:

            Jacques Giri spricht 1986 von ”L’Afrique en panne”; der Spiegel (Jänner 1994) fragt sich, ob nicht Afrika eine neuerliche Kolonialisation nötig habe; Neudeck (1985) nennt sein Buch ”Afrika. Kontinent ohne Hoffnung?”.

            Was führt, trotz der Steigerung des HDI-Indexes, zu diesem Afro-Pessimismus, der auch von vielen wohlmeinenden Kommentatoren geteilt wird? So schreibt die auf Entwicklung spezialisierte Zeitschrift E + Z (10/1992): ”Eine verlorene Dekade, und eine weitere, so sieht es aus, wird ihr folgen. Afrika ist der Kontinent, der sich nicht entwickelt.”

Zwei wesentliche Gründe sind für diesen Pessimismus vorstellbar:

· Afrika entwickelt sich, aber wesentlich langsamer als andere Weltregionen; dies bedeutet angesichts des weltweiten Wettbewerbs, denn auch das ist Global Village, einen Rückschritt;

· Afrika entwickelt sich, zum Teil aber mit Hypotheken für die Zukunft, d.h. mit nicht dauerhaft tragfähigen Strukturen.

I.1.         Die langsamere/stagnierende Entwicklung Afrikas

Die langsamere Entwicklung Afrikas zeigt sich an mehreren Indikatoren, z.B.:

· Rückgang des Bruttosozialprodukts/Kopf: Während die Entwicklungsländer von 1980-1992 einen jährlichen Durchschnittszuwachs des BNPs/Kopf von 4% aufwiesen, sank es in Afrika um 1,8% jährlich (UNDP 1995:194);

· Rückgang des Anteils am Weltbruttosozialprodukt von 2% (1970) auf 1,2% 1993 (Stiftung Entwicklung und Frieden 1996:158);

· Wirtschaftliche Marginalisierung Afrikas: Der Anteil Afrikas an den Weltexporten sank von 2,4% (1980) auf 1% (1989) (Nohlen & Nuscheler 1993a:22).

· Kaum Erfolge in der Industrialisierung: Der Index der Manufacturing Production lag (gemessen am Jahr 1985) 1970 bei 54% und 1990 bei 123%. 1965 arbeiteten in Ostasien wie in Subsahara-Afrika 9% in der Industrie, 1990-92 in Ostasien aber bereits 15%, in ASS hingegen nur mehr 8% (UNDP 1995:216);

· Ungenügende Erfolge bei der Arbeitsplatzschaffung. Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs von 1960-1973 um 2,1%, von 1973-87 um 2,3% jährlich (UNDP 1993:35). Dies liegt deutlich unter dem Bevölkerungswachstum von 2,8% (1960-1992, UNDP 1995:187) und dem zusätzlichen Bedarf durch die Land-Stadt-Abwanderung. Dazu ist die intern wie extern bedingte Konzentration auf Rohstoffexporte (und damit von weniger Know-How-intensiven Produkten) mitverantwortlich für den Anstieg der Arbeitslosigkeit mit steigender Qualifikation. Afrika fehlen längst nicht mehr hochqualifizierte Menschen, sondern die für ihre Beschäftigung nötigen Mittel:

Arbeitslosigkeit nach Ausbildungsqualität (UNDP 1993:38)
Land Jahr no education primary secondary tertiary
Ghana 1988 3,4 7,6 13,5 14,7
Kenya 1986 13,5 15,6 22,2 5,4
Simbabwe 1987 1,6 6,8 11,6
Côte d’Ivoire 1985 1,0 5,2 21,7 13,7

Der Vergleich Afrika-Asien ist kein intellektuelles Spiel, sondern schlägt sich alltäglich in vielen Entscheidungen, meist gegen Afrika, nieder. Ob sich Unternehmen dafür entscheiden, eher im Fernen Osten oder im ehemaligen Ostblock zu investieren; ob Afrikaner ihr Kapital auf westlichen Banken anlegen; ob Afrikaner eher fremde als afrikanische Konsumgüter kaufen; ob die Eliten sich bei Krankheiten lieber in Europa behandeln lassen; ob im Ausland Studierende nach dem Studium nicht heimkehren, in all diesen Fällen handelt es sich um eine Art Abstimmung mit den Füßen, die zeigt, daß Afrika in Gefahr ist, den Anschluß zu verlieren und nicht an Attraktivität gewinnt, sondern einbüßt.

I.2.         Die nicht tragfähige/strukturell bedenkliche Entwicklung Afrikas

Eine Reihe von Indikatoren widerspiegeln Strukturen, die in sich potentiell problematisch für die afrikanische Entwicklung sind:

· Nach wie vor geringe Diversifikation nach Produkten und Handelspartnern: Der 90%ige Rohstoffanteil an den Exporterträgen (Nohlen & Nuscheler 1993a:25) und die geringe Diversifikation der afrikanischen Exporte nach Partnern und Produkten[3] macht afrikanische Ökonomien gegenüber Kursverlusten der großteils agrarischen Exportgüter sehr verwundbar. Nach dem Fraserreport 1990/IV (zitiert in Nohlen & Nuscheler 1993a:24) war das Einkommen ASS aus Rohstoffexporten 1988 real um 26% niedriger als 1980 und 35% niedriger als 1970. Damit hängt der Verfall der Terms of Trade zuungusten Afrikas eng zusammen. Verglichen mit 1987 lagen die Terms of Trade für die Entwicklungsländer bei 99%, die Industrieländern bei 104 und für Afrika bei nur 88% (UNDP 1995:81), wesentlich bedingt durch die ungenügende Diversifikation der afrikanischen Ökonomien und ihre Rohstofforientierung.

· Finanzielle Aushöhlung der Staats- und Wirtschaftsfinanzen:

    – Der Schuldendienst Afrikas lag 1970 bei 4,7% der Exporteinnahmen, 1993 bereits bei 21,3%. (UNDP 1993:175).

    – Intensive Kapitalflucht:[4] US$ 148 Milliarden[5] = 90% des BNPs Afrikas 1991;

    – Gleichzeitig stagnieren die ausländischen Investitionen.[6] Auch eine stärkere Abschröpfung der lokalen Ökonomien ist schwer möglich, weil die Steuerquote am BNP 1990 bereits über dem weltweiten Schnitt lag (Steueranteil am BNP 1990 24%, weltweit 23% (UNDP 1993:187).

· Rückgang der Selbsternährungsfähigkeit: Die Nahrungsmittelproduktion/Kopf nahm von 1982 auf 1990 um 4,6% ab (Nohlen & Nuscheler 1993a:21), verursacht durch Bodenerosion, den z.T. dramatischen Rückgang der Bodenfruchtbarkeit (z.B. um 54% im Kordofan zwischen 1961 und 1973, Timberlake 1988:56) durch menschlichen Einfluß, mitunter Cash-Crop-Anbau, die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten (Konsum importierter Lebensmittel wie Weizenprodukte) und Konflikte. Dies führte zu einer wachsenden Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. 1969/71 wurden 6,5%, 1988/90 bereits 10,2% der Lebensmittel importiert (UNDP 1993:214). Die FAO schätzte 1993, daß Afrika unter normalen Umständen etwa 1600-1700 kcal/Kopf statt notwendiger 2100 kcal produziert, d.h. 80% seines Nahrungsmittelbedarfs produziert (FAO 1993:93).

· Ökologische Krisenerscheinungen:

    – Ackerbauland: Jährlich büßt Afrika 0,9% seines Ackerlandes ein (UNDP 1995:217), meist durch Überausbeutung (z.B. ungenügende Brachezeiten bei Absenz von Düngemittelzufuhr);

    – Wälder: Afrika büßt jährlich 0,9% seiner Wälder ein, die nur ungenügend wiederaufgeforstet werden: jährliche Abholzung in Nigeria zwischen 1980-89 400.000 ha, Wiederaufforstung 26.000 ha; an der Côte d’Ivoire 510.000 zerstört, 6.000 aufgeforstet (UNDP 1995:207)

I.3.         Gesellschaftlich/soziale/politische Entwicklung angesichts langsamer Entwicklung und nicht tragfähiger Strukturen

· Zunehmende (vorübergehende?) Demokratisierung: Der Wegfall des Nah-Ost-Konflikts führte in den meisten Ländern Subsahara-Afrikas zu einer politischen Liberalisierung und häufig zu Mehrparteiensystemen.[7] Unabhängig davon, ob diese Systeme afrikanischen Kontexten angepaßt sind, ist es fraglich, ob Demokratien unbeschadet die Durststrecken wirtschaftlichen Desasters und der Massenarbeitslosigkeit überstehen können. Erste krisenhafte Anzeichen treten bereits auf, z.B. in der Machtergreifung durch Militärs in Gambia, Nigeria (Nichtanerkennung der Wahlergebnisse) und Niger in den letzten Jahren, sowie zunehmender Repression auch in Ländern, welche einst als besonders ”liberal” galten (wie z.B. Kenya oder die Côte d’Ivoire).

· Anstieg der Kriminalität: Zunehmende Verelendung/Verzweiflung weiter Bevölkerungskreise und wachsende Einkommensunterschiede zwischen arm und reich führten zu einem deutlichen Kriminalitätsanstieg. Johannesburg, Lagos, Abidjan oder Nairobi gelten heute als äußerst unsicher.

· Konflikte: Während verschiedene langjährige Konflikte abflauten und möglicherweise einer dauerhafteren politischen Lösung zugeführt wurden (z.B. Mosambik, Erithrea, Angola), intensivierten sich andere (Ruanda, Burundi, Sudan usw.). Gerade die Krise Ruandas und Burundis scheint auf nicht tragfähige Entwicklungen zurückzugehen (Bodenerosion, großer Bevölkerungsdruck etc).[8] Soziale Probleme verschärfen religiöse Konflikte in einer bisher nicht gekannten Weise.[9]

· Retribalisierung: Der Verteilungskampf um die karger gewordenen Ressourcen führte oft zu einer Zunahme der ethnisch definierten Gruppensolidarität, die z.T. auch im Wahlkampf eingesetzt wird (z.B. Côte d’Ivoire, Nigeria).

I.4.         Erklärungen für die relative Stagnation

Was führte zu dieser relativen Stagnation Afrikas? Was erschwert es Afrika, mit den Erfordernissen des weltweiten Wettbewerbs mitzuhalten? Lag die Schuld ausschließlich bei den Europäern durch ihre brutalen Eingriffe wie Sklaverei und Kolonialismus (Rodney: How Europe underdevelopped Africa), ist es die Schuld der oft korrupten wie diktatorischen Regime oder eines Entwicklungsunwillens, wie Kabou schreibt? Läßt ein unfairer Welthandel der Peripherie kaum Chancen, wie die inzwischen überholte Dependenztheorie annimmt?[10]

            Sklaverei und Kolonialismus waren sicherlich in vielen Bereichen zerstörend und traumatisierend. Aber warum entwickelt sich der fernöstliche Raum, für den z.T. ähnliche Erfahrungen bzw. weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen galten, so gänzlich anders und wesentlich dynamischer? Als Afrikanist kommt man nicht herum, für eine Erklärung der afrikanischen Probleme einen Seitenblick nach Asien zu werfen und zu untersuchen, welche strukturellen Besonderheiten der beiden Großregionen diese extrem unterschiedlichen Reaktionen auf z.T. ähnliche Herausforderungen mitbeeinflußt haben konnten.

Als derartige bereits vorkolonial vorliegende Unterschiede bieten sich an:

  Subsahara-Afrika Ost- und SO-Asien
Bevölkerungsdichte meist sehr gering meist relativ hoch
Bedeutung von Schriftkultur nicht breitflächig angewandt nahezu überall funktionell
vorkolon. Staatenbildung nur in wenigen Gebieten lange Tradition in meisten Gebieten
ethn. Struktur der Bevölkerung meist kein extrem dominierendes Volk meist extrem dominierendes Volk
Innovationen vorwiegend im sozialen, musikalischen Bereich viele im technischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich
Landwirtschaft vorwiegend Brachfeldwirtschaft vorwiegend Intensivfeldwirtschaft

Diese Kontraste zwischen Subsahara-Afrika und dem fernöstlichen Raum können z.T. mit sehr unterschiedlichen demographischen Ausgangslagen erklärt werden. Ich werde in der Folge versuchen, darzustellen, daß Afrika vorkolonial wegen seiner im Vergleich zu anderen Weltgegenden meist sehr niedrigen Bevölkerungsdichte gerade in den Bereichen relativ wenig innovieren mußte, die für die Konkurrenzfähigkeit in der heutigen Weltökonomie von besonderer Bedeutung sind (wie Wirtschaft, Technik, Politik). Es wird dabei zu zeigen sein, daß Innovationsfreudigkeit nicht Merkmal einer Kultur, sondern der sozio-ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen ist. Der Bereich und die Geschwindigkeit der Innovationen wird dabei meist durch äußere Zwänge determiniert. Ich werde mitunter versuchen, die Hypothesen statistisch zu untermauern, wo Kennzahlen vorkommen, werden die ihnen zugrundeliegenden Daten im Anhang: Vergleich von Indikatoren Afrikas Südl. d. Sahara und Ost- und Südostasiens auf Seite 22 und die mit ihnen direkt zusammenhängenden statistischen Kennzahlen auf Seite 23 präsentiert.

