Das Scheitern der Vermittler

Das Scheitern der Vermittler

(hier als PDF)

Das hohe Ausmaß der Ablehnung verschiedener Zuwanderergruppen und besonders von Afrikanern in Wien und Österreich spricht eine klare Sprache: Es ist bis heute nicht gelungen, das negative Bild Afrikas und seiner Menschen wesentlich zu korrigieren. Einer der Gründe der Dauerhaftigkeit vieler für Afrikaner besonders schmerzvoller Vorurteile liegt meiner Ansicht nach auch im Scheitern der Vermittler, also der Menschen und Bereiche, die als Experten und Kundige das Bild der meisten Menschen über Afrika in besonderem Maße prägen oder prägen könnten:

Zerbombte Brücken: Viele Tausende Menschen wären dank ihrer Kenntnisse anderer Kulturen hochqualifizierte Vermittler und Brückenbauer zwischen Kulturen, würden sie nicht eigene innergesellschaftliche Kulturkämpfe mit ihrem Engagement vermengen. Viele von ihnen sorgen mit ihren Handlungen und Aussagen oft dafür, daß sinnvolle Botschaften wegen des damit verbundenen Kanonendonners nicht mehr gehört werden. Hier finden Sie 15 Tipps, wie Sie garantiert erfolglos bei der Vorurteilsbekämpfung bleiben werden;

Zum Schaden der Spott: In manchen humanitären Bereichen, in welchen besonders lautstark die Forderung nach einer gerechteren Welt erhoben wird,  triumphieren gerade bei wichtigen Stellenbesetzungen oft Politik, Klientelismus, finanzielle Eigeninteressen und persönliche Machtansprüche über die Interessen der Menschen, denen man zu helfen vorgibt. Das daraus folgende Scheitern von Projekten wird meist den Afrikanern angelastet, wodurch ein doppelter Schaden für diese entsteht.

Berichterstattung mit schwarzem Trauerrand: Der Journalismus trägt mit seiner sensationsorientierten Berichterstattung, die großteils auf Katastrophenmeldungen aus Afrika spezialisiert ist, erheblich zur Assoziation von Afrikanern mit Problemen und Krisen bei.

Zerbombte Brücken – Warum integrative Überzeugungsarbeit oft wirkungslos bleibt

Viele Menschen bemühen sich seit Jahrzehnten um eine bessere Akzeptanz von Afrikanern und anderen Zuwanderergruppen in Wien. Einzelne politische Parteien wie die Grünen sind zu Lobbies für Afrikaner geworden und bieten ihnen viele Selbstdarstellungsmöglichkeiten. Menschenrechtsorganisationen, Institute der entwicklungspolitischen und integrativen Bildungsarbeit, eine Reihe von NGOs im Integrationsbereich und viele weitere Einrichtungen oder Personen legen viel Engagement an den Tag, um interkulturelle Spannungen und Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu bekämpfen. In Presse, Rundfunk und Fernsehen  kritisiert eine Reihe engagierter Journalisten ausschließende und völkerverhetzende Tendenzen. Dennoch nimmt die Ablehnung von Zuwanderern und besonders von Afrikanern seit einigen Jahren zu.

Waren wir machtlos gegen diese negative Entwicklung? Gibt es ein Naturgesetz, daß eine bereits eher fremdenablehnende Gesellschaft durch Globalisierung und verstärkte Migration zwangsläufig noch egoistischer, rechtsgerichteter und fremdenablehnender wird?

Haben wir, die oft politisch linksstehenden „Wissenden“, die häufig auch über eine profunde Kenntnis der Zuwandererkulturen verfügen, die logische Vermittler zwischen dem ablehnenden Teil der Gesellschaft und den zugewanderten Afrikanern wären, immer die richtigen Worte beim Vermittlungs- und Streitschlichtungsgespräch gefunden? Waren unsere wohlintendierten Aktivitäten mitunter sogar kontraproduktiv? Fehlten uns nicht die Argumente, sondern vielleicht die notwendige Glaubwürdigkeit und Didaktik, um viele zurückhaltende Menschen auf unsere Seite zu ziehen? Geht die abnehmende Akzeptanz von Zuwanderern nur zufällig einher mit einer wachsenden Distanz zwischen Engagierten, linksstehenden Intellektuellen und einem großen Teil der österreichischen Bevölkerung? Benutzten wir mitunter Zuwanderer in der Diskussion, um innergesellschaftliche Konflikte auf ihrem Rücken auszutragen oder im Extremfall, um der eigenen Karriere zu nützen? Wir für Zuwanderer Eintretende sind häufig davon überzeugt, daß wir die besseren Menschen und die besseren Demokraten mit den edleren Motiven sind. Wir sollten uns langsam zu fragen beginnen, warum uns das so wenige glauben. Was machen wir falsch? Wo müssen wir überzeugender werden?

Wir fordern Toleranz des reservierten Bevölkerungsteils für andere Ideen, anderes Sein, anderes Tun und öffnen dennoch so extrem schnell unsere Schubläden, daß wir uns selbst karikieren. Wir schließen auch durch Kategorisierungen Menschen so schnell aus, daß wir ihnen oft keine Chance mehr lassen, sich für unsere Richtung zu entscheiden. Wir sind oft so leicht angreifbar in unseren Angriffen, daß wir nicht überzeugend wirken können. Wir urteilen rasch und mit oft sehr niedrigen Standards über die „Schlechtigkeit“ und den „Rassismus“ der Gesellschaft und der Anderen. Wir vergessen häufig, daß man auch im Privatleben im Zweifel für den Angeklagten sprechen sollte. Haben wir wirklich weniger Vorurteile als die Rechte? Sind wir vielleicht zum Teil nur eine elitäre, eingebildete Schicht, die trotz genügend eigener Schwächen immer nur gelernt hat, auf die anderen zu deuten und die ihre eigene Qualität vor allem durch negatives Marketing für andere herauskehrt? Sind wir oft nicht deshalb gut, weil wir Gutes tun, sondern weil wir Schlechtes kritisieren?

Wie man gekonnt die Menschen an die Rechten und Fremdenablehnenden verliert: Eine Polemik

Afrikaner sind das sichtbarste Symbol von Zuwanderung. Negative Einstellungen gegenüber Migranten betreffen daher Afrikaner als eher marginalisierte Gruppe besonders. In der Folge wird in einem breiteren Ansatz das weitgehende Scheitern derer untersucht, die sich um eine generelle Transformation und Öffnung der Gesellschaft und damit auch für Zuwanderer bemühen. Wer seine Glaubwürdigkeit und Mittlerrolle im öffentlichen Politikdiskurs verliert, verliert sie natürlich auch in damit assoziierten Bereichen, wie in denen der Integration. Wer als einseitig, überheblich und belehrend empfunden wird, wird auch in Integrationsfragen weniger gehört werden. Wer andere durch Abgehobenheit und Schubladisierungsleidenschaft ausschließt, kann kaum mit Forderungen nach Integration und Toleranz erfolgreich sein.

Um erfolgreich meinungsbildend zu sein, benötigt man besonders die nachvollziehbare Kompetenz des Meinungsbildners; eine gute Sprecher-Hörer-Beziehung mit einem fairen Diskussionsverhältnis zwischen „Lehrer“ und „Belehrtem“, bei welchem nicht nur die „Lehre“, sondern auch das Interesse am Belehrten von Bedeutung ist; sowie die Glaubwürdigkeit des Lehrers, v.a. was eigenes Tun und das Vermeiden doppelter Standards anbetrifft.