II.          Gedanken zu einem ehemals dünnbesiedelten Kontinent – ein Essai

Die Frage, warum sich in einigen Weltregionen öfters Großreiche als in anderen entwickelten, beschäftgte viele Denker.[11] Schon Heraklith sah vor 2500 Jahren den Krieg am Anfang von Staaten, als ”Vater aller Dinge”. Kriege führen aber nicht automatisch zu Staaten und größeren Einheiten. Die Theorie Carnairos (1973:160-175) der ”umweltbedingten Abgegrenztheit” versucht zu zeigen, wann Krieg zum Auslöser von Staatenbildung wird. Carnairo meint, daß erfolgreiche vorkoloniale Staatengründungen stets zwei Merkmale aufwiesen: sie waren mit Ackerland versehen[12] und/oder nach außen abgegrenzt (durch Berge, Meere, Wüsten etc.). Im dünnbesiedelten Amazonasgebiet konnten unterlegene Grup­pen einer Unterwerfung und Tributzahlung durch Flucht in unbesiedelte Gebiete entkommen. Dadurch verstreuten sich die Siedlungseinheiten auf das ganze Amazonasgebiet. In den ”engen Tälern der Küste Perus” war es anders:

”Auch die Dörfer strebten danach, sich zu vergrößern. Da sich selbständige Dörfer, wenn sie wachsen, aller Wahrscheinlichkeit nach spalten, solange Land für die Splittergemeinden vorhanden ist, spalteten sich diese Dörfer ohne Zweifel von Zeit zu Zeit … bis alles ohne Schwierigkeiten bebaubare Land im Tal bewirtschaftet wurde. An diesem Punkt begannen zwei Änderungen in der landwirtschaftlichen Technik in Erscheinung zu treten: Die Bebauung von Land, das bereits bewirtschaftet wurde, wurde intensiviert und neues, vorher ungebrauchtes Land, wurde zur Bebauung nutzbar gemacht durch das Anlegen von Terrassen und durch Bewässerung. Doch die Geschwindigkeit, mit der neues bebaubares Land geschaffen wurde, konnte nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt halten. Sogar ehe die Landknappheit so akut wurde, daß die Bewässerung systematisch durchgeführt zu werden begann, kämpften ohne Zweifel die Dörfer bereits miteinander um Land … Mit steigendem Bevölkerungsdruck auf das Land wechselte der Hauptanlaß für Kriege jedoch von dem Willen nach Rache zur Notwendigkeit, Land in Besitz zu nehmen … In Peru stand diese Alternative [der Flucht, Anm. des Verf.] den Bewohnern besiegter Dörfer nicht mehr offen. Die Berge, die Wüste und das Meer – von den benachbarten Dörfern ganz zu schweigen – verhinderten auf allen Seiten die Flucht …  Der Preis war die politische Unterordnung unter den Sieger. Diese Unterordnung hatte zumindest die Zahlung von Tribut oder Steuerabgaben in Naturalien zur Folge, die das besiegte Dorf nur aufbringen konnte, in dem es mehr Nahrungsmittel als zuvor erzeugte. Aber die Unterordnung zog manchmal einen weitergehenden Verlust der Autonomie auf seiten des besiegten Dorfes nach sich – nämlich die Eingliederung in eine politische Einheit, die von dem Sieger beherrscht wurde …  Der Weg der Entwicklung in Peru [war] unverkennbar: Er begann bei vielen, einfachen, verstreuten und autonomen Gemeinden und endete bei einem einzigen, riesigen, komplexen und zentralisierten Großreich” [dem Inka-Reich, Anm. d. Verf.] Carneiro (1973:161ff).

Carnairo macht deutlich, daß die Begrenztheit des Lebensraums von fundamentaler Bedeutung für die Herausbildung größerer politischer Systeme ist. Paul Kennedy (1991:13) zeigt darüber hinaus anhand des Aufstiegs Europas ab dem 15. Jh., wie die Konkurrenzsituation einander bedrohender Reiche militärische, wirtschaftliche und technische Innovationen begünstigt:

”Zu Beginn des 16. Jh. war es keineswegs offensichtlich, daß diese zuletzt genannte Region [Europa, Anm. d. Verf.] dazu bestimmt war, alle anderen in den Schatten zu stellen. Aber wie imposant und wohlorganisiert manche dieser orientalischen Reiche auch im Vergleich mit Europa schienen, sie litten alle unter einer zentralisierten Autorität, die auf einer Uniformität von religiöser und gesellschaftlicher Praxis bestand – und dies nicht nur auf dem Gebiet der Staatsreligion, sondern auch auf dem kommerziellen Sektor und bei der Waffenentwicklung. Das Fehlen einer solchen höchsten Autorität in Europa und die kriegerischen Rivalitäten zwischen den verschiedenen Königreichen und Stadtstaaten stimulierten eine stetige Suche nach militärischen Verbesserungen, die in fruchtbarer Wechselwirkung zu den neueren technologischen und kommerziellen Fortschritten standen. In den wettbewerbsorientierten europäischen Gesellschaften gab es weniger Hindernisse für Neuerungen als anderswo, und so bewegten sie sich auf einer ständig ansteigenden Spirale des wirtschaftlichen Wachstums und der erhöhten militärischen Effektivität, die sie im Laufe der Zeit über alle Regionen der Welt hinausragen lassen sollte.”

II.1.       Die vorkoloniale Situation Subsahara-Afrikas

Vor einigen Überlegungen möchte ich nochmals einige Punkte zusammenfassen, die mir als Vergleich zwischen Afrika und dem Fernen Osten wichtig scheinen:

Die meisten Gebiete Afrikas waren bis vor kurzem noch sehr dünn besiedelt. Die Bevölkerung Afrikas um 1900 wird auf 120-130 Millionen Menschen, also 4 Personen/km², geschätzt. Auch wenn 1/3 der Landfläche aus Wüsten besteht, 1/3 unsicher beregnet wird, so bleibt doch eine sehr geringe Dichte/Nutzf­läche, die eine Reihe von Ursachen hat, wie die Existenz einiger tropischer Krankheiten (Malaria, Schlafkrankheit, Sichelzellenanämie etc.), den Verlust von Millionen Menschen durch den Sklavenhandel usw. Schon vor dem Sklavenhandel war Subsahara-Afrika aber wahrscheinlich nur dünn besiedelt; nur selten, wie in Südostnigeria, fanden sich größere Bevölkerungsdichten. Tetzlaff sieht die vorkoloniale Phase Afrikas folgendermaßen (1991:24):[13]

”In der ersten Phase – der vorkolonialen Zeit – leben diverse Ethnien in einer politischen Region oder einem Kulturraum relativ selbständig neben – und miteinander. Sicherlich gab es auch hier Kriege um Weideplätze, um Rinder, Arbeitskräfte, um Prestige und territoriale Erweiterung usw.; als das Grundmuster der inter-ethnischen Kommunikation kann aber wohl der mehr oder weniger freiwillige Tausch von komplementär genutzten Gütern angesehen werden. Geltende Tauschprinzipien waren der beiderseitige Nutzen, Reziprozität, Freiwilligkeit und direkte Verhandlung bei Konflikten, ohne Einschaltung dritter neutraler (gar ausländischer) politischer Instanzen. Jede ethnisch-regionale Gruppe, soweit politisch organisiert und nicht von Nachbarn unterworfen, handelte als Gemeinwesen in relativer Autonomie; sie konnte sich durch eigene Arbeit reproduzieren. Auch wenn Fernhandel (mit Gold, Salz, Stoffen, Früchten) eine Rolle spielte – zur Bereicherung der Führungsclans -, war die für heute typische Abhängigkeit von der Verwertung der heimischen Arbeit durch einen Verkauf auf dem Weltmarkt noch nicht gegeben.”

Bevölkerungszuwachs scheint auch im vorkolonialen Afrika Hegemonienbildung begünstigt zu haben, wie der arabische Historiker und Reisende des Mittelalters, Ibn Khaldun, die Expansion des Reichs Mali (13.-15. Jh.) beschreibt:

”Plus tard la population de Melli prit un tel accroissement qu’elle se rendit maîtresse de toute cette région et subjugua les Noirs des contrées voisines” (Ibn Khaldun 1969/II/110).

Als die Europäer gegen Ende des letzten Jahrhunderts den Großteil Afrikas kolonialisierten, standen sie nur wenigen Hegemonien, aber vielen relativ kleinen politischen Strukturen gegenüber. Afrikas Eroberung wurde durch zwei Jahrhunderte des Zerfalls im 17. Und 18. Jh. wesentlich begünstigt, doch schon vorher war die Zahl der Großreiche relativ gering.[14] Einige Großreiche kamen und gingen und hinterließen kaum Spuren in späteren Reichen, wie z.B. das Reich Zimbabwe. Andere zeigten mehr Kontinuität, das Reich Gana vom 7-11. Jh. ging ins Reich Mali im 13.-15. Jh. über und dieses wieder im Reich der Songhai auf (15.-17.Jh.). Der von Küstenkulturen wie den Asante oder Fon betriebene Sklavenhandel schwächte die Reiche zusätzlich und trug zu ihrem Zerfall bei. Großreiche wie Urbanisation[15] waren vorwiegend auf Westafrika konzentriert.

            Die geringe vorkoloniale Bevölkerungsdichte Afrikas hatte im Lichte der Theorien Carnairos und Kennedys damit folgende, heute negative, Auswirkungen:

· die Staaten- bzw. Hegemonienbildung wurde wesentlich erschwert, weil bedrohte Völker Raum fanden, sich einer Unterwerfung durch Flucht zu entziehen;

· Großreiche traten eher sukzessive als gleichzeitig im gleichen Raum auf, was wegen der fehlenden Konkurrenz die Notwendigkeit zur Innovation in Waffentechnik, Wirtschaft und Technologie erheblich verringerte.

II.2.       Politisch-historische Einflüsse geringer Bevölkerungsdichten

Die relativ geringe Notwendigkeit und Möglichkeit der Herausbildung von Hegemonien und der Innovation in verschiedenen Bereichen wie der Waffentechnik begünstigte destruktive externe Einflüsse und erschwerte die nachkoloniale politische Entwicklung, wie am Beispiel des Einflusses des Mangels an Hegemonien auf verschiedene wichtige Epochen der afrikanischen Geschichte gezeigt wird:

A.              Mangel an Hegemonien und Sklavenhandel

Der Sklavenhandel kostete Afrika bis zu 80 Millionen Menschen und hemmte seine Entwicklung beträchtlich. Er wurde vermutlich erleichtert durch:

· Mangel an Identifikation mit versklavten Völkern: Die weitgehende Absenz von Hegemonien führte durch den Mangel gemeinsam gestalteter Geschichte zu nur geringer Identifikation mit Nachbarvölkern, die deshalb leichter als Sklaven verkauft werden konnten. Es dürfte weltweit relativ einzigartig sein, daß Menschen größerer kultureller und oft auch sprachlicher Nähe an Menschen ganz anderer Kultur verkauft wurden;

· Kaum Schutz vor Versklavung durch fehlende Hegemonien: Die meist kleinen Nachbarvölker, die Opfer der Sklavenjagd wurden, lebten häufig in einem „no man’s land“, insofern sie von keiner Hegemonie gegen die Sklavenjäger geschützt wurden;

· Die Schwäche des Manufakturbereichs in Afrika: Menschen mit auswechselbaren Know-how sind leichter ersetzbar und werden dadurch eher als Sklaven verkauft. Auch hier wirkte sich die traditionelle Rolle Afrikas als Rohstoff-Lieferant verheerend aus.

B.              Mangel an Hegemonien und Kolonialisierung

Die Europäer konnten Afrika relativ leicht erobern, weil ihnen einerseits wenige und kaum jemals geeinte Großreiche gegenüberstanden, die aufgrund mangelnder innerafrikanischer Konkurrenz waffentechnisch unterlegen und z.T. auch noch durch Sklavenhandel bzw. innere Konflikte geschwächt waren. Zur Zeit der Berliner Kongo-Konfe­renz 1884/85, bei der die Aufteilung Afrikas beschlossen wurde, war erst etwa 1/10 Afrikas kolonisiert. In nur 15 Jahren wurde der Rest des Kontinents erobert, eine historisch wohl einmalige Geschwindigkeit, die nur mit der fehlenden politischen Einigung und Einheit des Kontinents erklärbar ist.

C.              Mangel an Hegemonien und postkoloniale Staatenbildung

Hegemonien bieten erhöhte Reisesicherheit und fördern die Berufsspezialisierung durch die Vergrößerung der Märkte. Dies begünstigt die Mobilität des Einzelnen, die Entstehung städtischer und ländlicher Zentren, die Herausbildung größerer (Verkehrs-)Sprachen und als Folge all dieser Faktoren eine stärkere ethnische Durchmischung. Der Mangel Afrikas an Hegemonien ist sicherlich mitverantwortlich für seinen Reichtum an verschiedenen Volksgruppen.

            Bei der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 wurden die Richtlinien für die Aufteilung Afrikas festgelegt. Daraus ergaben sich koloniale Verwaltungseinheiten, deren Grenzen oft Völker auseinanderrissen. Diese kolonialen Strukturen gingen meist nahtlos in den postkolonialen Staaten auf.

            Als die Europäer kamen, fanden sie wenige Hegemonien vor, auf die sie ihre Verwaltungsstrukturen stützen hätten können, als sie, meist nach 60-70 Jahren, wieder gingen, waren die von ihnen besetzten Gebiete noch nicht zu Staaten geformt, mit welchen sich die Bürger identifizieren konnten.[16]

            Die OAU (Organization of African Unity) beschloß 1963 bei ihrer ersten Tagung, an den kolonialen Grenzen aus Gründen der Stabilität festzuhalten und keine Neuordnung Afrikas anzustreben. Wäre es möglich gewesen, großteils ethnisch homogene und gleichzeitig größere Verwaltungseinheiten zu schaffen, mit welchen sich die Bevölkerung voll identifizieren hätte können?

            Nur in wenigen afrikanischen Großregionen findet sich eine ethnisch homogene Bevölkerung wieder, wie sie für den Fernen Osten typisch ist. Die meisten Länder Afrikas sind von mehreren relativ gleichstarken Völkern gezeichnet.

            Selbst dort, wo scheinbar eine größere ethnische Homogenität zu existieren scheint, ist sie oft trügerisch. Die Einheit afrikanischer Völker zeigte sich, z.B. bei den Somalis, oft nur in einer Abgrenzung nach außen, nicht aber in einer Einigung nach innen. Die Luo in Kenia oder die Dinka im Sudan verstanden sich erst ab der Kolonialzeit als Einheit, vorher nannten sie sich sogar unterschiedlich. Die etwa 100.000 Samo im nördlichen Burkina Faso sprechen 4-5 verschiedene Sprachen, waren historisch niemals geeint und lagen bis zur Kolonialzeit in ständigen Fehden miteinander.[17] Hätte man hier einen Staat mit 100.000 Einwohnern oder deren vier mit 25.000 gründen sollen? Es fällt schwer, sich Lösungen vorzustellen, die gleichermaßen wirtschaftliche (Größe bzw. Binnenmarkt) wie politische Überlebensfähigkeit (Akzeptanz) geboten hätten. Einige mittelgroße Gebilde wären vorstellbar gewesen. Die Reiche Dahomey, Benin, Buganda, die Hausa-Staaten, das Reich der Amharen, das Reich der Asante etc. hätten vielleicht als Nationalstaaten gegründet werden können. Der Großteil Afrikas hätte aber aus hunderten Kleinststaaten bestanden, die anfangs wahrscheinlich geringere politische, dafür größere wirtschaftliche Krisen gehabt hätten, die später wiederum zu politischen geworden wären. Da die vorkolonialen Grenzen zwischen den Völkern oft äußerst ungenau gezogen waren, wären bei wirtschaftlich nicht überlebensfähigen Kleinststaaten sicherlich öfters Grenzkonflikte um Ressourcen in strittigen Landstrichen ausgebrochen.