Ich habe in vielen Jahren der Beschäftigung mit Integration und Entwicklung, bei der Organisation und Durchführung von Hunderten von Veranstaltungen zu Integrationsfragen eine Fülle engagierter, ausgewogener und didaktisch hochbegabter Menschen kennengelernt, die ich ausdrücklich von der folgenden Kritik ausnehmen möchte. Doch wird ihre Arbeit oft durch schrille Töne anderer, meist Lauterer übertönt. Der weitverbreitete Eindruck der Abgehobenheit und Selbstherrlichkeit einer engagierten Szene beeinträchtigt auch ihre Arbeit in hohem Maße. Ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die sich für andere einsetzen, seien es Prominente wie Karl-Heinz Böhm (Äthiopienhilfe), Ute Bock (Einsatz für jugendliche afrikanische Asylwerber), Willi Resetarits (Projekt Integrationshaus) oder viele Unbekannte wie Andreas Szabo (der mit großem persönlichen Aufwand afrikanische Künstler fördert) oder Ingo Lantscher (der ein beachtliches Projekt Get-Africa-Connected[1] ins Leben gerufen hat). Ich habe aber meine Probleme mit denen, die es nicht verstehen, Sachkritik von persönlichem Frust und Vernichtungswillen zu trennen. Oft zeigen sie im eigenen Leben keineswegs einen vorbildhaften Umgang mit Abhängigen und Menschen mit anderen Horizonten und Meinungen, versuchen aber, Marktlücken der Menschlichkeit zu besetzen. Sie möchten damit ihre eigene Geltung erhöhen und eine bequeme Ausrede finden, Frust, Selbst- und Fremdhaß als Akte der Menschenfreundlichkeit erscheinen zu lassen.

 Natürliche Lobbies für Afrikaner und andere Zuwanderer finden sich besonders bei den folgenden Gruppen, die in diesem Buch Vermittler genannt werden:

  • Mitarbeitern und Instituten des Integrationsbereichs
  • Mitarbeitern und Instituten des Entwicklungspolitischen Bildungsbereichs (meist auch Arbeitsschwerpunkte im Integrationsbereich)
  • Medien, die teilweise für ihren Einsatz für Integration und gegen Vorurteile bekannt sind (z.B. Profil, bestimmte Rundfunk- und Fernsehsendungen)
  • Mitarbeitern der Nord-Süd-Institute der Universitäten
  • politischen Bewegungen mit Arbeitsschwerpunkten in Integrationsfragen
  • verschiedenen kirchlichen Instituten und Vereinen
  • Personen des öffentlichen Interesses sowie Private mit großem Engagement in Integrationsfragen

 Man kann Mitmenschen trotz der richtigen Argumente nicht immer von seinen Anliegen überzeugen. Der Kampf um mehr Toleranz für Zuwanderer wurde im letzten Jahrzehnt eindeutig von der populistischen und fremdenablehnenden Rechten für sich entschieden. Die Rechte stieg ständig in der Wählergunst, obwohl sie eine Fülle von Angriffsflächen bietet. Man denke an Personaldiskussionen, an primitive „Sager“, an manchmal ungenügende Abgrenzung zum Nationalsozialismus, an Korruptionsskandale, an gerichtlich geahndete Handgreiflichkeiten von Spitzenfunktionären in Diskotheken, an häufige Rufschädigung und Rufmord an Dritten, Orientierungslosigkeit ausgedrückt durch häufigen politischen Richtungswechsel und vieles mehr. Dennoch gewann die Rechte erheblich an Popularität und Akzeptanz ihrer oft zuwandererfeindlichen Thesen. 

Viele „Vermittler“ und Bekämpfer der Rechten haben ihr Scherflein dazu beigetragen. Die erfolgversprechendsten und beliebtesten Strategien des Mißerfolgs der Meinungsbildung gegen Rechts und Ausländerablehnung werden in der Folge angeführt.

[1] In diesem Projekt werden mit großem persönlichem Engagement und ohne öffentliche Mittel Computer in Länder West- und Ostafrikas gesandt, EDV-Experten ausgebildet, um die Vernetzung von Menschen in Afrika zu erleichtern. Neben der Modernisierung von Administrationstechniken steht auch die Stärkung der Demokratien im Vordergrund, die durch unabhängige Zugänge zu Information und Informationsverbreitung erfolgen kann.

Höhlen Sie Ihre Sprache aus, bis keine Kritik mehr möglich ist

„Haider ist Hitler!“. Eine mathematische Gleichung, die vom österreichischen Psychologen Erwin Ringel aufgestellt wurde. Also ist Hitler Haider. Aber sind nicht Saddam Hussein oder Pol Pot, ja sogar Le Pen schlimmer als Haider? Waren sie also auch schlimmer als Hitler? Wie nennt man dann Le Pen? Super-Hitler? War also der Holocaust gar nicht so schlimm?

Die Regierung plant die Senkung der Quote für die Zuwanderung von Nicht-EU-Bürgern. Fremdenfeindlich und rassistisch“ nennt das die Grüne Madeleine Petrovic. Fremdenfeindlich? Darüber kann man diskutieren. Rassistisch? Neben Türken und Jugoslawen sind auch Amerikaner betroffen. Wie kreativ wird hier Rassismus interpretiert?

Es vergeht kaum eine Woche ohne Mißtrauensantrag gegenüber einem Mitglied der Regierung. Vor zwanzig Jahren horchte ich auf, wenn ich in Zeitungen von einem Mißtrauensantrag las und dachte mir, daß etwas Gravierendes vorgefallen sein mußte. Heute überlese ich derartige Informationen.

            Bei einer internen Parlamentssitzung über Restitutionsfragen wird Ariel Muzicant, der Vertreter der jüdischen Bevölkerungsgruppe Wiens, nicht zugelassen. „Herrenmenschen-Mentalität“ unterstellt er daraufhin den Regierungsverantwortlichen.

Die Regierung stockt die Familienbeihilfe um einen zweistelligen Milliardenbeitrag auf und erlaubt es erstmals auch Selbständigen und Landwirten, sie zu beziehen. Zu recht kritisieren manche, daß wegen der Zuverdienstgrenze von etwa 1500 €/Monat besserverdienende Frauen darauf verzichten müssen. Obwohl die Familienbeihilfe im Gegensatz zu vorher auch ausbezahlt wird, wenn Frauen weiterarbeiten, vergleicht sie Eva Roßmann in einem Standard-Artikel mit dem Mutterkreuz der Nazis (11.6.2000, Kommentar der Anderen). 

Wir nehmen uns durch extreme Wortwahl kontinuierlich die Begriffe, mit denen wir Menschen vor wirklich negativen Entwicklungen warnen könnten. Wir gebrauchen sie so inflationär und unterschiedslos, bis sie gehaltlos bei einem Ohr hineingehen und beim anderen wieder herauskommen. Wir verlieren zunehmend die Kritikmöglichkeit durch dieses oft kindische Verhalten, Angelegenheiten bis ins Unerträgliche zu dramatisieren. Schwarz-Weiß-Malerei ersetzt und verdrängt Reflektion. Mit welchen sprachlichen Mitteln werden wir noch warnen können, wenn das absolute Grauen in Form eines neuen Hitlers zurückkehren?

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Wie man erfolgreich die eigene Glaubwürdigkeit untergräbt

Sie sei erstaunt, daß stets nur über ihre negativen Aussagen zu Österreich berichtet würde, beklagte Beate Winkler, die Leiterin der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus (EUMC). Tatsächlich wird jede Kritik des EUMC an Österreich fast automatisch von der Kronenzeitung mit scharfen Gegenattacken beantwortet. Es wäre zu leicht, dies allein mit einer automatischen Abwehr gegen Kritik von außen zu erklären, da  die nicht minder kritischen und qualifizierten Berichte des Europarates zu Österreich zu keiner vergleichbaren Abwehrreaktion führten. Die EU-Beobachtungsstelle machte – und das ist eigentlich bei den institutionalisierten EU-Integrationsexperten nur schwer verständlich –  folgenschwere Fehler: sie gab frühzeitig die Warte eines unabhängigen kritischen Beobachters auf und positionierte sich als einzige EU-Institution bereits während der Sanktionen auf der Seite der EU-14. So wurden die Einladungen zur Eröffnungsfeier bewußt so formuliert, daß österreichische Regierungsmitglieder ausgeschlossen waren. Viele Österreicher, Bürger des Gastlandes der Institution, empfanden dies als offenen Affront. Winkler antwortete auf Kritik, daß sie für diese Strategie viel Beifall von der Seite der EU-14 erhalten hätte. Applaus als wichtigste Leitlinie für eine derartige Institution? Wäre es bei der Eröffnung nicht wesentlich wirkungsvoller gewesen, anwesende österreichische Regierungsmitglieder vor der Weltpresse mit berechtigter Kritik zu konfrontieren? So aber tendierte man zum Ausschluß derer, deren Meinungen man verändern möchte, eine äußerst effiziente Förderung der Lagerbildung. Wenige Wochen später verglich Jean Kahn, der Kuratoriumsvorsitzende des EUMC, eine von der FPÖ geplante Arbeitsverpflichtung von Langzeitarbeitslosen (mit erhöhter Arbeitslosenunterstützung) mit der Zwangsarbeit unter den Nazis (s. u.a. Kurier, 17./19.4.2000). Hier wurde nicht nur Unsinn geredet, sondern  wurden eindeutig Grenzen überschritten, da Sozial- und Arbeitspolitik, sofern sie nicht mit Migranten zu tun hat, zweifellos nicht zu den Agenden des EUMC gehörte. Trotz der persönlichen Betroffenheit Jean Kahns, der einen Teil seiner Familie in Konzentrationslagern verlor, wäre größere Zurückhaltung hier wohl ratsam und eher im Interesse des EUMC gewesen, der dadurch an Glaubwürdigkeit und Objektivität verlor.