            Somalias Grenzkriege mit Äthiopien um die von Somalis bewohnte Ogaden-Provinz sind ein Beispiel für einen durch koloniale Grenzziehung geförderten Konflikt. Der Bürgerkrieg der letzten Jahre ist aber eher durch das Fehlen vorkolonialer landesweiter Autoritäten und Verwaltungsstrukturen bedingt[18].

            Fällt relativ große ethnische Homogenität mit rezenten Hegemonien zusammen, scheinen die Probleme der Staatenwerdung, wie in Swaziland,[19] geringer zu sein. Selbst die Aufteilung von Völkern auf verschiedene Staaten muß nicht zwingend zu ethnischen Konflikten führen. Die Maninka leben in verschiedenen Staaten Westafrikas, oft beiderseits einer Grenze (Mali/Côte d’Ivoire; Mali/Senegal; Mali/Guinea). Dennoch war ihre Aufteilung kaum ein Problem, was mit ihrer Akzeptanz in diesen Staaten zusammenhängen könnte. Ethnische Konflikte scheinen dort vermehrt aufzutreten, wo ”zerrissene” Völker nicht das Gefühl genügender politischer/wirtschaft­licher Mitbestimmung haben, wie z.B. bei Tuareg-Gruppen in Mali, Niger etc. Dies hängt aber wohl mit der Fähigkeit einer lokalen Verwaltung zusammen, die Landesvölker in annähernd gleicher Weise zu beteiligen. Eine vorbildliche Volksgruppenpolitik betrieb z.B. die Côte d’Ivoire Houphouët-Boignys, die die 60 Landesvölker relativ ausgewogen an der Macht beteiligte.

II.3.       Bevölkerung und Politik im modernen Afrika

A.              Die Fragilität der neugebildeten Staaten

Schon vor den ersten Staatsstreichen in Afrika wies Finer auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsgrad der politischen Kultur im Sinne der ”Anhänglichkeit” (attachement) der Bevölkerung an die Verfassungsinstitutionen und der Wahrscheinlichkeit von Putschversuchen (zitiert in Nuscheler & Ziemer 1980:132) hin. Die mangelnde Identifikation der Bürger Afrikas mit ihren Staaten und ihren Führern schlug sich in zahlreichen Grenzkonflikten, Bürgerkriegen, Militärcoups, Repression u.a. nieder. Allein zwischen 1965 und 1991 fanden 152 gelungene oder versuchte Staatsstreiche in ASS statt. Im Gegensatz zum Fernen Osten (Korrelation: -0,40) gibt es keinen meßbaren Zusammenhang zwischen ethnischer Inhomogenität der Staaten und der Wahrscheinlichkeit von Putschversuchen. Dies könnte durch den Mangel an vorkolonialen Hegemonien, auch in den ethnisch homogeneren afrikanischen Ländern, bedingt sein.

            Andererseits gibt es in Afrika einen deutlich geringen Zusammenhang zwischen der Höhe des BNPs und einer abnehmenden Wahrscheinlichkeit von Umsturzversuchen (r=-0,21) als in Asien (r=-0,61). Während im Fernen Osten größere Staaten deutlich weniger unter Putsch­gefahr leiden (r=-0,40, sie sind homogener, haben eine größeres BNP/Kopf, sind dichter besiedelt als kleine Staaten), sind große Länder Afrikas sogar minimal gefährdeter (r=0,06, große Staaten Afrikas sind ethnisch inhomogener, haben ein geringeres BNP/Kopf und sind weniger dicht besiedelt).

B.              Die unbeseelten Staaten ohne Checks and Balances

Viele der nachkolonial gegründeten Staaten Afrikas existierten zuerst nur als Ideen, aber nicht in beseelter Form. Die geringe Identifikation mit diesen Kunstgebilden zeigte sich häufig in mangelnden Verantwortungsgefühl von Seiten sowohl vieler Regierender (die den Staat ausplünderten) wie auch vieler Regierter (die keine Rechenschaft forderten). Tetzlaff (1991:23) schreibt dazu:

”Der ’soft state‘ Afrikas ist zum einen durch Mangel an Berechenbarkeit und Disziplin in allen politischen Geschäften gekennzeichnet und zum andern durch chronischen Mangel an öffentlich verfügbarem Know-how und Ressourcen zur Durchsetzung von Autorität. Gesetze und Verordnungen werden ignoriert (ohne Folgen für die Gesetzesbrecher), bürokratische Prozesse werden von inkompetenter politischer Seite gestört, Beamte werden dadurch in ihrem Berufsethos verletzt und demotiviert, die Verwendungskontrolle öffentlicher Fonds findet nicht statt”.

Der Mangel an Identifikation mag die passive Tolerierung der Plünderung des Staates erleichtert haben[20]. Führer wie Mobutu oder Houphouët-Boigny riefen ihren Mitbürger wörtlich zu: ”Enrichissez-vouz!” (Berei­chert Euch!). ”L’état, c’est pas moi!” könnte man in Abwandlung eines geflügelten Wortes sagen. Die kargen Staatsressourcen wurden oft offen für persönliche Bereicherung verwendet, wie Mobutu ohne spürbares Schuldgefühl gesteht:[21]

”Quand je devais partir en voyage, je disais à mon conseilleur que j’avais besoin de 1 million de dollars. Le conseiller allait dire au Premier ministre de faire débloquer 2 millions de dollars. Le Premier ministre disait au ministre des Finances de faire sortir 3 millions de dollars. Le ministre des Finances donnait l’ordre au gouverneur de la Banque centrale de lui donner 4 millions de dollars. Le gouverneur de la banque sortait 5 millions de dollars. Et on me remettrait 1 million de dollars. C’est tout!”

Ich war bei meinen ersten Afrika-Aufenthalten erstaunt, wie wenig der Reichtum der lokalen Eliten wahrgenommen wurde. Einige Afrikaner zähl(t)en zu den reichsten Menschen der Welt (z.B. Houphouët-Boigny, Mobutu usw.), dennoch wurden unter Reichen nur Weiße verstanden. Durch lange Zeit hindurch wurde kaum gefordert, daß reiche Einheimische einen größeren Beitrag zur Lösung der Landesprobleme zu leisten hätten. Der Zusammenhang zwischen dem extremen Reichtum der Einen und der extremen Armut der Anderen schien anfangs kaum gesehen zu werden, als gäbe es keine gemeinsamen Ressourcen. Dies hat sich inzwischen sehr geändert.

            Vielleicht wären die afrikanischen Staaten von Teilen ihrer Eliten weniger ausgeplündert worden, hätten präkolonial eine größere Zahl von Reichen bestanden. Eine lang andauernde Herrschaft entwickelt ein spezifisches Verhältnis von Volk zu Mächtigen, eine Art ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag, der von Kultur zu Kultur unterschiedlich ausfällt. Ein Angriff auf die Bürgerrechte in den USA wäre mit dem extrem riskanten Handeln des Herrschers in China zu vergleichen. Aus diesem besonderen Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten und aus sozio-ökonomischen Bedingungen wie Ressourcenreichtum oder ­-knapp­heit bilden sich Ideologien, wie Konfuzianismus oder Protestantismus. Diese Ideologien, von Autoren wie Max Weber als Grundlagen wirtschaftlichen Erfolgs gesehen, gehen wahrscheinlich einer gesellschaftlichen Dynamik nicht voran, sondern folgen ihr, wobei gesellschaftliche Dynamik hier als Veränderung in den Köpfen definiert wird.

Gesellschaftsideologien unterliegen wie Religionen einer stetigen Auslese. Was für eine bestimmte Personengruppe keine Antworten in einer bestimmten Situation bietet, was der Situation in den Köpfen nicht entspricht, wird abgelegt. Der Konfuzianismus überlebte und setzte sich durch, weil die Notwendigkeit der Priorität der Gesellschaft über das Individuum damals als für das Überleben der Gesellschaft notwendige Einstellung erkannt wurde.

II.4.       Bevölkerungsdichte und sprachliche und kulturelle Vielfalt

Die früher in Afrika dominierende autarke Produktions- und Siedlungsweise verstärkte die Identität von Kleingruppen, was zu großer kultureller wie sprachlicher Vielfalt führte. In Afrika werden 800-2.000 Sprachen gesprochen, die weltweit größte Dichte an Sprachen/Einwohner. Trotz der Begeisterung in Ethnologie und Sprachwissenschaft über diesen linguistischen wie kulturellen Reichtum erschwerte dies die Ausgangssituation der afrikanischen Länder beträchtlich. Nigeria hat etwa 400 Sprachen, ein kleines Land wie Gambia mit 1 Mill. Einwohner 15 Sprachen. Dies macht es nahezu unmöglich, auf ehemalige Kolonialsprachen als Verkehrs- und Amtssprachen zu verzichten.

            Menschen in Afrika lernen daher meist mehrere Sprachen: eine oder zwei Familiensprachen, eine des Marktes, eine für Reisen etc.: die Kamba in Nairobi sprechen meist Kikuyu, Swahili, Englisch und Kamba; die Kanuri in Maiduguri Hausa, Arabisch, Englisch und Kanuri. Mag diese Vielsprachigkeit anfangs beeindrucken, so ist die Reichweite der Sprachen doch meist gering und die zu ihrem Erwerb notwendige Energie könnte anders genützt werden.

            Nur wenige Länder wie Somalia verfügen über eine lokale Sprache, die von der Bevölkerungsmehrheit verstanden wird und daher auf allen Staatsebenen eingesetzt werden kann. In vielen Staaten sind zwei oder mehr Sprachen annähernd gleichstark und die Wahl der einen zur Nationalsprache könnte, z.B. in Nigeria, zum Bürgerkrieg führen. Ökonomisch wie administrativ erscheint es nahezu ausgeschlossen, Schulmaterialien in 20 verschiedenen Sprachen herzustellen.[22] Daher werden fast alle Schulkinder Afrikas, trotz der damit verbundenen Nachteile, in (nichtafrikanischen) Fremdsprachen ausgebildet. Der Großteil der Verordnungen, Informationen, Zeitungen, Broschüren wird in Kolonialsprachen verfaßt. Da diese aber nur von einer Minderheit verstanden werden, sind die darin enthaltenen Informationen den meisten Menschen unzugänglich. Dies bremst die Entwicklungsdynamik, weil dadurch die autonome Suche nach besseren Lösungen erschwert wird. Aber auch bei Verständnis der Kolonialsprache bleibt eine Kluft zwischen Bürgern und Staat, weil in einem fremden Idiom der Bereich der Gefühle viel schwerer angesprochen werden kann und dadurch die Menschen schwerer mobilisiert werden können.

            Hegemonien bzw. gesicherte Lebensräume sind förderlich für die Entwicklung von Verkehrssprachen, da sie Mobilität und den Austausch zwischen Menschen begünstigen. Trotz der Einführung der Kolonialsprachen als Nationalsprachen konnten die vorkolonialen Verkehrssprachen postkolonial sogar noch an Bedeutung gewinnen. Afrikanische Lingua Francas wie Hausa und Mandekan[23] in Westafrika oder Suaheli in Ostafrika wurden für viele Millionen Wanderarbeiter zur bevorzugten Kontaktsprache. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen, was in einigen Jahren den Einsatz weiterer afrikanischer Sprachen als Nationalsprachen erlauben könnte. Gleichzeitig ist, wie in vergleichbaren Regionen, eine rapide Zunahme des Sprachtods kleinerer Varianten zu bemerken.

            Die relative ethnische wie sprachliche Homogenität anderer Weltregionen ist wahrscheinlich das Ergebnis historischer Entwicklungen und teilweise erzwungener Verschmelzungen. Heute zeigen bei den Völkern Europas oft nur die Familiennamen, welche Völkerschaften sich zu einer neuen Identität des Deutschen, des Franzosen, des Österreichers vermengt hatten. In Swasiland fanden sich Menschen verschiedener (enger verwandter) Völker im 19. Jh. zusammen und sehen sich heute als Swasi. Ähnliches ereignet sich momentan vielerorts in ASS. Die rapide Verstädterung der letzten Jahrzehnte (5,1% pro Jahr) trägt zu einer Auflösung der Volksgrenzen bei, was sich an der raschen Zunahme der Zahl interkultureller Ehen zeigt.[24]

            Ohne die Schaffung der Kolonialstaaten wäre die ethnische Vielfalt Afrikas vermutlich noch größer. Viele Völker, die sich vorher als verschieden auffaßten, fanden aus politischen Gründen zu einer gemeinsamen Identität zusammen. Andere Völker wurden erst durch die Kolonialmächte ”gewaltsam” geschaffen[25]. Teilweise, wie im Niger oder in Nigeria, wurden bestehende Konflikte verschärft.

II.5.       Bevölkerungsdichte und Dominanz der Oralliteratur

Afrika brachte 13 Schriftsprachen hervor, die aber, vielleicht vom Amharischen und Ge’ez in Äthiopien abgesehen, nur geringe Verbreitung fanden. Meist geringe Bevölkerungsdichte und relative Autarkie der Völker, weitgehende Absenz von Hegemonien verringerten den Bedarf an der weitflächigen Anwendung von Dokumentations- und Vertragstechniken. Je autarker Menschen leben, desto weniger spielen Verträge eine Rolle; je kleiner die Gesellschaften, desto besser funktioniert die soziale Kontrolle und ersetzt die formale durch Schriftstücke. Es war daher in Afrika wichtiger, Kommunikationstechniken zu entwickeln, die in Notfällen schnell über weite Distanz Botschaften übermitteln konnten (z.B. die weitverbreiteten Sprechtrommeln im Kriegsfall). Die Geschichte wurde, von einigen Völkern wie den Hausa oder den Amharen abgesehen, oral überliefert. Das Fehlen der angewandten Schriftkulturen mag sich entwicklungshemmend ausgewirkt haben, wie Uwe Simson (1991:148) schreibt:

”Was die Einführung des Geldes für die Wirtschaft, das bedeutet Verschriftlichung für die Gesamtkultur, nämlich eine spektakuläre Effizienzsteigerung durch ‚Emanzipation des Handelns von der Augenblickslage‘ (vgl. Max Weber 1923:5) und die Erweiterung des räumlichen und zeitlichen Rahmens als Vorbedingung für die vielgliedrigen Handlungsketten, die Norbert Elias immer wieder als das Charakteristikum komplex ausgebildeter, hoch arbeitsteiliger Gesellschaften herausgestellt hat.”