Vielen Österreichern schien dies ein weiterer Beweis für die Rolle des EUMC als spezifisches und subjektives Wachinstrument für die konservative österreichische Regierung zu sein:

„Seltsamer Methoden bedient sich auch die „Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Schon im Frühjahr bei der Eröffnung glänzte ihr Vorsitzender Jean Kahn mit Halbbildung: Als Beleg für die Intoleranz der Regierung nannte er die restriktiven Regelungen für den Familiennachzug von Immigranten. Bloß: Verantwortlich dafür ist Rotschwarz, speziell die SPÖ, namentlich Ex-Innenminister Schlögl und Ex-Sozialministerin Hostasch.“

schreibt Norbert Stanzel am 24.6.2000 in der FPÖ-kritischen Zeitung Kurier.

 

Das wichtigste Kapital von Enthüllungsmagazinen ist das Image der Unabhängigkeit und Objektivität. Das Wochenmagazin Profil erwarb sich große Verdienste bei der Aufdeckung von Skandalen aller Parteien und im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Unter Hubertus Czernin wurde das Profil vorübergehend zu einer selbstdeklarierten „Anti-Haider-Zeitschrift“ und damit offen parteiisch.

Wir da oben, Ihr da unten: Die Umerziehungslust der Engagierten

Bereits rein sprachlich zeigen wir oft den „primitiveren“ Teilen der Gesellschaft, wo es langgeht und wo sie im Gegensatz zu uns stehen. Letztendlich geben wir uns überrascht, wenn sie uns nicht mehr zuhören und unsere ewiggültigen Weisheiten, aufgrund derer wir uns überlegen fühlen, nicht erlernen wollen.

Wie viele andere Wiener war auch ich, trotz oder vielleicht wegen meiner 10 Jahre Auslandserfahrung, skeptisch gegenüber der für 1996 geplanten Weltausstellung in Wien. Als die Volksabstimmung über deren Abhaltung negativ ausfiel, schrieb Peter Rabl, der Chefredakteur des integrationsoffenen Magazins Profil, in seinem Leitartikel von „einer Kombination aus fortschritts- und modernitätsfeindlichen Nostalgikern, kleinbürgerlichen Schrebergärtnern und dumpfen Fremdenfürchtigen“, die dieses Projekt zum Scheitern gebracht hätten (Profil, 21.5.1991, S.8).

Die größte entwicklungspolitische Bildungsorganisation „Südwind“ schuf eine sinnvolle Initiative zum Abbau von Vorurteilen gegenüber anderen Kulturen und zum Aufzeigen globaler Vernetzungen. Sie nannte sie „Weltsicht entwickeln“. Die Angestellten des Südwinds sind um vieles weniger überheblich, doch suggeriert der Titel, daß sie die Lehrer und das Zielpublikum die Belehrten sind. Diese sollen sich nicht Details, sondern „die Welt“ und so das Leben an sich von ihnen erklären lassen. Wer sich so bilden läßt, müßte einen Akt der kompletten intellektuellen Unterwerfung machen: „Ja, mein Meister, ich bin unwissend! Lehre und führe mich!“. Die Initiative wendet sich zwar primär an Schüler ab 16 Jahren, richtet sich aber z.B. in Niederösterreich auch an Erwachsene. Da müßte sich ein 50- oder 60jähriger von einem 25jährigen Engagierten des Entwicklungspolitischen Bereichs belehren lassen, wie Leben und Welt zu deuten und zu verstehen seien. Didaktisch erfolgsversprechend? Gerade ältere Menschen meinen, daß Jüngere auch von ihnen lernen sollten. Der gewählte Titel ist viel zu hochtrabend, postuliert die eigene Weltsicht-Überlegenheit und eine Gesellschaft, die es umzuerziehen gilt. Er steht für eine Anmaßung der Eltern-Rolle, wo eine Partnerrolle im kritischen Dialog wohl mehr bringen würde. Wir in den sympathisierenden Bereichen sollten kritischer gegenüber unserer Annahme sein, daß wir die großen Lehrer sind. Zu naiv und zu leicht widerlegbar sind viele unserer Postulate, zu leichtgläubig sind wir oft gegenüber denen, die unsere Thesen bereitwillig mit sog. Informationen oder Theorien unterstützen. Wirft man z.B. einen tieferen Blick auf die Lebensläufe vermeintlicher Koryphäen für außereuropäische Regionen, stellen sich diese Größen in Wissenschaft und Praxis häufig als gelegentliche Touristen heraus, die zwar hie und da riesige Kontinente besuchten, aber ihr Wissen über diese großteils nur aus Büchern erhielten und ihre Platon’sche Schattenwelt als Realität vermarkten, als das „wahre“ Afrika, Asien oder Lateinamerika. Und sie haben für diese Schattenwelten auch meist die „richtigen“ Schattenlösungen anzubieten[1].

Gérard Mortier, künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, kritisiert die neue Regierung wegen der Kürzung seines Kulturbudgets: Die Regierung wolle „die Menschen dumm bleiben lassen“[2]. Dumm ist demgemäß jeder, der sich bisher vielleicht nur mit geistigen Randerscheinungen wie Marx oder Popper begnügen mußte, Mortiers bedeutende Botschaften aber noch nicht vernehmen konnte. Ein Schelm, der sich Gedanken über die geistige Tiefe und Reife Herrn Mortiers macht…

Der alleinige Wahrheits- und Kompetenzanspruch zeigt sich auch in der bewußten Monopolisierung positiver Begriffe für das eigene Lager, woraus eine grobe intellektuelle Unterschätzung und Abwertung der Rationalität der Konservativeren, Abwehrenden und Aggressiveren spricht. Auch der bei Denkbeiträgen eher ausgewogene Philosoph Doron Rabinovici sagte in einem Interview für Die Zeit (29.6.2000, S.37), daß kein Intellektueller hinter der FPÖ stünde, „außer, man bezeichnet Mölzer als Intellektuellen“. Auch wenn man Personen wie Mölzer oder Höbarth (FPÖ-naher Historiker an der Universität Wien) nicht mag, so kann man ihnen breite Bildung, hohe Intelligenz und Eloquenz im Diskurs nicht abstreiten. Damit wären natürlich die Anforderungen des Begriffs Intellektueller, lt. Duden „Verstandesmensch, geistig Geschulter“, voll erfüllt. Ähnlich ist es, wenn anerkannt großen Schauspielerinnen wie Paula Wessely, vermutlich wegen ihrer Propaganda-Rolle im 3. Reich, von Elfriede Jelinek die Schauspielkunst abgesprochen wird. Dieser elitäre Glaube, daß abseits des eigenen Lagers nur Primitivität vorherrsche, erklärt einen Teil der Kluft zwischen den linken Intellektuellen und einem großen Teil der Bevölkerung und hat möglicherweise zur Auswirkung, daß viele mit diesen „Gespritzten“ (Dialektausdruck für überhebliche Städter in Ostösterreich) nichts zu tun haben möchten.