Darüber hinaus ist eine Schriftkultur auch mit einer Art Demokratisierung des Wissens verbunden. Auch ein Systemrevolutionär kann zu höheren Formen des Wissens Zugang erhalten, während er in Oraltraditionen davon ausgeschlossen werden kann. In Geheimbünden ist die Wissensweitergabe an Jüngere oft an deren Unterwerfung unter die Alten gebunden.[26]

A.              Dominanz der Oralliteratur und Identitätskonflikte

Kolonisiert zu werden ist gleichzusetzen mit einer vernichteten Kriegsniederlage. Da eine herrschende Schicht zumindest für angemessene Ernährungslage, Sicherheit und Unabhängigkeit garantieren muß, geht eine erlittene Kolonisation mit der Abwertung dieser Schicht einher, ihrer Werte und ihrer Fähigkeiten. In Afrika sind bei vielen Menschen Identitätskonflikte und Mangel an Vertrauen auf den Wert der eigenen Kultur spürbar („geistige Kolonisation“). Doch nicht überall führte die Kolonisation zu einem vergleichbaren Selbstwertverlust. 1836 schrieb der britische Gouverneur Macaulay:

”Kein Hindu, der eine englische Erziehung genossen hat, wird seiner Religion ernsthaft verhaftet bleiben. Es ist meine feste Überzeugung, … daß es dreißig Jahre nach der Verwirklichung unserer Erziehungsvorstellungen keinen einzigen Götzendiener mehr in den respektablen Klassen Bengalens geben wird.” (Zitiert in Mir Ferdowsi 1992:12-13).

Während der Hinduismus äußerst lebendig ist und von der Elite stolz und öffentlich praktiziert wird, halten die meisten gebildeten Afrikaner ihre traditionellen Religionen für rückständig.[27] Warum?

            Sowohl in Schrift- wie auch in oralen Kulturen wird die Führungsschicht nach verlorenen Kriegen abgewertet. In der Schriftkultur ist jedoch leichter Fundamentalismus möglich.[28] Im Gegensatz zu Oralgesellschaften findet sich in ihr eine Funktionstrennung von Verlierergeneration und Übermittlern der (glorrei­chen) Vergangenheit. Dadurch leidet das Ansehen der Vergangenheit nicht unter der Abwertung der Führungsschicht, denn aus der geschriebenen Geschichte läßt sich die Überlegenheit oder Gleichwertigkeit der eigenen Kultur zeigen, wie anhand berühmter Heerführer, Künstler usw.: ”Die heutige Generation der Alten taugt nichts, aber unsere Vorfahren waren großartig.” Vielleicht ist Fundamentalismus nur durch diese Trennung möglich. So negativ, mit Entwicklungen bis ins Faschistoide hinein, Fundamentalismus sein kann, so positiv können in Grenzen seine stabilisierenden Einflüsse auf das Selbstwertgefühl einer Kultur sein. Fundamentalismus dürfte mehr ein Merkmal von Schriftkulturen denn von Oralgesellschaften sein. In der oralen Gesellschaft gibt die Verlierergeneration meist auch das Wissen über frühere Generationen und die Geschichte weiter. Mit ihrer Niederlage wird auch die eigene Geschichte und Kultur abgewertet, denn man ist ihrer Meinung gegenüber mißtrauisch geworden und hat keinen anderen Zugang zur Tradition. Damit sinkt wahrscheinlich aber die Achtung für die eigene Kultur.[29]

            Orale Gesellschaften in anderen Weltregionen, z.B. die indigenen Völker Nord- und Südamerikas, die Papuas Neu-Guineas, die Aborigines Australiens, scheinen oft ähnliche Züge wie afrikanische zu zeigen: erhebliche Identitätskonflikte, Resignation, mitunter Alkoholismus etc.[30]

Ökonomische Auswirkungen der kulturellen Abwertung:

Die Mauka der Côte d’Ivoire nennen eine besonders schöne Tomate ”twàabu-tàmata” (”europäische Tomate”) statt ”tàmata”. Gleichermaßen wird twàabu jedem gelungenen (Anbau-)produkt vorangestellt. ”Europäische” Waren sind somit Markenprodukte und stehen für Qualität, ”afrikanische” für Zweitklassiges.

            Wieviele Milliarden Dollar, wieviele Millionen Arbeitsplätze verlor und verliert Afrika, weil ausländische Fahrräder als überlegen angesehen werden, weil aus dem Westen importierte Nahrungsmittel als moderner gelten und einheimische verdrängen (z.B. Weizen die Hirse), weil der Westen oft nicht in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überholt werden soll, sondern in seinen Statussymbolen (z.B. Kathedrale von Yamoussoukro, Eislaufplatz in Abidjan, Gbadolite in Zaire etc.), weil in vielen afrikanischen Staaten der europäische Anzug um ein Vielfaches eher akzeptiert wird als die einheimischen Togen, weil der so unpassend Angezogene dann zwingend eine Klimaanlage braucht usw.?

            Afrika wird oft nachgesagt, daß es produziere, was es nicht konsumiere und umgekehrt, ein großer Unterschied zu den ost- und südostasiatischen ”Erfolgs­län­dern”, die auf eine erstaunliche Weise wirtschaftliche Dynamik mit Kulturchauvinismus, mit Stolz auf eigene Kulturinhalte verbinden. Japaner lehnen fremden Reis ab, weil sie ihn für minderwertig halten und sind bereit, für lokalen Reis wesentlich mehr zu bezahlen.[31] Der mangelnde Selbststolz vieler Afrikaner auf ihre Produkte trägt erheblich zu ihren wirtschaftlichen Problemen bei.

II.6.       Bevölkerungsdichte und Wirtschaft

Nuscheler & Ziemer (1980:17) schreiben über das südöstliche Afrika im 19. Jh.:

”Solange sie [Die Völker, Anm. D. Verf.] bis in das 19. Jh. hinein Bevölkerungsdruck oder zunehmendem Fremdeinfluß nicht ausgesetzt waren, solange ihr Lebensraum vergleichsweise dünn besiedelt und folglich relativ isoliert war, bestand für sie keine Notwendigkeit und wohl auch keine Möglichkeit, ihre subsistenzwirtschaftliche Organisationsform weiterzuentwickeln oder durch den Ausbau von Handelstätigkeit aufzubrechen. Sie produzierten, was sie zum Lebensunterhalt benötigten … Größere ökonomische oder gesellschaftliche Unterschiede konnten vor allem wegen des freien Zugangs aller zum wichtigsten Produktionsmittel, dem Land, nicht aufkommen. Weil Handelstätigkeiten sich an der subsistenzwirtschaftlichen Grundform orientierten und keinen expandierenden Produktionsanreiz boten, wurden sie ebenfalls nicht zum Ausgangspunkt der Spezialisierung und der gesellschaftlichen Differenzierung. Diese Gesellschaften waren also in ihrer Grundstruktur egalitär.”

Die weitgehende Absenz größerer Absatzmärkte und die Möglichkeit der Brachfeldwirtschaft führen zu weitgehend autarken Gesellschaften mit geringem Austausch und dementsprechend zu geringer Spezialisierung und, falls gegeben, zu nahezu völligem Produktionsmonopol. Der Schneider eines Ortes, der Schmied eines Ortes kam in der Regel häufig aus der gleichen Familie und sah sich keinem Wettbewerbsdruck ausgesetzt, wodurch die Weiterentwicklung von Techniken verlangsamt wurde.

            Der ungleiche Warenaustausch Europa-Afrika (Fertigprodukte gegen Rohstoffe) wird oft auf weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen zurückgeführt. Er war in ähnlicher Art aber schon vorkolonial zu bemerken. Afrika lieferte Rohstoffe und Europa dafür überteuerte Fertigprodukte.[32] Im Köngreich Gana (Ki-Zerbo 1981:112) legten im 9. und 10. Jh. die ägyptischen Händler folgende Waren zum Verkauf aus: Woll-, Baumwoll-, Seiden- und Purpurstoffe, Kupferringe, blaue Perlen, Salz, Datteln und Feigen. Sie erhielten dafür Goldstaub, Elfenbein, Gummi und Sklaven. Ki-Zerbo (1981:223) zitiert Abt Denamet über den frühen Austausch Europa-Afrika:

”Bei allen Stationen des Menschenhandels brauchte man auch Glasschmuck jeder Art. Das war die billigste Ware für die Verhandlungen und auch diejenige, mit der man die höchsten Gewinne erzielte … Einen beachtlichen Gewinn machte man auch mit rotgrundigen Taschentüchern, sowohl im Handel mit Gefangenen als auch beim Tauschhandel mit dem Gold des Landes … Für diese europäischen Produkte meist minderer Qualität forderten die Sklavenhändler Felle, Gummi, Elfenbein, Gold und vor allem Neger … Diese Anmerkung gilt für den Tauschhandel, wobei die Schwarzen kostbare Produkte wie Gold, Elfenbein und Menschen gegen oft lächerliche oder schädliche Erzeugnisse lieferte: ‚Für ein altes Boot gibt man den Stoßzahn eines Elefanten‘ wird Pigafetta (Description du royaume de Congo, Paris 1963) zitiert (Ki-Zerbo 1981:231).

Trotz der Klage Ki-Zerbos über den ungleichen Tausch scheint schon das vorkoloniale Afrika großteils einen erheblichen wirtschaftlichen Rückstand auf Europa aufgewiesen zu haben. Denn wie sonst hätte ”ein altes Boot” einen hohen Gegenwert erzielen können? Offensichtlich wurden hier (europäische) Manufakturprodukte überteuert gegen (afrikanische) Rohstoffe (inklusive Menschen) getauscht. Wäre die afrikanische Manufaktur auf vergleichbarem Niveau gewesen, hätten Glasperlen oder Boote nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage kaum derartige Gegenwerte erzielen können. Ki-Zerbo unterschätzt hier wohl die Rationalität der afrikanischen Herrscher und Händler, die diesen Geschäften zustimmten. Sie wußten, daß sie es mit Mangelgütern zu tun hatten, die deshalb ihren Marktwert hatten.[33]

            Hopkins (1973:76) führt die Schwäche der lokalen Manufaktur auf die hinsichtlich Konsumentenzahl und Kaufkraft zu kleinen Märkte zurück, was die Einführung kostenreduzierender Innovationen und größere Spezialisierung verhinderte. Weiters hemmte die geringe Bevölkerungsdichte das Marktwachstum durch Zersiedlung und starke Tendenzen zu autarken Lebensformen.[34] Die geringe wirtschaftliche Differenzierung zeigte sich auch in der Schwäche des lokalen Handels. Nur wenige Völker, vorwiegend westafrikanische wie Mande oder Hausa, sorgten für Dynamik und Komplexität in diesem Bereich. Es ist daher bezeichnend, daß Zuwanderergruppen in diese ”Marktlücke” stießen, die bis heute vielerorts Klein- und Mittelhandel dominieren: z.B. Inder in Ost- und Südafrika, Libanesen in Westafrika oder Araber an der Küste Ostafrikas.

II.7.       Bevölkerungsdichte und Landwirtschaft

A.              Landwirtschaftliche Techniken und Einstellungen

Bereits im vorkolonialen Afrika wurde intensiver Terrassenfeldbau in Teilen Tanzanias und des Reichs Zimbabwe betrieben. In dichter besiedelten Gebieten kommt heute noch der ökologisch wertvolle Mischfeldbau vor, bei dem mehrere Nutzpflanzen gleichzeitig angebaut werden und dem Boden unterschiedliche Nährstoffe zuführen bzw. entnehmen. Abgesehen von einigen Flußbecken und im vulkanischen Hochland dominierte jedoch der Brachfeldbau, welcher durch die geringe Bevölkerungsdichte ermöglicht wurde. Dabei Brachfeldwirtschaft vermindert die Möglichkeit der Differenzierung der Gesellschaft, weil die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch die Brache „übernommen“ wird. entfallen weitgehend die Mühen des Düngens und die Suche nach den optimalen Düngeformen. Man konnte überleben, ohne jährlich mehr aus dem Boden herausholen zu müssen, weil zusätzliche Münder gesättigt werden wollten. Nahm die Bevölkerung zu, wurden neue Felder angelegt. Noch Mitte der 80er Jahre wurden nur 4% der Böden des Sahels intensiver bewirtschaftet. Die FAO schätzte 1982, daß in den EL in letzten 2 Jahrzehnten 1/5 des landwirtschaftlichen Mehrertrages durch Ausweitung der Anbauflächen und 4/5 durch Produktivitätszuwachs erfolgten, im Sahel dagegen fast ausschließlich durch Ausdehnung der Anbauflächen (Giri 1983:89). Giri gibt eine Getreideproduktion/Kopf von etwa 500 kg im Sahel, aber eine von 2000 kg in China an (1983:88). Mit traditionellen Anbauformen können auf typischen Böden im Sahel nur bis zu 40 Menschen/km2 ernährt werden. Diese Grenze ist vielerorts bereits erreicht. Durch den starken Bevölkerungsdruck können nun oft die notwendigen Brachezeiten nicht mehr eingehalten werden, was durch den Verlust an Bodennährstoffen zu einer dramatischen Bodenerosion beiträgt.

              In dichter besiedelten Weltgegenden, wie dem Fernen Osten oder Europa, waren die Menschen seit vielen Jahrhunderten zu einem ständig steigenden Output gezwungen, um überleben zu können. Im Europa des 14.-15. Jh. kam es in der Umstellungsphase von Brachfeld- zu Intensivfeldwirtschaft zu Millionen Hungertoten. Die Intensivbewirtschaftung erfordert Mehrarbeiten von zumindest 1 Monat/Jahr, was nur zu Lasten anderer, oft gesellschaftlicher Bereiche, gehen kann. Derartige Umstellungen, die Menschen zwingen, wesentlich mehr Arbeit für vorübergehend gleichen Output zu investieren, werden kaum wo ohne Notwendigkeit vorgenommen. Europa hatte keine Alternative dazu.

            Ich könnte mir vorstellen, daß der Übergang von der Brachfeldwirtschaft zum Intensivfeldbau eine gewaltige Einstellungsänderung bewirken kann: in der Intensivfeldwirtschaft wird man wegen des Bevölkerungsdrucks gewungen, Jahr für Jahr mehr aus dem Boden herauszuholen. Der Mensch geht dadurch ständig über Grenzen, über von Gott vorgegebene; er beweist sich immer mehr, daß er selbst sein Schicksal gestaltet und dieses nicht allein von Gott vorgegeben wird, er nimmt es in die Hand. Er könnte eine größere Neigung zum Machertum entwickeln. In der Extensiv­wirtschaft hat er weniger Möglichkeiten, die Höhe seiner Ernte zu bestimmen, Tüchtigkeit und Untüchtigkeit werden weniger differenziert. Er könnte dadurch eher zur Inputminimierung neigen und freibleibende Energien in soziale Bereiche stecken. In der Intensivwirtschaft muß er eine Mentalität der Outputmaximierung entwickeln, um immer mehr Menschen vom gleichen Stück Land ernähren zu können. Diese Einstellung ist in einer globalen Konkurrenzgesellschaft von erheblichem Vorteil.

B.              Die Vorstellung von den “unbegrenzten Ressourcen”

Bis vor kurzem war Afrika noch sehr dünn besiedelt, wies eine dichte Tierwelt auf und Bodenerosion war nahezu unbekannt. Alte Missionare erzählen in Kiembara im nördlichen Burkina Faso, daß sie vor 50 Jahren täglich den Schrei von Löwen gehört hätten. Dies verblüfft, weil heute dort bereits der seltene Anblick eines Hasens große Freude hervorruft. Jeder europäische Wald verfügt über eine größere Tierdichte als die meisten Gebiete Westafrikas.

            Bis vor kurzem mußten die Menschen Afrikas noch das Gefühl nahezu unlimitierter Ressourcen haben: Gebiete, in die man migrieren konnte, wenn die Bodenfruchtbarkeit abnahm; ein sich selbst regenerierender Wildtierbestand, weil die Fleischentnahme geringer als der Zuwachs war; nahezu unerschöpfliche Fischbestände usw. Und weil die Ressourcen so unerschöpflich zu sein schienen, war, hier stehe ich im Gegensatz zu den Annahmen des ”Lebens in Einklang mit der Natur”, der Hegegedanke nur relativ schwach entwickelt.

            Es ist unbestreitbar, daß viele Umweltprobleme Afrikas durch die Eingriffe der Europäer erheblich verschärft wurden. Die Einführung von Monokulturen führte zu einseitiger Auslaugung der Böden, zum ”Aussterben” vieler angepaßter lokaler Getreidesorten. Moderne, aber für afrikanische Böden nicht optimierte Anbaumethoden verlangten oft die komplette Entfernung der Oberflächenvegetation, was Bodenerosion durch Wind und Regen erleichterte, da die Scholle Afrikas meist unvergleich dünner und verletzlicher ist. Westliche Jäger und Trophäensammler rotteten manche Tierarten aus. Gutgemeinte Brunnenbohrungen führten zu einer Vervielfachung der Herden durch erhöhtes Wasserangebot und zur Überweidung. Wäre Afrika daher ohne europäischen Einfluß von großflächigen Umweltzerstörungen bewahrt geblieben?

            ”Drittweltzeitungen” sind voll von Bildern, welche sehr idealistisch von einer vermuteten Harmonie zwischen ”Naturvölkern” und Natur sprechen. Bereiche der Natur sind sicherlich durch Religion, Tabuisierung und andere Konventionen geschützt, dennoch sind meine Aufzeichnungen aus 7 Jahren in afrikanischen Kleindörfern voll von widersprüchlichen Beispielen.

            Die Maasai, die berühmten Hirten Ostafrikas, jagen z.B. kein Wild, weil sie wegen ihrer Religion anderes Fleisch als Rindfleisch als minderwertig ablehnen. Sie töten kaum Wildtiere, außer Löwen, die ihre Rinder gefährden.[35] Kann man deshalb von strengen naturschützerischen Normen sprechen?

            Nein, denn wenn die Natur im Rahmen ihres Normensystems plötzlich auf eine kulturell ungewohnte Art ökonomisch ausgenützt werden kann, werden mangelnde Schutzeinstellungen sichtbar. Viele Maasai werden auf Grund ihrer Naturkenntnis zu Wilderern, die Elefantenstoßzähne und Raubtierfelle verkaufen. Hier hat nicht etwa westlicher Einfluß den Wunsch geweckt, mit dem Kauf westlicher Konsumgüter in ihren Dörfern zu protzen. Sie investieren die aus dem Trophäenverkauf erhaltenen Mittel meist in den Ausbau ihrer Rinderherden, um nach den Normen ihrer Gesellschaft an Prestige zu gewinnen.[36]

            1989 vertraute mir der Chef eines Bambaradorfes in einer nahezu wildlosen Gegend in Mali[37] seinen größten Wunsch an: ein weitreichendes Gewehr zu erwerben. Ich fragte Jäger des gleichen Ortes, wie sie reagieren würden, wenn sie auf Rehe mit Kitzen stoßen; würden sie sie verschonen? Sie verneinten, weil sie dann ”doppelt soviel Fleisch” gewännen. Es sei hier erwähnt, daß ich in zwei Monaten in diesem Dorf und täglichen Buschwanderungen nur einmal ein Reh und 4-5 mal einen Hasen sah.

            Die Bozofischer Malis verwenden beim Fischfang trotz Warnungen der Regierung so feingewobene Netze, daß die Flüsse auch sämtlicher Jungfische beraubt werden. Solange die Bozo weniger zahlreich waren, konnte sich der Fischbestand regenerieren, die beträchtliche Bevölkerungszunahme der Bozo im Laufe der letzten Jahrzehnte führte dann allerdings wegen mangelnder Schutztechniken zu einem starken Rückgang der Fischfänge.

            Die Felder der Samo in Burkina Faso sind von extremer Bodenerosion gezeichnet. Trotzdem verzweifelte ein befreundeter holländischer Entwicklungshelfer in Tougan, lokalen Bauern Bodenschutzmaßnahmen näherzubringen. In 5 Jahren Wirken konnte er genau 4 Bauern zur Einführung von Bodenschutzmaßnahmen wie Bodenwellen zur Verlangsamung der Ablaufgeschwindigkeit des Regenwassers bewegen.

            Was führt zu diesem Mangel an Ressourcenschutz und Hegegedanken? Als eine geheime Maske des Komo-Bundes Mitte der 70er Jahre im Museum von Bamako ausgestellt wurde, kam es zu so intensiven Protesten, daß die Maske wieder entfernt wurde. Wo sind vergleichbare Proteste bezüglich des Abholzens der Wälder, wenn man von darin lebenden Völkern absieht?[38]

            Lloyd Timberlake sieht (1988:104) einen Grund für mangelnden Ressourcenschutz in der Absenz von Bodeneigentum. Der Boden wird, z.B. in Gesellschaften Burkina Fasos, nach einigen Jahren wieder an neue Benützer vergeben. Dies verringert die Motivation der bäuerlichen Bevölkerung, in Langzeitaktivitäten wie Baumpflanzen, Bodenschutz- und Wasserschutzmaßnahmen zu investieren:

”In some countries, such as Burkina Faso, the land is reallocated every few years, effectively destroying any incentive for farmers to invest in the long-term enterprise of tree-growing (or in other soil and water conservation efforts).”

Der mangelnde Hegegedanke könnte auch mit der Vorstellung ”unbegrenzter Ressourcen” zusammenhängen. Giri beschreibt in seinem Buch ”Le Sahel demain” das lokale Weltbild mit seinem Glauben an unbegrenzte natürliche Ressourcen. Noch vor wenigen Jahren zählte Afrika nur etwa ein Drittel seiner heutigen Bevölkerung. Eine kleine Bevölkerung auf niedrigem technischen Niveau kann es sich erlauben, mit Umweltressourcen großzügig umzugehen: keine Bäume für gefällte zu pflanzen, Tier- und Pflanzengattungen nicht mit Schonzeiten oder anderen Verboten vor der Ausrottung zu schützen, weil die Natur Zeit findet, die Ressourcen wieder zu erneuern. Wächst die Bevölkerung stark an, werden die jahrhundertealten Traditionen oft zerstörerisch[39]. Die Mitschuld an der Zerstörung wird scheinbar in einer ersten Phase wegen der Geschwindigkeit der Veränderung kaum wahrgenommen. Bozo-Fischer glauben, daß der Staudamm von Selingué die Fische ausbleiben läßt, Bambara, daß die Wildtiere nach Kita abgewandert seien usw. Sie hoffen also, daß ohne Verhaltensänderung und Hegearbeit die früheren Zustände wieder auftreten würden und sehen nur bedingt die Folgen der eigenen Handlung.

            Mitunter sind die Zusammenhänge offensichtlich. Die Mauka der Côte d’Ivoire zünden seit Jahrhunderten bei ihren Jagden das Elefantengras an, um darin befindliche Tiere herauszutreiben. Erstmals in der Landesgeschichte kam es 1983 als Folge dieser Brandlegungen zu riesigen Flächenbränden, weil die Feuchtwälder, welche früher die großflächige Ausbreitung der Brände verhinderten, durch menschlichen Einfluß großteils verschwunden waren.

            Ich frage mich, ob ein spezifischer Hegegedanke entstehen kann, bevor man die leidvolle Erfahrung einer dramatischen Naturzerstörung macht, die die eigenen Lebensgrundlagen bedroht. In meiner Herkunftsregion, dem Tullnerfeld, wurden Anfang des Jahrhunderts viele Bäume für eine landwirtschaftliche Intensivierung abgeholzt, mit dem bekannten Ergebnis, daß die Bodenerosion durch Wind und Regen bedeutend zunahm. Als Folge, aber erst einige Jahre später, wurden diese typischen Windbrechbaumreihen gepflanzt, Beispiel einer durch Spiel mit dem Feuer gewonnenen Lebenserfahrung.

            In Afrika ist vielerorts noch nicht das Gefühl limitierter Ressourcen vorhanden. Es besteht häufig noch die Annahme, die Umweltzerstörung würde wieder vorübergehen, was Assoziationen zu unserem Umgang mit dem Ozonloch aufkommen läßt. Ich erinnere mich, wie Thomas Sankara versuchte, Entwicklung bis in die kleinsten Dörfer zu tragen. Er schlug vor, daß alle DorfbewohnerInnen sich einmal wöchentlich treffen, um gemeinsam wiederaufzuforsten oder Deiche anzulegen. Zwei Dorfbewohner in Kiembara in Nord-Burkina-Faso, wo die Umweltzerstörung besonders dramatisch ist (Brunnenwasser bis zu 80m tief, breitflächige Bodenerosion etc), unterhielten sich vor mir über diesen intensiven Druck zur Mitarbeit und verglichen ihn mit der Zwangsarbeit unter den Europäern, Zeichen eines Nicht-Ernstnehmens der Situation.

            Gesellschaften neigen zu Fluchtreaktionen, wenn der gewohnte Lebens­standard mit geringerem Aufwand als mit einer notwendigen Innovation und damit verbundenen sehr arbeitsintensiven Hege- und Schutzarbeiten aufrecht­erhalten werden kann. Eine derartige Flucht kann z.B. in einer verstärkten Arbeitsmigration liegen, deren Erträge den Lebensstandard sichern. Erst wenn alle ”Flucht­mög­lichkeiten”, d.h. alle Alternativen zur mühsamen Behebung des Problems, verschlossen sind, führt kein Ausweg mehr an der Innovation vorbei und sie geschieht. Diese Fluchtwege verschlossen sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend: landwirtschatlich ungenützte Gebiete sind für die Verlagerung des Anbaus kaum mehr zu finden, die Arbeitsmärkte der Städte sind längst gesättigt, traditionelle Arbeitsmigrationsländer wie die Côte d’Ivoire schließen ihre Grenzen zunehmend. Gleichzeitig kommt es durch die Budgetnöte der Geberländer zu einer Stagnation von Hilfeleistungen.

            Wo kein Ausweg mehr möglich war, reagierten auch die Menschen Afrikas stets mit Innovation. Auch das Europa des Mittelalters mußte eine bedeutende Bevölkerungssteigerung bewältigen. Die Brachfeldwirtschaft wurde für ungleich aufwendigere Anbaumethoden, bei welchen die Felder gedüngt und gegen Bodenabtragung geschützt werden mußten, aufgegeben, da man diesen erhöhten Mehrinput an Arbeit nicht vermeiden konnte, um das Überleben zu sichern. Das Karstgebirge Jugoslawiens ist ein Zeugnis dafür, was geschieht, wenn Antworten nicht rechtzeitig gefunden werden.

Eine im Norden Kameruns durchgeführte Studie[40] zeigt, wie ein afrikanisches Volk eigenständig alle notwendigen intensiven Anbau- und Umweltschutzmethoden entwickelte, welche größere Bevölkerungsdichte ermöglichen. Die Kirdi leben in Bergregionen Kameruns, jahrhundertelang umgeben von sklavenjagenden Völkern, was viele Jahre lang keine Abwanderung erlaubte. Sie mußten daher Techniken entwickeln, welche das Überleben einer größeren Bevölkerungszahl in ihrem Gebiet ermöglichten und sie fanden sie. Und so überleben dort heute 200 Menschen/km² statt 40-60 auf ähnlichen Böden im Sahel. Sie führten eine Reihe von Hege- und Intensivierungstechniken ein, die anderswo schwer zu implementieren waren: Terrassenfeldbau gegen Erosion und für bessere Wasserinfiltration, Anbau spezifischer Pflanzen zur Düngung, intensive Verwendung tierischen Düngers usw.[41]

            Heute scheint vielerorts ein Umdenken zu erfolgen, die Idee der ”unbegrenzten Ressourcen” zu verschwinden. Pradervand (1989) zeigte die weitreichende Dynamisierung der afrikanischen Gesellschaften in verschiedensten Bereichen als Reaktion auf unhaltbare Zustände.