 

 

[1] Ein extremes Beispiel war eine Afrika-Zeitschrift der 80er-Jahre, die sich thematisch v.a. mit afrikanischer Politik und Entwicklung befaßte und zahlreiche scharfe und zum Teil vernichtende  Kritiken gegen Personen und Strukturen richtete. Kein einziger der 5 Herausgeber hatte zu diesem Zeitpunkt Afrika durch eine Reise persönlich kennengelernt.

[2] ORF-Mittagsjournal vom 25.8.2001.

Zwingen Sie die Menschen zur Lagerbildung

„Man solle für die Aufnahme in die EU stimmen“, meinte die EU-Werberin und Staatssekretärin Brigitte Ederer vor der Volksabstimmung 1994. Um den Leuten aber zu zeigen, daß nicht Sachargumente zählen, sondern nur die Zugehörigkeit zum richtigen Lager, wird gleich ein viel kräftigeres Argument nachgelegt, daß sich Gegner des EU-Beitritts bewußt sein müßten, daß sie dann im gleichen Bett wie Haider liegen. Also lernt der Bürger, daß automatisch alles schlecht sei, was Haider wolle und automatisch richtig, was die Anti-Haiders intendieren. Das erleichtert die Orientierung und erspart mühsame Denkarbeit in Sachfragen. Man braucht nur mehr Schaf zu sein. Nur schade, daß sich die rot-schwarze Koalition im letzten Jahrzehnt sehr bemühte, die Forderungen der FPÖ besonders im Integrationsbereich umzusetzen, was die Orientierung für viele Menschen (Schäfchen) erschwerte….

1992. Auf dem Titelblatt des Profil prangt groß die Schlagzeile, daß Haider Candussi[1] Schweigegeld zahle. Ich kaufe mir die Zeitschrift, da ich immer an stichhaltigen Argumenten für die Doppelbödigkeit (auch) des Populismus interessiert bin. Im Artikel von Alfred Worm finde ich nicht die geringsten Hinweise auf rechtlich bedenkliche Vorgänge, derentwegen Candussi von Haider Schweigegeld erhalten hätte. Es stellt sich vielmehr heraus, daß Haider Candussi den angetragenen Rückzug aus der Politik mit einem in der österreichischen Politik tausendfach angewandten Zuckerl des Versorgungspostens versüßt hatte. Ich bin wütend über diesen sorglosen Umgang mit Begriffen und Realitäten und über die reißerische Aufmachung des Magazins. Ich treffe zufällig N.N., den damaligen Leiter einer Art Dachgesellschaft des Entwicklungspolitischen Bereichs und sage ihm, daß ich zornig bin, weil man durch diese allzu offensichtlichen doppelten Standards Haider die Wähler mit Gewalt zutreibe. Der Artikel untergrabe generell die Glaubwürdigkeit Haider-kritischer Berichterstattung und erschwere es, daß Stichhaltigeres als Argument wahrgenommen werde. N.N., eingefleischter Sozialist, meinte, daß das Profil richtig gehandelt hätte, man müsse schließlich Stellung beziehen.

Jahrzehntelang war Österreich von starker Lagerbildung geprägt, die von den dominierenden Parteien zu ihren Gunsten ausgenutzt wurde (Wohnungen, Arbeitsplätze u.a. oft zwingend gegen Parteimitgliedschaft). In meinem Heimatdorf in Niederösterreich saßen noch vor wenigen Jahren die „roten“ und die „schwarzen“ Bauern stets an unterschiedlichen Wirtshaustischen. Doch die Gesellschaft hat sich durch die Entwicklung der Privatwirtschaft erheblich verändert. Erst diese gibt die notwendige materielle Unabhängigkeit, dem eigenen Wollen und der eigenen Überzeugung entsprechend zu agieren. Engagierte machen oft den Fehler, daß sie die Tendenz zur zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft unterschätzen, die sich auch in der rapide steigenden Zahl von Wechselwählern ausdrückt. Der Appell an die Lager unterschätzt, daß man heute zunehmend über Leistung und Unabhängigkeit und nicht allein über Gunst und Protektion reüssieren möchte.

 

 

[1] Candussi war Stellvertreter des damaligen Landeshauptmanns Haiders in Kärnten.

Wie man berechtigte Kritik durch extreme Vergleiche unwirksam macht

Haider, die FPÖ und das österreichische Fremdenrecht bieten viele Angriffspunkte für fundierte Kritik. Will man erfolgreich verhindern, daß berechtigte Kritik zu Meinungswandel führt, empfiehlt sich der Zusatz ablenkender extremer Aussagen und Vergleiche, wie z.B. „.. wohl einmalig in einer Demokratie“[1] oder „Nur in Österreich könnte jemand wie Haider noch in der Politik tätig sein.“[2] Dadurch lenkt man die Aufmerksamkeit des Angesprochenen geschickt von der Kritik auf die Widerlegung des Extrems und der Lernerfolg ist – wie gewünscht – gleich null. Daraus ergibt sich vermutlich eine anregende Diskussion über interessante „hochdemokratische“ Persönlichkeiten wie Berlusconi, Bossi, Helms oder israelische Minister, die die Ausweisung aller Palästinenser, immerhin aus deren Heimatland, fordern.

„Kommt die FPÖ an die Macht, wandere ich aus!“ ruft mir die junge Kollegin eines sozialistischen Instituts vor der Regierungsbildung 2000 zu. „Wohin?“, frage ich. „Nach Brasilien“. Seltsame Alternative idealistischer Menschen auf der Suche nach Menschenrechten…

Wenn man schon das „Reich des Bösen“ vor sich hat (© Ronald Reagan), wie im Falle der Regierungsbeteiligung der FPÖ Jörg Haiders, dann kann die Opposition doch nur eine Befreiungsbewegung sein. Richtig, meint Isolde Charim von der Demokratischen Offensive anläßlich des Schröder-Besuchs in Wien. Die Situation sei ein wenig wie im kommunistischen Polen und die Demokratische Offensive ähnlich der ­­Solidarnosć (Standard, 21.5.2001, Kommentar der Anderen). Es war nie gefahrloser und einfacher, zum Helden zu werden.

Oft wird eine berechtigte Kritik durch anschließende extreme Vergleiche so ins Lächerliche und Unglaubwürdige gezogen, daß die Reaktion des Zuhörers nicht mehr die Überprüfung der Stichhaltigkeit der Sachkritik, sondern nur mehr der Logik der Vergleiche ist.

 



[1] Der zu Absoluta und Kenntnis der absoluten Wahrheit neigende News-Journalist Alfred Worm über die nach der „Wende“ erfolgte Rundfunkreform. News vom 21.2.2002, Kommentar.

[2] Wie z.B. der an sich ausgewogene Journalist Michael Lingens im Profil vom 18.2.2002, S.128.

Die Kunst der doppelten Standards  – Manche sind gleicher als gleich

A ist in Region B zugewandert. Viele Einheimische lieben A nicht, sie erschweren seine Einreise und seinen legalen Broterwerb im Lande. Viele Einheimische finden, daß A die lokalen Normen zuwenig respektiert. Mein Kollege G sagt, es sei ein Skandal, welche Fremdenfeindlichkeit hier vorkomme. Fremdenfeindlichkeit, sagt er, sei nie ein Problem der Zuwanderer, sondern der Inländer. Die hinterwäldlerischen Inländer sollten gefälligst weltoffener werden und Zuwanderern nicht ihren Lebensstil aufdrängen. In einer pluralistischen Welt sei das erforderlich, ihre Kultur würde durch den Kontakt mit der Kultur von A nur profitieren und sich weiterentwickeln. G meint auch, daß A unbedingt eine Arbeitsgenehmigung erhalten solle. Niemand migriere ohne Zwang. G findet super, wie weltstädtisch seine Wohnstadt durch verschiedene Bauwerke im Stil der Herkunftsregion von A wird. G verabscheut Sprüche einer politischen Initiative, die lautet: B den B-ern. Er hält es für rassistisch, daß aufgrund der lokalen Arbeitslosigkeit der B-s der Zugang von Zuwanderern zum Arbeitsmarkt erschwert wird.