            Der mangelnde Ressourcenschutzgedanke zeigte sich oft auch bei den ”modernen” Staatsressourcen. Die Côte d’Ivoire baute innerhalb weniger Jahre, als die Staatsverschuldung bereits nahezu hoffnungslos war, in Abidjan eine der größten Moscheen der Welt, im nahezu menschenleeren Yamoussoukro die zweitgrößte Kathedrale der Welt; ausländischen „Entwicklungsex­perten“ wurden in den besten Gegenden Gratiswohnungen zur Verfügung gestellt (trotz einer meist überhöhten Bezahlung), Luxuskarrossen stehen vor den Amtsgebäuden der Côte d’Ivoire ähnlich wie vor denen der meisten anderen Länder, für die meisten Präsidenten ist der Besitz eines Flugzeugs nahezu selbstverständlich;[42] in vielen Ländern werden zwar Konzessionen für westliche Edelholzexporteure vergeben, nur selten aber Bedingungen für die Wiederaufforstung gestellt, noch genügende eigene Anstrengungen in diesem Bereich unternommen. Afrikanische Studierende studieren – im Vergleich mit den Erfolgsregionen Asiens – meist auffallend häufig Fächer, die ihnen weder einen Arbeitsplatz in ihren Ländern sichern, noch den Entwicklungsprioritäten ihrer Länder entsprechen[43]. Regierungsangestellte in afrikanischen Entwicklungsländern verdienten Mitte der 80er Jahre das 2,8-fache der Beamten asiatischer Entwicklungsländer; gemessen am Bruttonationalprodukt/Kopf zahlte die Côte d’Ivoire sechs mal mehr für Löhne als Taiwan, Nigeria das 5fache.[44]

            Durch die gleichzeitige Verknappung der inneren wie äußeren Mittel (z.B. Budgetzuschüsse der Geberländer) ist die Vorstellung begrenzter Ressourcen auch in den Staatsapparaten Afrikas spürbar geworden. Immer häufiger erscheinen Pragmatiker, Ressourcenmanager, an der Spitze afrikanischer Staaten (z.B. Thomas Sankara in Burkina Faso, Soumané Sakko in Mali, der Weltbank-Topmanager Alassane Ouattara an der Côte d’Ivoire usw.). Der sorgsamere Umgang mit den Ressourcen zeigt sich auch in einem Rückgang der Militärausgaben, 2,8% des BNPs (1992), gegenüber 3,0% 1985 (UNDP 1995:216).

II.8.       Die heutige Bevölkerungssituation Afrikas im Vergleich mit der des Fernen Ostens

Die Bevölkerungsgrößen und -verteilung der Länder Afrikas weisen eine Reihe von Eigenheiten auf, die großteils wahrscheinlich entwicklungshemmend wirken:

A.              Relativ kleine Landesbevölkerungen: erschwerter Aufbau von Infrastrukturen = erhöhte Dependenz

Die Staaten in ASS verfügen oft über eine große Fläche, aber meist nur eine kleine Bevölkerungsgröße. Die Staaten in ASS weisen eine durchschnittliche Bevölkerung von 6 Mill. Einwohnern, die Staaten Ost- und Südostasiens hingegen von 44,1 Mill auf (siehe Anhang: Vergleich von Indikatoren Afrikas Südl. d. Sahara und Ost- und Südostasiens, Seite 22, Maßzahl: Median). Nur 7 Staaten in ASS haben mehr als 20 Mill. Einwohner, was nicht nur, wegen der kleinen Binnenmärkte, Industrialisierungsvorhaben erheblich erschwert, sondern viele andere Probleme verursacht. Da die Errichtung und der Unterhalt von Universitäten für kleine Länder extrem teuer sind, lernt ein großer Prozentsatz ihrer Studierenden im Ausland. Während 1987-88 5% der Studierenden aus EL im Ausland studierten, waren es in Afrika 17% (UNDP 1995:175), z.B.:

Land Anteil der im Ausl. Studierenden Bevölkerungszahl 1990[45]
Chad 50% 5,7 Mill.
Sierra Leone 49% 4,2 Mill.
ZAR 45% 3,0 Mill.
Kamerun 40% 11,7 Mill.
Ruanda 37,7% 7,2 Mill.
Nigeria 7% 88,5 Mill.

Man sieht am Beispiel Nigerias, wie die Größe des Landes den Aufbau größerer Bildungsstrukturen rentabler macht, dadurch erleichtert und einem größeren Prozentsatz seiner Studierenden das Studium im Inland erlaubt. Wohl mag das Auslandsstudium eines großen Teils der Studierenden den Nord-Süd-Wissenstransfer erleichtern, gleichzeitig schafft er aber auch Probleme wie

· die Gefahr der ”Verwestlichung” der im Ausland Studierenden, die nach dem Studium ihre neuen Konsum- und Lebensmuster importieren und weitergeben können, mit teilweise negativen volkswirtschaftlichen Folgen, wenn vorwiegend importierte Güter konsumiert werden. So war Kamerun jahrelang der größte Champagner-Importeur der Welt;

· ein größeres Risiko des Brain-Drains durch besseren Zugang zum westlichen Arbeitsmarkt und die Gewöhnung an westliche Technologien;

· ein relativ hohes Risiko einer nicht an die Bedürfnisse und Gegebenheiten des Landes angepaßten Ausbildung.

B.              Ethnische Inhomogenität: erschwerte politische Willensbildung

Während die größte Volksgruppe in ASS einen durchschnittlichen Anteil (Median) von 45% der an der gesamten Landesbevölkerung aufweist, sind es in Asien 80% (Fischer Weltalmanach 1996). Es ist naheliegend, daß dadurch die politische Willensbildung wesentlich verlangsamt und erschwert wird. Gleichzeitig kann auch angenommen werden, daß die Identifikation eines Großteils der Bevölkerung mit diesem Staat schwerer erreichbar ist.

C.              Wachsende ethnische Inhomogenität mit steigender Bevölkerungsgröße: erschwerte Willensbildung

Im Idealfall könnten Staaten mit größerer Bevölkerung wegen ihrer größeren Binnenmärkte schneller Industrien aufbauen, dafür Rohstoffe und Arbeiter aus benachbarten Ländern benötigen, und über Zukauf und Arbeitslohnabflüsse positive Einflüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung benachbarter Staaten ausüben. Dadurch könnten einige Großstaaten zu wirtschaftlichen Kraftpolen und Entwicklungsmotoren für die jeweilige Region werden.

            Bei ASS fällt auf, daß die ethnische Homogenität mit wachsender Bevölkerungsgröße der Staaten abnimmt (negative Korrelation: -0,49[46]), d.h. bevölkerungsreiche Staaten sind meist auch ethnisch weniger homogen. Dies trägt dazu bei, daß große Staaten wie Nigeria, Zaire, Sudan, Äthiopien innerlich paralysiert sind, weil die politische Willensbildung erheblich erschwert wird.

D.              Ethnische Homogenität steigt nur geringfügig mit Bevölkerungsdichte

Steigende Bevölkerungsdichten und Agglomerationszentren beeinflussen Austauschprozesse zwischen Ethnien und dadurch auch letzten Endes eine Zunahme der ethnischen Homogenität. Verglichen mit den Ländern des Fernen Ostens (r=0,37) fällt der Zusammenhang noch relativ gering aus (r=0,15). Da der Beginn der dynamischen Bevölkerungsentwicklung Afrikas erst relativ kurz zurückliegt, – neben der bis vor wenigen Jahrzehnten noch sehr geringen Bevölkerungsdichte in den meisten Gebieten wäre hier auch die relativ rezente Urbanisation in den meisten afrikanischen Ländern zu erwähnen – ist die ethnische Homogenität in Afrika geringer ausgeprägt, was sich ebenfalls in einer Verlangsamung der politischen Willensbildung niederschlägt.

E.               Abnehmende Bevölkerungsdichte mit steigender Bevölkerungsgröße: erschwerte Marktbildung

Afrikas Großstaaten sind aber nicht nur ethnisch inhomogener, sondern gleichzeitig auch geringfügig dünner besiedelt (r=-0,02) als die seine Kleinstaaten (im Fernen Osten steigt hingegen die Dichte mit der Bevölkerungszahl, r=0,37), was sich in der Erschwerung der Binnenmarktentwicklung niederschlägt.

F.               Synthese der statistisch faßbaren demographischen Unterschiede Afrikas und des Fernen Ostens und ihrer Auswirkungen

Die unterschiedliche demographische Situation Afrikas von der des Fernen Ostens schlägt sich in einer Reihe von Indikatoren nieder, welche im Falle Afrikas Entwicklung eher behindern und im Falle des Fernen Ostens Entwicklung eher begünstigen.

Afrikanische Länder haben sehr viel größere Probleme bei der politischen Willensbildung und verwenden wohl einen größeren Teil ihrer Ressourcen zur Aufrechterhaltung der inneren Stabilität.

Die Zersplitterung Afrikas in bevölkerungsmäßig zahlreiche Kleinstaaten macht den Aufbau von Infrastrukturen besonders kostspielig.

Gleichzeitig sind gerade große afrikanische Länder, welche als Entwicklungsmotoren für eine ganze Region dienen könnten (wie Zaire, Nigeria) im Vergleich zu entsprechenden Ländern des Fernen Ostens deutlich benachteiligt, durch größere ethnische Vielfalt oder auch durch geringere Bevölkerungsdichten.

Durch innere politische Paralysierung und kleinere Binnenmärkte sinkt das BNP/Kopf afrikanischer Staaten mit steigender Bevölkerungsgröße (r=-0,53). Da in ASS gerade die Staaten mit den kleinsten Binnenmärkten die größten Dichten aufweisen, ist auch der Zusammenhang von Bevölkerungsdichte und Entwicklungsdynamik (hier im BNP/Kopf gemessen) in Afrika geringer (r=0,11) als in Ost- und Südostasien (r=0,43), wo große Staaten größere Dichten und damit bessere Ausgangsmöglichkeiten für Industrialisierung haben.

II.9.       Afrikanische Gesellschaften und Innovation

Menschliche Gesellschaften scheinen immer zu innovieren. Die Geschwindigkeit und der Bereich der Innovation hängen jedoch wesentlich von gesellschaftlichen Prioritäten ab. Gesellschaften, deren Lebensmodell bedroht ist, z.B. durch Bevölkerungsdruck oder Angriff durch andere Völker/Staaten, innovieren bevorzugt in den Bereichen, welche das Überleben sichern; es sei denn, durch Flucht böten sich einfachere Möglichkeiten. Die Flucht kann im Falle großen Bevölkerungsdrucks durch Abwanderung in unbebautes Gebiet, im Falle der militärischen Bedrohung durch Umsiedelung in andere Regionen bestehen. Im Falle der Unmöglichkeit oder von übergroßen Nachteilen von Flucht wird innoviert. Innovation abseits von Bedrohungen geschieht vorwiegend dort, wo sie gängige Machtverhältnisse nicht in Frage stellt. Die ungeheure Kreativität afrikanischer/schwarzer Musik (Jazz, Soul, Gospel, Blues, Rap, HipHop, Reggae, Highlife, Makumba etc.) mag ein Beispiel dafür sein.

            Wird Innovation hingegen zu einer Bedrohung politischer Macht, (s.a. Galileo Galilei), kann sie auf Widerstand stoßen und gehemmt werden. Gesellschaften mit langsamen technischen Wandel sind meist altershierarchisch strukturiert, wobei die Macht der Alten auf ihrem Wissensvorsprung beruht. Erzielen in einer agrarischen Kultur junge Menschen durch Innovation laufend bessere Ergebnisse als Ältere, können Ängste vor Racheakten einzelner Alter auftreten, die ihre Position bedroht sehen: 29 von 51 der befragten 16-49jährigen in einer Bauerngesellschaft in Mali stimmten zu, daß Ältere eifersüchtig sind, wenn Jüngere bessere Ernten haben; 67 von 71 stimmten zu, daß Ältere manchmal die Felder der erfolgreichen Jüngeren aus Eifersucht mit schwarzer Magie unfruchtbar machen (eigene Untersuchungen in Mali 1991).[47]

            Das Maß der Innovation in einem bestimmten Bereich läßt kaum Rückschlüsse auf Innovationsfreudigkeit in anderen Bereichen zu. Europäische Forschende hatten oft das Vorurteil, daß wegen der relativen Wirtschafts- und Technologieschwäche Afrikas auch die anderen Bereiche einfach und unkompliziert sein müßten. Ein renommierter Afrika-Sprachforscher schrieb:

„Als ich mit der Arbeit über die Yorubasprache begann, glaubte ich, die Wörter auf einer Seite unterbringen zu können. Erst später merkte ich, daß es ein ”endless stream” war.“

Die Shonasprache Zimbabwes weist 256 verschiedene Arten des Genitivs auf, von denen jeweils nur eine verwendet werden darf; die Fulsprache des westlichen Sahel kennt etwa 300 Bezeichnungen für Rinderarten usw. Verglichen mit den meisten afrikanischen Sprachen ist die Weltwirtschaftssprache Englisch von auffallender Einfachheit.

III.       Resumé

Afrikas ungünstige Bevölkerungsentwicklung im Vergleich mit anderen Regionen erweist sich heute im weltweiten Wettbewerb der Individuen und Staaten, die die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entfaltung der Individuen bereitstellen, als Nachteil. Die geringe Bevölkerungsdichte trug dazu bei, daß diese Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich wenig leistungsfördernd sind; sie verzögerte Prozesse wie Spezialisierung und Innovation in verschiedenen politischen wie wirtschaftlichen Kernbereichen, die für effizientes Wirtschaften unverzichtbar sind. Die ungünstige Bevölkerungsverteilung im Vergleich etwa mit dem Fernen Osten erschwert wiederum den Aufbau von Binnenmärkten und mit ihnen die Förderung von Industrialisierungsprozessen.

Afrika hat in vielen Bereichen innoviert, jedoch relativ wenig in den Bereichen, welche im weltweiten Wettbewerb heute Vorteile bringen. Innovation und Produktivität dürften nicht das Merkmal bestimmter Kulturen, sondern der Rahmenbedingungen und hier vor allem von historischen Notwendigkeiten im Überlebenskampf einer Gesellschaft oder von Individuen sein. Die größeren ökonomischen, politischen und agrarischen Schwierigkeiten der Menschen und Gesellschaften Asiens und Europas in der Vergangenheit erforderten von ihnen Einstellungen und Antworten, die ihnen heute Konkurrenzvorteile im weltweiten Wettbewerb geben.

Jedoch ändern sich die Einstellungen der Menschen Afrikas rapide. Nach einer langen, aber brotlosen Phase, in welcher die Lösung von Problemen, aber auch die Schuld an ihnen vorwiegend außen gesucht wurde, ist eine wesentliche Zunahme an Selbstkritik und damit auch an konstruktivem Handeln zu erkennen. Die Politiker sind heute eher Pragmatiker, auch durch wachsenden Druck des Volkes bewirkt, weil die Begrenztheit der Ressourcen erkannt wurde. Vorbei scheinen  die Zeiten, als unter Moussa Traoré in Mali Antikorruptionskampagnen gestartet wurden, die das Volk belustigt, aber nicht erbost ”sosotox” nannte: ein Moskitospray, welches von Moskitos selbst entwickelt wurde (um ihnen nicht zu schaden). Das gibt mir Hoffnung für ein ökonomischeres Afrika und konkurrenzfähigeres Afrika.

IV.       Literatur

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    1.  

Land größtes Volk Anteil an Bevölkerung zweitgrößtes Volk Bevölke­rung (Mill) BNP /Kopf BSP-Zuwachs 1980-93 Dichte Putsche 1960-1991
AFRIKA SÜDL. DER SAHARA  
Ä.Guinea Fang 57% 10% Bubi 0,4 6540 1,1 13,5 4
Angola Ovimb. 37% 22% Kimbundu 10,3 969 -0,9 8 1
Äthiopien Oromo 40% 32% Amharen 53,6 100 -1,8 46 6
Benin Fon 39% 12% Yoruba 5,1 430 -0,4 45 7
Botswana Tswana 80% 2,4% San 1,4 2790 6,2 2,4 0
Burkina F. Mossi 48% 17% Mande 9,8 300 0,8 36 9
Burundi Hutu 85% 14% Tutsi 6,0 180 0,9 216,5 6
Côte-d’I. Baoule 23% 18% Bété 13,3 630 -4,6 41 0
Dschibuti Issa 50% 40% Afar 0,1 780 5,6 24 1
Eritrea Tigrinya 50% 30% Tigrer 3,4 115   28  
Gabun Fang 32% 12% Eskira 1,0 4960 -1,6 3,8 1
Gambia Mandinka 44% 17% Ful 1,0 350 -0,2 92 1
Ghana Akan 52% 16% Mossi 16,5 430 0,1 69 9
Guinea Ful 30% 30% Malinke 6,3 500 1,3 26 2
Guinea-B. Balanta 25% 20% Ful 1,0 240 2,8 28,5 2
Kamerun Bamiléké 20%   12,5 820 -2,2 26 1
Kenya Gikuyu 21% 14% Luhya 25,3 270 0,3 43,5 1
Komoren Komorer 97%   0,5 560 -0,4 253 4
Kongo Kongo 52% 24% Teke 2,4 950 -0,3 7 9
Lesotho Sotho 99%   1,9 650 -0,5 64 3
Liberia Kpelle 20% 14% Bassa 2,8 200   26 5
Madag. Madag. 99%   13,9 220 -2,6 24 3
Mali Bambara 32% 14% Ful 10,1 270 -1,0 8 2
Mauret. Mauren 81% 7% Wolof 2,2 500 -0,8 2,1 6
Mauritius Inder 69% 27% Kreolen 1,1 3030 5,5 535 0
Mosambik Makua 47% 23% Tsonga 15,1 90 -1,5 19 1
Namibia Ovambo 50% 9% Vango 1,5 1820 0,7 1,8 0
Niger Hausa 54% 21% Djerma 8,5 270 -4,1 7 3
Nigeria Hausa 21% 21% Yoruba 105 300 -0,1 114 11
Ruanda Hutu 90% 9% Tutsi 7,55 210 -1,2 287 2
Sao Tomé       0,1 330 -1,2 122 3
Senegal Wolof 44% 18% Serer 7,9 750 0 40 0
Seychellen Kreolen 89%   0,1 6280 3,4 159 5
Sierra L. Mende 36% 31,7%Temne 4,5 150 -1,5 62 3
Simbabwe Shona 77% 17% Ndebele 10,7 520 -0,3 27,5 0
Somalia Somali 95%   8,9 120 -2,3 14 2
Südafrika Zulu 24% 18% Europ. 39,7 2980 -0,2 32,5  
Sudan Araber 40% 10% Nubier 26,6 400 -0,2 11 14
Swaziland Swazi 97%   0,9 1080 3,0 51 1
Tansania Sukuma 13% 4% Makonde 28 90 0,1 30 0
Togo Ewe 46%   3,9 340 -2,1 68 5
Tschad Sara 30% 15% Araber 6 210 3,2 4,7 4
Uganda Ganda 28% 12% Karam. 18,0 180 1,9 75 8
Zaire Luba 18% 16% Kongo 41,1 210 -0,8 18 1
ZAR Banda 30% 24% Gbaya 3,2 210 -0,8 5,1 6
OST- UND SÜDOSTASIEN  
China Han-Chin. 92% 3% Sino-Thai 1178 490 8,2 123 0
Indonesien Javaner 45% 14% Sundan. 187,2 740 4,2 98 2
Japan Japaner 99% 0,6% andere 124,5 31490 3,4 330 0
Kambod. Khmer 92% 5% Vietnam. 9,7 200 1,5 53,5 3
Laos Lao Loum 55% 27% Lao T. 4,6 280 2,1 19 2
Malaysia Malayen 62% 30% Chinesen 19,1 3140 3,5 58 1
Myanmar Burman 67% 6,3% Kayin 44,6 250 0,8 66 5
Nordkorea Koreaner 100%   23 900 -5,7 191 0
Philippinen Jungphilip. 40% 30% Indonesier 64,8 850 -0,6 216 5
Singapur Chinesen 76% 15% Malaien 2,8 19850 6,1 4353 0
Südkorea Koreaner 100% 20 000 Chin. 44,1 7660 8,2 444 1
Taiwan Taiwanese 84% 14% M. C. 20,9 10550 7,6 579 0
Thailand Thai 80% 12% Chinesen 58,1 2110 6,4 113 5
Vietnam Vietnam. 87% 3% Chinesen 71,3 170 4,8 216 3
                   

Daten aus Fischer Weltalmanach 1996:31-5; Putsche=Putsche und Putschversuche, Daten aus Pfetsch 1994. Angaben zu Südafrika aus Haak-Kartenbuch  (Haak, 1989).

 

    •  

(auf der Basis der im Anhang aufgeführten Daten)

  Bevölkerung/ Dominanz Dominanz/ BNP Dominanz/ Zuwachs Dominanz Dichte Dominanz/ Putsch Bev.Größe/ BNP Bevölk./ Zuwachs BNP
Afrika -0,49 0,28 0,02 0,15 0,09 -0,53 -0,31
Asien 0,12 0,12 0,26 0,37 -0,40 0,12 0,26

  Bevölk./ Dichte Bevölk./ Putsch BNP/Dichte BNP/Putsch Zuwachs/ Dichte Zuwachs/ Putsch Dichte/ Putsch
Afrika -0,02 0,06 -0,05 -0,21 0,11 -0,04 0,13
Asien 0,37 -0,40 0,44 -0,61 0,43 -0,31 -0,26

Beziehung zwischen Landesbevölkerung (X-Achse: Ränge, 1=größtes Land) und Anteil des größten Volkes (in Teilen vom Ganzen, y-Achse)

Diskussion der Zusammenhänge

Bevölkerung(sgröße)/Dominanz einer Bevölkerungsgruppe: In Afrika steigende Inhomogenität bei steigender Bevölkerungszahl (siehe Grafik, bedingt durch Mangel an langandauernden Hegemonien), in Asien umgekehrt;

Dominanz/Bruttonationalprodukt: Je homogener eine Bevölkerung, desto höher das BNP (kleinere Korrelationen);

Dominanz/Zuwachs: Je homogener die Bevölkerung, desto höher die Zuwachsraten in Asien, in Afrika kaum gegeben;

Dominanz/Dichte: Je dichter die Besiedelung eines Landes, desto homogener die Bevölkerung (stärkerer Zusammenhang im Fernen Osten durch längerandauernde Verschmelzungsprozesse (lange Hegemonienerfahrung);

Dominanz/Putsch: In Asien deutlicher Zusammenhang zwischen ethn. Homogenität und Stabilität, in Afrika leicht umgekehrt, vielleicht bedingt durch Absenz innerer Einigung von als Ethnien beschriebenen Volksgruppen;

Bevölkerung(sgröße)/BNP: Je größer ein Land Afrikas, desto geringer sein BNP (vielleicht bedingt durch geringere ethnische Homogenität und/oder geringere Dichte), in Asien leicht umgekehrt;

Bevölkerung(sgröße)/Zuwachs des BNPs: Je größer die Landesbevölkerung in Asien, desto höher der BNP-Zuwachs des; in Afrika leicht umgekehrt (Begründung wie bei Bevölkerung:BNP);

Bevölkerung/Dichte: Je größer die Bevölkerung eines asiatischen Landes, desto dichter die Besiedlung (günstig für Binnenmärkte und Infrastrukturerrichtung), in Afrika kein Zusammenhang;

Bevölkerung/Putsch(versuchen): in Asien größere Stabilität bei steigender Bevölkerung, in Afrika (Störfaktoren Inhomogenität, geringere Dichte) kein Zusammenhang;

BNP/Putsch: Je höher das BNP, desto geringer die Putschgefahr. In Asien noch viel deutlicherer Zusammenhang als in Afrika (vielleicht bedingt durch dann kleinere Landesgröße),

Zuwachs des BNPs/Dichte: Je größer die Dichte in Asien, desto schneller wächst das BNP; in Afrika wesentlich geringerer Zusammenhang (Störfaktoren: geringere Bevölkerung bei steigender Dichte=kleinere Binnenmärkte);

Zuwachs des BNPs/Putsch: Je schneller Wirtschaftsentwicklung, desto geringer die Putschgefahr (in Afrika geringer Zusammenhang, vielleicht durch größere Verteilungskämpfe wegen geringer Homogenität bedingt);

Dichte/Putsch: je höher die Bevölkerungsdichte in Asien, desto geringer die Putschgefahr; in Afrika leicht umgekehrt (möglich: dichterbesiedelte Staaten Afrikas sind auch kleiner, dadurch auch leichter zu „putschen“ und/oder Homogenität nimmt nicht in ähnlich wie in Asien mit Dichte zu).


[1]      Universitätslehrer an verschiedenen Universitätsinstituten (Afrikanistik, Völkerkunde, Soziologie); Gastprofessor an der Universität Sophia Antipolis, Nizza; Bildungsreferent des Afro-Asiatischen Instituts Wien; zahlreiche Feldforschungen in Afrika.

[2]      Reale Kaufkraft/Kopf (PPP=Purchasing Power Parities). Damit läßt sich die reale Kaufkraft des Pro-Kopf-Einkommens messen. Das Tauschverhältnis von Währungen wird auf der Basis eines Warenkorbs so gestaltet, daß es dem Verhältnis der jeweiligen Binnenkaufkraft entspricht. Die PPP werden in “internationalen Dollar” angegeben (nach Stiftung Entwicklung und Frieden 1993/94:391)

[3]      Joanna Moss und John Ravenhill zeigten (1989), daß es den afrikanischen Ländern langsam, aber zunehmend zu gelingen scheint, die Abhängigkeit von einigen wenigen Rohstoffen und Handelspartnern zu verringern und ihre Exporte zu diversifizieren

[4]      Im Fernen Osten konnte Fluchtkapital häufig in Banken benachbarter Länder untergebracht werden, was der Region nützte. 1980 wurde das Fluchtkapital Indonesiens auf mindestens US$ 20 Mlld., mehr als die Landesschulden, geschätzt. Der Großteil der Gelder landete auf Konten in Singapur und Hongkong (nach Helmut Lukas/ Völkerkunde, Univ. Wien)

[5]      Zahl aus dem Rapport annuel de la Société financière mondiale, zitiert in Jeune Afrique 1813:54 vom 5.Oktober 1995

[6]      Der Anteil der in Afrika getätigten Auslandsinvestitionen ging von 16% im Jahr 1970 auf 3,4% 1995 zurück. Zahlen aus Rapport annuel de la Société financière mondiale (s. Anm. 4)

[7]      Wachsende Budgetdefizite der traditionellen Geberländer, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nach bequemen Ausreden suchten, um ihre “Hilfe” kürzen zu können, beschleunigten die Veränderung. Oft wurden als Bedingung für “Hilfe” Demokratisierung und Mehrparteienpolitik westlichen Stils genannt, was zum “Wettlauf um Demokratie” beitrug

[8]      Siehe dazu Artikel von Rainer Tetzlaff (1991:5-28) über die Politisierung von Ethnizität

[9]      Siehe dazu z.B. Roman Loimeier (1992:59-80) zur Politisierung von Religion in Nordnigeria

[10]     Nohlen & Nuscheler (1993a:34ff) führen in einer sehr umfassenden Übersicht u.a. folgende interne wie externe Gründe für die Krise der afrikanischen Entwicklung an:

         Erblasten des Kolonialismus: kaum Nationalstaaten durch willkürliche Grenzziehung; niedriger Stand der Produktivkräfte hinterlassen; monokulturelle Spezialisierung der Kolonialwirtschaften; großes Entwicklungsgefälle zwischen Hauptstädten und Hinterland; Balkanisierung Afrikas hinterließ zahlreiche Kleinstaaten; Bildungs- und Gesundheitswesen auf sehr niedrigem Niveau hinterlassen; Koloniale Fremdherrschaft in jedweder Verwaltungsform bedeutete Überlegenheit und Unterwerfung.