B ist in Region A zugewandert. Viele Einheimische lieben B nicht, sie finden, daß er die lokalen Normen zuwenig respektiert. In seinem Paß steht, daß er in Region A nicht Arbeit suchen darf. G unterstützt voll die Idee einer lokalen politischen Initiative, die lautet: A den A-ern. Er findet, daß aufgrund der lokalen Arbeitslosigkeit Arbeitsplätze bevorzugt an A-s vergeben werden sollten. Mein Kollege G sagt, es sei ein Skandal, wie wenig B die lokalen Normen respektiere. Er verhalte sich so, wie er es von zuhause gewohnt sei und zeige keinerlei Bereitschaft, sich anzupassen. Dadurch zerstöre er die Kultur der Region A, die unbedingt zu erhalten sei. Er verstehe voll, warum B in Region A so unbeliebt sei. Man müsse Region A vor ihm schützen. Mein Kollege G bedauert, daß sich schon so viele Einflüsse des Baustils der Kultur von B in Region A wiederfinden. 

A ist ein Zuwanderer aus Afrika, B ist ein Reisender oder Zuwanderer aus Europa, Region A ist Afrika, Region B ist Europa, G ist ein politisch sehr engagierter Freund.

Diese Form der Persönlichkeitsspaltung ist weder an den Universitäten, noch in anderen sympathisierenden Bereichen selten. Bei einer Podiumsdiskussion, die ich vor Jahren zu diesem Thema im AAI-Wien organisierte, meinte ein eingeladener Universitätslehrer, er sei immer wieder erstaunt über Kollegen, die bei Reisenden im Inland für totalen Individualismus, bei denen im Süden für totale Assimilation eintreten. Natürlich gibt es viele Gründe, Schwächere in einem vernünftigen Ausmaß zu schützen, aber die Gründe für die unterschiedliche Betrachtung werden nur selten vernünftig vermittelt. Daher bleibt häufig nur der Eindruck doppelter Standards und des Hasses auf die eigene Kultur. Doppelte Standards werden mit Sicherheit von vielen Menschen wahrgenommen, die ansonsten offen für Meinungsänderung wären.

Eine rechtsstehende Partei wie die FPÖ könne man doch nicht an einer Regierung eines EU-Staates beteiligen, findet der französische Europa-Minister Pierre Moscovici im Jahr 2000. Italienwahl Mai 2001: Ultrarechte Politiker wie Umberto Bossi kommen an die Macht. Für Moscovici ist es plötzlich keine Frage mehr von Prinzipien, sondern nur mehr von der Größe der eingebundenen rechten Partei. Daher anerkennt er die Regierung in Italien. Diese unterschiedliche Behandlung Italiens und Österreichs führt auch bei der Kooperation mit der Rechten absolut unverdächtigen Menschen wie dem grünen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber zu scharfen Reaktionen:

„Die grotesken Windungen“ europäischer Politiker, die „Doppelmoral“ der Maßstäbe ebneten der extremen Rechten in Europa den Weg. Die Suche nach Unterschieden zwischen Italien und Österreich sei eine Beleidigung für Österreich.[1]

Zu Recht wird ein niederösterreichischer FPÖ-Politiker wegen der Verwendung eines SS-Slogans („Unsere Ehre ist Treue!“) vom Großteil der Presse scharf kritisiert. Einige Wochen später verwendet die gerade im Bereich der Aufklärung über Naziverbrechen verdienstvolle Zeitschrift Profil folgenden Slogan als Heftaufmacher: „Ein Volk, sehr reich, kein Führer!“ (Wahlberichterstattung über die USA, 13.11.2000). Auf aufkommende Kritik, z.B. vom Kurier, antwortete der Herausgeber selbstbewußt:

 „Selbstverständlich darf ein Journalist des Profil, der wie das Profil selbst über Jahrzehnte als antifaschistisch ausgewiesen ist, eben das, was Stanzel ihm verbieten will: er darf für eine Geschichte über die US-Wahl den Kalauer „ein Volk, sehr reich, kein Führer“ erfinden.“ (Profil, 20.11.2000, Editorial)

Schlingensief ist ein Mensch mit vielen Ideen, auch guten, wie die Asylantenklause vor der Wiener Oper mit der täglichen Abwahl eines Asylanten zu den Wiener Festwochen 2000. Schlingensief gilt als linker Kritiker konservativer, faschistoider und xenophober Politik.

„Nie wieder zulassen, daß Gruppen von Menschen als unwertes Leben betrachtet werden!“ skandieren wir zu Recht als Lehre aus der NS-Zeit und verurteilen Tendenzen der Marginalisierung und Vernichtung von Menschen. Doch dann kommt Schlingensief und spricht davon, daß 90% aller Politiker „Müll“ seien (Profil 29.4.2000): Müll, also zu entsorgender Abfall, der weggeworfen wird, der nicht wert ist, in unserer Mitte zu bleiben, was frappant an NS-Diktion erinnert. Zu Recht wird deutschen Republikanern und österreichischen Freiheitlichen vorgeworfen, daß ihre häufig äußerst negative Darstellung von Zuwanderern labile Menschen zu fremdenfeindlichen und aggressiven Taten verleiten könnte. „Worte sind Taten!“ ist ein nicht unrichtiges, wenn auch oft zu undifferenziert angewandtes Argument. Doch dann kommt Schlingensief und läßt in Graz auf der Bühne des Schauspielhauses „Tötet Wolfgang Schüssel!“ skandieren und plötzlich ist keine Rede mehr von Taten, sondern von Metaphorie.

Nun wird kein vernünftiger Mensch annehmen, daß Schlingensief in geistiger Nähe zum Nationalsozialismus steht, aber er leidet offensichtlich an „verbaler Inkontinenz“ (© der Wiener Kabarettist Gunkl), an der Unfähigkeit, mit Worten verantwortlich wie ein Erwachsener umzugehen. Und wenn sich nun jemand ermutigt fühlt, diesen Müll zu beseitigen, Schüssel zu töten, ohne an die metaphorischen Hintergründe zu denken, weil er unglückseligerweise Schlingensiefs Erklärungen nicht zur Gänze gehört oder verstanden hat?

Kaum jemand ist kompromißloser in der Bekämpfung verhetzender und faschistischer Parolen als die Wortkünstlerin Elfriede Jelinek. Gleichzeitig erklärt sie sich in einem Interview als bedingungsloser Anhänger Schlingensiefs (zitiert in Die Zeit, 27/2000). „Ich bin sein Fan!“.

 Auch in der Praxis zeigt sich oft Doppelbödigkeit, wo man sie weniger erwarten würde. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Kollegen in einem entwicklungspolitischen Bildungsinstitut, der – von der damaligen Führung beauftragt – eine Evaluierung des Bildungsprogramms durchführen sollte. Der Auftrag war nicht unwitzig, weil der Evaluator nie zuvor eine Evaluierung gemacht hatte, über keinerlei Evaluierungsausbildung verfügte, nie zuvor in der Branche gearbeitet hatte und noch dazu das Bildungsprogramm in einem Monat evaluieren sollte, in dem es wegen Semesterferien keine Bildungsveranstaltungen gab.

In der 1997 erfolgten Evaluierung schrieb er u.a. über ein sehr gut funktionierendes und von vier afrikanischen Moderatoren autonom administriertes Diskussions- und Veranstaltungsforum. Er schlug vor, daß man die Anzahl der (afrikanischen) Moderatoren erheblich erhöhen sollte, weil (wörtlich) „man ein geschlossenes System von Bekanntschaften vermeiden sollte“, d.h. in gutem Deutsch, daß Afrikaner zur Vetternwirtschaft neigen und derartige Tendenzen im Ansatz bekämpft werden sollten. Diese Überlegungen gefielen dem damaligen Kuratoriumsvorsitzenden und Multifunktionär im christlichen Entwicklungsbereich derartig gut, daß er den Evaluator unverzüglich zum Abteilungsleiter für Bildungsfragen machte. Der Erfolg zeigte sich binnen kurzer Zeit, zwar nicht unbedingt in Form von Publikumserfolgen, aber in personeller Bereicherung: Im Büro des unerschrockenen Kämpfers gegen „ein geschlossenes System von Bekanntschaften“ saß plötzlich, als neue Beschäftigte des Instituts, seine eigene Frau, woraus keinerlei Rückschlüsse auf die Form der Beziehung gezogen werden dürfen. Das afrikanische Diskussionsforum, welches einzigartig in Wien war, ist übrigens heute tot.

 Beliebigkeit der Handlungen, Beliebigkeit der Aussagen… Es zählt nicht mehr, was getan wird, sondern wer es tut. Könnte man es Bürgern verdenken, wenn sie an die „Farm der Tiere“ denken, wo Einzelne gleicher als gleich sind? Man könnte die Zurückweisung dieser „Engagierten“ durch viele Bürger geradezu als einen Wunsch nach Demokratisierung und Gleichberechtigung auffassen. Für wie dumm muß man Bürger halten, um anzunehmen, sie würden diese Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdanspruch nicht bemerken?


[1] Der Standard, 17.5.2001. S. 7: „Aufregung um Österreich-Attacke.“

Vermeiden Sie es, von „Feinden“ Erfolgsprinzipien zu lernen

1999 lud die ÖVP Kärnten den deutschen Universitätsprofessor Rohrmoser zu einem Vortrag ein, was heutige politische Parteien von Hitlers politischer Propagandamaschine lernen könnten. In seinem Positionspapier schrieb er unter anderem: „“Es gibt immer wieder Leute, die sagen, Hitler wäre ein Dummkopf und Verbrecher gewesen; beides war er, nur damit kann man ein derartiges Ereignis nicht erklären. Und genau auf diesem Punkt des rituellen Setzens von Symbolen und Darstellungen ist Hitler genial gewesen.“. Ein riesiger Aufschrei in engagierten Kreisen: Wie könne man von Hitler etwas lernen wollen, wie könne man Hitler als genial bezeichnen? Sofort wird lautstark nach Rücktritt aller Verantwortlichen gerufen[1].

Rohrmoser ist ohne Zweifel sehr konservativ, ich finde viele seiner Äußerungen nicht sympathisch. Andererseits: Wie konnte Hitler, das größte anzunehmende Scheusal, so viele Menschen für sich einnehmen? Wie gelang es ihm, Identifikation zu stiften, viele Menschen von seinem Weg zu überzeugen? Ich erinnere mich, wie ich als 13jähriger sein Machwerk „Mein Kampf“ in die Hände bekam und von diesem schlichten und haßerfüllten Geist äußerst enttäuscht war. Die Nazis mußten aber über exzellente Kenntnisse der menschlichen Psyche verfügen, sonst hätten sie nicht viele Millionen Menschen so erfolgreich ansprechen können. Und wäre es nur für die Verhinderung der Wiederkehr der Geschichte, es würde sich allemal lohnen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum Hitler als Demagoge so erfolgreich war. Können wir, wenn wir nicht verstehen wollen, warum jemand wie er zu so großer Popularität gelangte, uns wirksam schützen vor der Verführung der neuen Ultrarechten? Mitunter muß man von seinen Feinden lernen, um nicht unterzugehen.

Eine Koordinationssitzung der entwicklungspolitischen Bildungsszene: Vertreter vieler Organisationen diskutieren die Umsetzung eines mehrjährigen Meinungsbildungsprojekts für ganz Österreich. Wir möchten zeigen, daß die Arbeitenden des Südens nicht (nur) Konkurrenten der Arbeitenden des Nordens sind, sondern eigentlich logische Verbündete. Es ist ein polarisierendes und brisantes Thema und so schlage ich vor, daß wir unsere erarbeiteten Slogans von Werbeexperten auf ihre Tauglichkeit und Transportierbarkeit abchecken lassen. Ich schlage vor, einen führenden Werbeexperten als kritischen Begutachter einzuladen. Ich zeige mich optimistisch, einen mir bekannten Topexperten von Europaformat zur Gratismitarbeit bei der Kampagne bewegen zu können. Der Leiter der Dachorganisation N.N. fragt mich, was dieser bisher getan hätte. Ich erwähne, daß er u.a. maßgeblich an der erfolgreichen Werbekampagne für den EU-Beitritt Österreichs mitgewirkt habe. Lautes Lachen des Vorsitzenden…. “Die EU-Kampagne!!! Ha, Ha, Ha!“. Was auch nur entfernt nach Wirtschaft klingt, erweckt bei vielen Mitarbeitern im Entwicklungspolitischen Bereich negative Assoziationen und wird oft unkritisch und undifferenziert mit Manchester-Kapitalismus gleichgesetzt. Ich artikuliere meine Enttäuschung, daß nicht die Frage der Nützlichkeit des Werbeexperten, sondern seine ideologische Vorbildwirkung im Vordergrund steht (wobei bereits Wirtschaftsnähe ihn bei manchen, wie im Beispiel, disqualifizieren kann).

Obwohl wir in der Meinungsbildung viel weniger als erhofft erreichen, leisten wir uns oft den Luxus, aus Gründen der reinen Lehre auf die Hilfe von vielen zu verzichten, die vielleicht nicht links, sondern eher liberal sind. Auch dies zeigt, daß nicht immer die Lösung von Problemen,  sondern mitunter die Gruppenbildung und Frustrationsableitung Vorrang hat….

 



[1] Z.B. Der Standard, 27.7.1999.

Wie man das „Böse“ als unverzichtbar erscheinen läßt

Berichten Sie als Journalist pausenlos über kleinste Details rechter politischer Bewegungen. Bringen Sie jeden Furz des FPÖ-Chefs und zeigen Sie dessen negative Gerüche auf. Blasen Sie Haider zur weltgrößten Gefahr auf. Stellen Sie ihn als Schlange und alle anderen Politiker als zitternde Kaninchen dar. Ihre Blattauflage und auch der FPÖ-Chef werden es Ihnen danken. Er wird bald zur einzigen ernstgenommenen Persönlichkeit reifen.

Trotz verschiedener Skandale der FPÖ und ihres damaligen Chefs stieg die FPÖ in nur 13 Jahren von einer 5% Partei (1986) zu einer 27%-Partei (1999) auf. Den Wählern waren die Schattenseiten Haiders mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt, wurde doch laufend über sie berichtet. Der News-Journalist Worm berichtet seit Jahren fast ausschließlich über Haider und die FPÖ, Hans Rauscher (früher Kurier, heute Standard) ist genauso wie Gerfried Sperl (Der Standard) ein entschlossener Gegner des Rechtspopulisten. Im ORF wurden – seit dem Regierungswechsel abgeschwächt – den negativen Aspekten dieser Partei viele Sendungen gewidmet. Warum dennoch der Aufstieg Haiders?

            Schon vor Jahren diskutierte eine Journalistenrunde im Falter-Stadtmagazin, ob man Haider eher totschweigen oder besonders auf seine problematischen Seiten hinweisen sollte. Die Praxis war eindeutig: Über keine andere politische Persönlichkeit Österreichs wurde und wird auch nur ansatzweise gleichviel berichtet wie über Haider. Herausgeber geben offen zu, daß Haiders Porträt auf dem Titelblatt die Umsatzzahlen um 30-100% in die Höhe treibt. Magazine wie News, die sich als Speerspitze der Kritik an Haider und der FPÖ sehen, trugen erheblich zum öffentlichen Eindruck bei, daß sich in Österreich alles um Haider dreht: Kaum ein News-Cover der letzten Jahre ohne Haider-Bild oder -Titel. Diese No-Loose-Situation des Magazins hatte zwei positive Folgen – man konnte sich einerseits als Cheerleader des antifaschistischen und antirassistischen Kampfes darstellen und verdiente gleichzeitig gut damit. Jedes noch so banale Haider-Thema wurde von News zu gigantischen mehrwöchigen Stories aufgeblasen, wie z.B. Haiders Reise nach Libyen, wo er Gaddaffi traf. 

 

Flugs wurden Theorien einer Weltverschwörung der „Bösen“ entwickelt. Bei dieser Art von Berichterstattung konnten sich andere Politiker nur schwer als Persönlichkeiten profilieren. „Paßt auf ihn auf, sonst frißt er euch!“ war mehr oder weniger die Botschaft, vermutlich begleitet von der Assoziation „Und die anderen sind alle Schäfchen, aber keine Führungspersönlichkeiten“. 