         Probleme der Landwirtschaft: Armut und Regenunsicherheit vieler Böden; Bevorzugung von Cashcrop-Produktion durch Kolonialmächte wie Nachfolgeregierungen; Bevorzugung von kapitalintensiven Großprojekten gegenüber Kleinbauern; Vermarktung und Verteilung auf Marketing Boards konzentriert; nur geringer Teil der Mittel für Förderung der Landwirtschaft aufgewandt; Bauern als Experimentierobjekte verwendet; Import billiger Nahrungsmittel verdrängte eigene Bauern vom Markt; Kriege intensivierten Nahrungsmittelprobleme;

         Die ökologische Krise: Zerstörung des tropischen Regenwaldes; Bodendegradation und Desertifikation; Wassermangel, Entsorgungsprobleme und Konflikte um Wasser; Afrika als Müllkippe Europas; Die Umweltschäden des Bergbaus

[11]     Eine interessante Übersicht findet sich bei Robert Carnairo (1973:152-175). Sogenannten voluntaristischen Theorien, welche die Entstehung größerer Systeme auf der Basis der Freiwilligkeit sehen, stehen sogenannte Zwangs­theorien gegenüber. Diese gehen von der Annahme aus, daß autonome politische Einheiten ihre Souveränität nicht ohne umwälzende äußere Zwänge aufgeben, um größere Strukturen zu ermöglichen

[12]     Das Reich Großzimbabwe basierte auf Viehzucht, was diese Ansicht relativiert

[13]     Tetzlaff gibt zwar sicher das dominierende Bild Afrikas wieder, vernachlässigt aber doch einige größere vorkoloniale Strukturen mit erheblich größerer Komplexität, wie z.B. Benin

[14]     In vielen Ländern Asiens wurde hingegen die nachkoloniale Staatenbildung durch vorkoloniale Hegemonien wesentlich erleichtert, die eine gemeinsame Identität förderten. Bereits 300 v.Chr. errichtete z.B. der Jamatostaat seine Hegemonie über die japanischen Inseln; vom 7.-13. Jh. bestand in Indonesien bereits das Reich von Sriwidjaja, das in seiner Herrschaft über Sumatra, Borneo und Malakka vom Reich Madjapahit abgelöst wurde

[15]     Anthony O’Connor (1983:41): In the mid nineteenth century large towns were almost entirely confined to south-western Nigeria, but a series of medium-sized towns extended across the savanna zone of West Africa, and many small settlements were strung along the coasts from Saint-Louis to Lobito and from Mogadisho to Maputo”

[16]     Nuscheler & Ziemer (1989:89ff) sahen folgende Startprobleme der afrikanischen Staaten: Identität: Die Nation war für große Teile der Bevölkerung noch künstliches oder fremdes Gebilde; Legitimität: Herrschaftsordnung und Politik konnten sich nur selten auf Zustimmung stützen; Partizipation: Masse der Bev. kaum an polit. Entscheidungsprozeß beteiligt; Penetration: Verwaltung durchdringt Hinterland nur lückenhaft; Distribution: Güter und Leistungen zwischen Regionen und sozialen Gruppen blieben höchst ungleich verteilt; Integration: Den jungen Staaten fehlte nahezu jegliche Grundlage für Nationalstaaten (außer Somalia, Lesotho und Swaziland)

[17]     Der Vater des Historikers Joseph Ki-Zerbo, ein Samo, berichtet in seiner Autobiographie, daß er noch Ende des 19. Jh. von einem anderen Samo-Dorf als Sklave genommen wurde

[18]     Thomas Labahn (in Nohlen & Nuscheler 1993b:135) schreibt über die Herkunft der Somalis: ”Ihre ethnisch-kulturelle Homogenität zeigte sich nur bei äußerer Bedrohung. Nach innen bildeten sie nie eine festgefügte politische Einheit, sondern waren in eine Vielzahl von Clans, Subclans und Familienverbände zersplittert”

[19]     Erst im 19. Jh. fanden verschiedene Völker im Reich Swazi eine gemeinsame Identität.

[20]     Kenneth Good (1994:509-515) beschreibt z.B. anschaulich, wie die National Development Bank in Botswana durch nicht gerechtfertigte, nicht zurückgeforderte noch zurückgezahlte Kredite durch Spitzenpolitiker an den Rand des Bankrotts geriet

[21]     Zitiert in Jeune Afrique 1831/1996

[22]     Nur wenige Länder wiesen eine so engagierte Schulbildung bis ins höchste Niveau wie Guinea unter Sekou Touré auf, wo insgesamt 8 verschiedene lokale Sprachen zur Ausbildung verwendet wurden. Nach seinem Tode wurde ihre Verwendung erheblich eingeschränkt, da der Unterricht in 8 lokalen Sprachen nicht nur kostspielig war, sondern auch die Schulabgänger Guineas wachsende Verständnisprobleme mit Bürgern der Nachbarländer hatten, deren (europäische) Nationalsprachen sie kaum beherrschten

[23]     Delafosse (1929:19) gibt die Zahl der damaligen Mandekan-Sprecher mit etwa 4,8 Millionen an, heute kann ihre Zahl auf zumindest 30 Mill. Menschen geschätzt werden, d.h. daß die Zahl der Sprecher zumindest doppelt so schnell wuchs wie die Bevölkerung.

[24]     Noch immer sind interkulturelle Heiraten in Afrika eher die Ausnahme. O’Connor (1983:120) zitiert verschiedene Untersuchungen in Städten West- und Ostafrikas. In Kampala wurden 1973 nur 8% der Heiraten zwischen verschiedenen Völkern geschlossen. In einer Studie von Schildkrout (1978) waren 20% der Wanderarbeiter aus dem Norden in Kumasi mit PartnerInnen aus anderen Ethnien verheiratet, aber 40% ihrer in der Stadt geborenen Kinder, was den Einfluß von Verstädterung auf die Auflösung der Volksgrenzen zeigt.

[25]     Tetzlaff nennt ”enforced ethnicity” ein typisches Produkt der Kolonialzeit. ”’Geschlossene Ethnien‘ wurden von Kolonialherren aus Opportunitätsgründen erfunden. Beispielsweise hat die britische Kolonialverwaltung in Nigeria, in Rhodesien und Uganda vorgefundene ‚lineages‘, Clans und Dorfverbände zu ‚tribes‘ mit verantwortlichen Chefs deklariert, um so Verantwortliche für Fronarbeiten und Steuereintreibung benennen und zur Rechenschaft ziehen zu können” (Tetzlaff 1991:12)

[26]     Siehe Ebermann (1989). Da tieferes Wissen nicht in der Gruppe, sondern individuell weitergegeben wird, muß sich der Einzelne bemühen, die Gunst der Alten zu gewinnen, wie durch häufiges Mitbringen kleinerer Geschenke (z.B. Kolanüsse), durch ständige Respekterweisung und durch das Bestreben, soviel Zeit wie möglich bei ihnen zu verbringen. Bei diesen Zusammenkünften wartet er geduldig darauf, daß die Alten von sich aus etwas erzählen, wobei er meist keinen Einfluß auf das Thema hat. Er unterläßt es auch, die Alten direkt und allzuviel zu fragen, da dies als Zeichen mangelnden Respekts gilt. Diese Verhaltensweisen sind aber denen von Sozialrevolutionären diametral entgegengesetzt, so daß ausschließlich Angepaßte in tiefere Wissenssphären initiiert werden. Dies wirkt systemstabilisierend.

[27]     Es ist auffallend, daß synkretistische Religionen in Asien meist als Sonderformen des Hinduismus oder des Islams bezeichnet werden, in Afrika nahezu ausschließlich als Formen des Christentums oder des Islams, nicht aber als von durch Christentum oder Islam beeinflußte afrikanische Formen. Nur ein geringer Teil der gebildeten Afrikaner ist bereit, sich offen zu traditionellen Religionen Afrikas zu bekennen (persönl. Eindruck).

[28]     Dieter Senghaas schreibt (1986:85): ”’Kultureller Revivalismus‘ (von der Art der Re-Islamisierung) ist also vor allem in einer entwicklungspolitischen Krisenregion zu erwarten, in der soziale Mobilisierung weit fortgeschritten ist, die Zerklüftung der betroffenen Gesellschaft sich vertieft und – was nicht in allen Kulturen möglich ist – eine Rückbesinnung auf eine vergangene Hochkultur stattfindet”

[29]     Ich frage mich, ob nicht auch die in einigen afrikanischen Regionen spürbare Wiederaufwertung der Weißen wider besseren historischen Wissens mangels anderer Alternativen als Fundamentalismus zu deuten ist. Das Versagen vieler lokaler Eliten führte mancherorts zur Glorifizierung der Weißen, zu einer Art Europa-Nostalgie, die durch keinerlei Erfahrungen der Kolonialzeit gerechtfertigt war. Bei einer Studie in einem Bambaradorf in Mali 1991 meinten 3 von 64 Befragten, daß die Regierung bemüht sei, ihnen aus ihrer Not zu helfen; hingegen alle 64, daß die Weißen bemüht seien, ihnen zu helfen. Dies ist sicherlich nur mit der großen Enttäuschung über die herrschende Elite (damals Traoré) zu erklären. Die Reinterpretation von Traditionen könnte ähnlich aufgefaßt werden. So wird der Ursprung des Bambara-Geheimbundes Komo von Anhängern im Beledougou nach Mekka verlegt (vgl. Ebermann 1989)

[30]     Auch innerhalb der Oralkulturen scheint es Unterschiede bezüglich des Selbstwertgefühls zu geben, wobei an Herrschaft gewohnte Völker etwas anders als an Unterordnung gewohnte Völker zu reagieren scheinen. Die Bambara, das dominierende Volk Malis, hervorgegangen aus dem Königreich von Mali, zeigen gleichermaßen mehr Selbstwertgefühl und weniger Fatalismus als etwa die an Unterordnung gewohnten Bozo. Auch die Gikuyu Kenyas, deren Existenz auf dem fruchtbaren Hochland um Nairobi stets durch weiße Siedler gefährdet war und die dadurch tägliche Kompromisse schließen mußten, scheinen wesentlich weniger Selbststolz aufzuweisen als z.B. die in ariden und daher unattraktiven Gebieten lebenden Viehzüchter der Maasai. Gleichermaßen könnte eine extrem lebendige Minnesängertradition, wie bei den Bambara oder Malinke Westafrikas, den Verlust des Selbstwertgefühls verringern und eine Entsprechung zur Schriftliteratur darstellen.

[31]     Nach Helmut Lukas, Institut für Völkerkunde Wien, hat etwa die Nestlé-Babymilchkam­pagne in Indonesien kaum Werbeerfolge gezeitigt, während sie auf den Philippinen großen Erfolg hatte. Lukas könnte sich vorstellen, daß die oben beschriebenen Analysen auch für diesen Unterschied erklärend sein könnten. Urbanisation ist in der philippinischen Geschichte von wesentlich geringer Bedeutung als in der Indonesiens.

[32]     Ausnahmen waren z.B. die Handelsbeziehungen der Portugiesen an der Goldküste im 16.-17. Jh., wo ihre Waren für so minderwertig betrachtet wurden, daß sie Waren im Reich Benin einkauften, um sie mit Gewinn an der Goldküste weiterzuverkaufen.

[33]     Einen Hinweis auf das schon frühzeitige Wirken des Gesetzes von Angebot und Nachfrage gibt die Erzählung der Pilgerreise des malischen Herrschers Kankan Musa nach Mekka, anläßlich derer er in Ägypten derartig viel Gold verschenkte bzw. ausgab, daß der lokale Goldkurs auf die Dauer von 12 Jahren sank (Tall 1973:153).

[34]     Anthony Hopkins (1973:76): ”Local trade, by definition, served a market which was too small in terms of numbers of consumers and purchasing power to justify the introduction of cost-reducing innovations and greater specialisation … Underpopulation was critical in preventing market growth because it encouraged extensive cultivation, favoured dispersed settlement and generated strong tendencies towards local self-sufficiency”

[35]     Die Elenantilope wird als Wildrind betrachtet und daher auch gejagt.

[36]     Eigene Erfahrungen in einem Maasaidorf in Kenya Juli-September 1978

[37]     Im Dorf Sonongo 200 km nördlich von Koulikoro (Mali)

[38]   Timberlake (1988:132) verweist auf einige Ausnahmen: die Chagga Tansanias und einge andere Völker betreiben eine komplexe Forstwirtschaft. Auffällig ist, daß auch hier vorwiegend dichtbesiedelte Gebiete genannt werden.

[39]     Beach (1980:51) nimmt an, daß das Königreich von Zimbabwe, eine städtische Kultur, wegen großflächiger Umweltzerstörung im 16. Jh. seine Existenzgrundlage verlor und zerfiel.

[40]     Jean Boulet, Magoumaz, pays mafa; Monographie von ORSTOM, zitiert in Giri 1986:188

[41]     Giri beschreibt dies so (1986:188): ”… chaque actif agricole ne cultive pas plus d’un demi-hectare, mais il n’y a pratiquement ni jachère ni friche. Les champs ont été épierrés et aménagés en terrasses pour améliorer l’infiltration des eaux de pluie et empêcher l’érosion des terres. On y dispose en plus des sortes de barrières, faites avec des herbes coupées et posées sur le sol, les ‚dzalas‘; ces barrières freinent le ruissellement et se transforment peu à peu en terreau qui sera utilisé comme engrais. Chaque paysan possède souvent un boeuf et, en moyenne, un mouton, trois chèvres et une vingtaine de poules. Il utilise intégralement la fumure animale que lui procure ce modeste troupeau. Seuls les arbres utiles ont été conservés et ils sont exploités au même titre que les champs. Moyennant quoi, ces terroirs arrivent à nourrir leurs hommes et à produire en plus un peu d’arachide et de tabac. Et ils le font avec les moyens du bord, sans acheter d’engrais minéraux coûteux …”

[42]     Als Sankara 1985 auf sein eigenes Flugzeug verzichtete, wurde ihm dies von Teilen der Öffentlichkeit Burkina Fasos als Eingeständnis von Armut nachgetragen.

[43]     In Taiwan studierten 1985 767 pro 100.000 Menschen Maschinenbau, in 13 Ländern Afrikas mit verfügbaren Statistiken lag der Schnitt bei 9/100.000 (Zymelman 1990:27).

[44]     Deborah Bräutigam 1994:126

[45]     Nohlen & Nuscheler 1993b:548

[46]     Wegen des Vorkommens von Extremwerten wurde in allen angegebenen Fällen auf Rangkorrelationen zurückgegriffen.

[47]     Im Dorf Nkorongoji 50km nördlich von Bamako


 

 [B1] Noch zu ergänzen: Entwicklungspolitische Notwendigkeiten: Stärkung des Nation-Building-Prozesses, in Afrika werden vorwiegend – bei schwachen Staaten – Prozesse gefördert, die die Staaten weiter schwächen, wie Gewerkschaften, NGOs etc.

Untersuchung der Korelationen Kolonialismusdauer- und -macht mit Entwicklung

Korelation Homogenität: Entwicklung bereinigt um Größe gemeinsam für Afrika und Asien

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