Verkindlichen Sie die Menschen, für die Sie werben

 

Sie möchten, daß Afrikaner nicht auf qualifizierten Arbeitsplätzen unterkommen? Kein Problem! Machen Sie einfach deutlich, daß Afrikaner niemals an irgend etwas schuld sind. Diktatoren erklären Sie am besten und ausschließlich mit intervenierenden ausländischen Mächten; Umweltzerstörung erklären Sie mit brutalen Holzkonzernen, die afrikanisches „Leben im Einklang mit der Natur“ unmöglich machen. Ethnische Konflikte streiten Sie dadurch ab, indem Sie angeben, es hätte im Gegensatz zu allen anderen Weltregionen vorkolonial keine Ethnien in Afrika gegeben und diese wären erst durch die Europäer geschaffen worden. Korruption erklären Sie mit den lockeren Geldbörsen der westlichen Konzerne, die den Idealismus der Regierenden in Afrika brechen. Wirtschaftliche Mißerfolge und Fehlinvestitionen wie überdimensionierte Krankenhäuser im Heimatdorf eines Präsidenten können Sie durch übel eingestellte westliche Berater erklären. Dealt ein Afrikaner mit Drogen, dann zeigen Sie deutlich, daß er wegen Geldmangels keine Alternativen hatte. Damit haben Sie erfolgreich das Bild von Menschen geprägt, Kindern gleich, die niemals aus eigener Kraft etwas erreichen, niemals Hindernisse überwinden können, in Minutenschnelle einer Gehirnwäsche unterzogen werden können und stets der Hilfe von stärkeren Weißen bedürfen, also optimale Voraussetzungen, um Afrikaner als Konkurrenten auf Managerposten auszuschalten.

Peace, not Discussion: Sorgen Sie für Harmonie im Publikum

Verwenden Sie bereits im Titel von Veranstaltungen oder Publikationen nach Möglichkeit Ausdrücke wie Rassist oder Rassismus. Greifen Sie nie zu Aus­drücken wie Fremdenfeindlichkeit, -ablehnung oder -angst, die erken­nen ließen, daß hinter der Ablehnung Motive und Probleme und damit Lö­sungsansätze stehen könnten. Betonen Sie so häufig wie möglich, daß Rassis­mus stets nur ein Problem der lokalen Gesellschaft sei und nichts mit Zuwande­rern an sich zu tun habe. Unterlassen Sie unreflektierte Aussagen wie: „An Konflikten sind immer zwei schuld.“ Weisen Sie darauf hin, daß es nur in Österreich und Deutschland wirklichen Rassismus gäbe. Dann haben Sie es ge­schafft: Sie bleiben unter sich und kommen ohne die störenden Zwischenredner viel schneller voran, Taktiken zu entwickeln, die diese Welt humaner gestalten werden.

Ein Volksbildungsheim im 13. Bezirk an einem Novemberabend 1993. Man diskutiert über Afrikaner und andere Zuwanderer in Wien. Eine alte Frau wagt beim vorwiegend jugendlichen Publikum mit zittriger Stimme zu äußern, daß sie wegen der vielen neuen Zuwanderer Angst habe, auf die Straße zu gehen. Wer hören will, vernimmt einen Hilfeschrei, die Bitte um Aufmerksamkeit, darum, gehört zu werden und vielleicht auch: „Dann bin ich auch vielleicht fähig, weniger Angst zu haben und meine Meinung zu ändern!“ Ein großer Teil des Publikums dreht sich belustigt zu dieser „irren fremdenfeindlichen“ Frau um, ein abfälliges Grinsen auf den Lippen. Verschiedene „Wissende“ lachen laut. Wie oft wird diese Frau noch versuchen, zu kommunizieren, bis sie merkt, daß man ihr von dieser Seite nicht zuhören wird?

Agieren Sie wie der ehemalige Leiter eines Koordinationsorgans der Entwicklungszusammenarbeit, der 1994 eine Arbeitsgruppe bei einem EZA-Kongreß leitete. Als er merkte, daß der international renommierte und teuer eingeflogene Professor provokante Entwicklungstheorien avancierte, die ihm und einem Teil des Publikums mißfielen, traf er die einzig richtige Entscheidung: Er entzog dem Vortragenden einfach das Wort und gab es explizit und dauerhaft einer wesentlich weniger profilierten, aber gefälligeren Person.

 

Die wahren Bildungskünstler möchten Meinungen verändern, gleichzeitig aber aus ethischen Gründen den Kontakt mit denen vermeiden, die abweichender Meinung sind. 

Sammeln Sie Punkte beim Finden von Rassisten und Faschisten

Halten Sie die Augen offen und versuchen Sie, so viele Faschisten und Rassisten wie möglich zu entdecken. Nehmen Sie bei deren Fehlen im Notfall Neokolonialisten. Eine Bäuerin stiftet Geld für die „N-“ in Afrika: 1 Punkt; ein Unternehmer gibt einem schlecht Deutsch sprechenden Afrikaner keinen qualifizierten Job: noch 1 Punkt usw. Lassen Sie sich nicht so neumodische Dinge wie das Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung einreden, daß z.B. die Bäuerin gar nicht gewußt haben könnte, daß das N-Wort verletzend ist. Schließlich gibt es die Rechtswahrheit, daß Unwissen nicht vor Strafe schützt, d.h. daß Sie für Schwarzarbeit bestraft werden, auch wenn Sie gar nicht wissen, daß die Nichtversteuerung von Arbeitseinkünften ungesetzlich ist. Seien Sie nicht päpstlicher als das Finanzamt und gewinnen Sie den Wettbewerb!! Denken Sie immer daran, daß diese Welt abgrundtief böse ist und daß Sie in der Hölle wohnen! Und nur Sie als Engel können etwas dagegen tun!!!

Ein Meeting einer Koordinierungsstelle der entwicklungspolitischen Bildungsreinrichtungen im Jahr 1995. Wir diskutieren die Umsetzung eines Themenschwerpunkts Arbeit für den gesamten entwicklungspolitischen Bildungsbereich in Österreich. Dieser sollte drei Jahre lang ganz Österreich mit Veranstaltungen abdecken. Wir überlegen Konzepte, wie wir den Eindruck der Gefährdung österreichischer Arbeitsplätze durch arbeitende Menschen im Süden verringern und gemeinsame Interessen und Handlungsnotwendigkeiten aufzeigen könnten. Wir beschließen ein mehrtägiges Seminar, um die wesentlichen Thesen und Slogans herauszuarbeiten. Ich schlage vor, scharfe Kritiker unserer Thesen als Referenten einladen, um die Haltbarkeit unserer Argumente und Slogans zu testen, bevor wir mit diesen an die breite Öffentlichkeit treten. Es kommt anders. Die Organisatoren wählen eine absolut linientreue Hauptvortragende, welche die bestehenden Meinungen bedingungslos bestätigt und somit die meisten zufriedenstellt. Trotz der Banalität und Absurdität mancher Beweise für die Schlechtigkeit unserer „natürlichen Feinde“ erntet sie großen Beifall. Nur ich äußere kritische Worte. So definiert die Universitätslehrerin z.B., daß Ausbeutung vorliege, wenn ein Arbeitgeber seinen Angestellten in einem anderen Land weniger zahle als den üblichen Lohn im Lande des Arbeitgebers. Verfolgt  man diesen Gedanken logisch weiter, dann käme es bereits zu Ausbeutung, wenn eine österreichische Firma in den USA Amerikaner beschäftigt und bei einem Verfall des Dollarkurses die lokalen Löhne nicht im gleichen Maße anhebt….

Besonders erfolgreich sind Sie bei der Meinungsbildung, wenn Sie negative Entwicklungen von Zuwanderern oder Ländern des Südens stets mit den Rahmenbedingungen, negative Entwicklungen in Österreich hingegen stets mit persönlichen Merkmalen der Österreicher erklären. Zeigen Sie z.B., daß ein Afrikaner gar nicht anders konnte, als mit Drogen zu handeln, weil er keine offizielle Arbeit annehmen darf. Akzeptieren Sie hingegen keineswegs die Ausrede einer Pensionistin, daß sie aus Angst geschwiegen hätte, als unter dem Nazi-Regime Menschen verschwanden, daß viele Menschen für Hitler stimmten, weil sie arbeitslos waren und Hoffnung suchten. Denken Sie immer daran, daß Sie es mit Faschisten und Rassisten zu tun haben. Die finden immer Ausreden.

 

Die Lobby ist oft ungleich schneller, selbstzufriedener und umbarmherziger mit ihren vernichtenden Urteilen als die eigentlich Betroffenen. Wenn ein Österreicher das zweifellos verletzende N-Wort verwendet, schreien die meisten Engagierten laut Rassismus, während die Hälfte der Afrikaner noch herauszufinden versucht, ob der Ausdruck bewußt oder in Unkenntnis der verletzenden Tendenz des Wortes geäußert wurde. Die Linke kann nur dann ein besseres Modell für dieses Österreich bilden, wenn wir überzeugender werden, wenn wir nicht nur von besseren Werten sprechen, sondern sie auch verwirklichen und leben und dazu gehört auch die Unschuldsvermutung bei Aussagen oder vermuteten Handlungen bis zum gegenteiligen Beweis. Jemand ist nicht automatisch bei Verdachtsmomenten Rassist, sondern erst nach sorgfältiger Abwägung und Prüfung aller Fakten.

Ich hatte oft den Eindruck, daß für viele Engagierte die Schuldigen oft schon feststehen, bevor man sich die Mühe macht, überhaupt Übergriffe und Verbrechen herauszufinden. Ein Erfolgsrezept für die Publikation in einschlägi­gen Fachzeitschriften bzw. für Vorträge an engagierten Instituten: Man suche für ein Problem im Süden oder bei Integrationsfragen nach einem potentiellen westlichen Täter und stelle auch bei nicht überzeugender Sachlage eine kausale Verbindung her. Für die Rolle des Schuldigen nehme man bevorzugt den We­sten, den Kapitalismus, die USA, die Globalisierung und Rechtsgerichtete.

Eines Morgens ruft mich eine Frau vom Bürgerdienst der Stadt Wien an. Sie fragt mich, ob ich derjenige sei, der eine Umfrage über Afrikaner in Wien durchführe. Sie hätten im Bürgerdienst verschiedene Beschwerden über einen rassistischen Fragebogen erhalten und wüßten nicht, wie sie mit dem ihr vorliegenden Fragebogen umgehen sollten. Sie dächten sogar daran, ihn direkt an den Bürgermeister weiterzuleiten. Ich frage sie, was an meinem Fragebogen rassistisch sei. Sie nannte als Beispiel die Frage, ob der Interviewte sieben verschiedene Zuwanderergruppen für mehr oder weniger intelligent halte. Ich erklärte ihr, daß 60% der befragten Afrikaner annehmen, daß sie intellektuell unterschätzt würden und daher kaum qualifizierte Arbeitsplätze erhielten und daß ich nur durch spezifische Nachfrage bei der Wiener Bevölkerung herausfinden könne, warum und wie oft dieses Vorurteil auftrete. Nur durch Kenntnis dieser Einstellungen könne man auch gezielt dagegen agieren. Sie schien nun beruhigt zu sein. Was mich aber (wieder einmal) bestürzte, war die Leichtigkeit der Unterstellung des Rassismus. Ungeheuer schnell ist man in einer Beweisnot, nachzuweisen, daß man kein Rassist ist. Auf einmal kommt man in eine No-Win-Situation, in der man höchstens zu einem relativ Unverdächtigen werden kann, während der Ankläger, der vielleicht noch niemals zuvor in seinem Leben auch nur einen Finger für Andere rührte, den Richter spielen kann und seine eigene Moral tatenlos außer Frage stellt.

Was veranlaßt Menschen, so schnell derartig gravierende Urteile abzugeben? Der Vorwurf des Rassismus ist keine Bagatelle, er kann in Aktenvermerken und Gedächtnis ewig erhalten bleiben, selbst wenn er nie bewiesen wird. Allzuleicht können damit berufliche Probleme bis zum Existenzverlust verbunden sein. Wie können Menschen, die so schnell zur vernichtenden Schubladisierung neigen, gleichzeitig andere wegen ihrer Vorurteilsbildung kritisieren und dabei noch das Gefühl haben, sich für mehr Gerechtigkeit und Toleranz in der Gesellschaft einzusetzen? Leider erinnert so mancher heroische Einsatz im Integrationsbereich eher an Kreuzzüge als an Grundregeln erfolgreicher zwischenmenschlicher Kommunikation.

 

Viele Menschen in den sehr schönen Bereichen der Integrationsförderung zeigen fast sektenähnliche Züge. So mancher hat in Führungsposition, ob in Wissenschaft oder Praxis, große Probleme im Umgang mit anderen Meinungen und sieht sie oft nicht als Bereicherung an: „Wer nicht meiner Meinung ist, ist gegen mich.“ Es entfesseln sich teilweise wahre Glaubenskriege, die bis zur chinesischen Tradition der Wandzeitungen gehen, an denen der ideologische Gegner schriftlich hingerichtet wird (wie an einem mir bekannten Nord-Süd-Universitätsinstitut). Dadurch entwickeln sich innerhalb der gleichen Institution oft scharf getrennte Lager, zwischen denen kaum mehr kommuniziert wird. Wahrheitsansprüche werden oft absolut, Urteile über andere Wissenschaften und Wissenschaftler vernichtend: „Das ist ja keine Wissenschaft!“, „Der kann ja nichts!“. Nur bedingungslose Anhänger werden „voll“ genommen und gefördert, keinesfalls Menschen mit eigenen Profilen.

Geben Sie keinesfalls selbst ein positives Modell der Integration ab

16,7% aller Wiener sind Migranten. Integrationsnahe Bereiche setzen sich oft für Zuwanderer ein, wobei sie mitunter scharfe Kritik an der rassistischen und fremdenfeindlichen Gesellschaft äußern, die Zuwanderer keine Chancen gebe. Zuwanderer brauchen qualifizierte Jobs wie einen Bissen Brot, um ihre Gleichwertigkeit auch auf höherwertigen Arbeitsplätzen zu beweisen. Daher sollte man annehmen, daß in sympathisierenden Bereichen zumindest 1/6 der Arbeitsplätze an Zuwanderer vergeben werden.

Leider ist dem anders. In  der entwicklungspolitischen Bildungsbranche sind nur etwa 7% der Beschäftigten Zuwanderer, kaum besser sind die Nord-Süd-Institute der Universitäten und nur der Integrationsbereich schneidet dank des Integrationsfonds relativ normal, aber nicht positiv diskriminierend ab.

 

Nahezu alle Studien scheinen zu belegen, daß die Fremdenfeindlichkeit sowohl auf dem Land wie auch bei weniger Gebildeten deutlich höher ausfällt. Die Umfragen verzerren vermutlich die Realität, weil Städter und Höhergebildete meist besser um die Erwartungen der Interviewer Bescheid wissen. Fremdenfreundlichkeit zeigt sich  nicht zuletzt auch in konkreten Akten, die aber kaum jemals Untersuchungsgegenstand sind. Das entwicklungspolitische Bildungshaus, für welches ich arbeitete, hatte ein großteils akademisches und studentisches Publikum. Die verbale Unterstützung zu Anliegen von Integration und Entwicklung war dementsprechend hoch, die konkrete Unterstützung deutlich weniger. 1992 organisierten 2 Kolleginnen einen Benefizabend zugunsten Somalias, welches damals unter einer fürchterlichen Hungerkatastrophe litt. Sie boten ein Gratiskonzert einer guten afrikanischen Gruppe, kostenlose Speisen und Getränke an. 200 engagierte Menschen genossen das Konzert, Getränke und Speisen. Gesamtspendeneinnahmen: ca. 200 €, etwa 1 €/Person. Die Spenden lagen somit deutlich unter den Kosten der Benefizveranstaltung. Wieviele Anwesende hatten wohl trotzdem das Gefühl, etwas zur Verbesserung der Welt  beigetragen zu haben und auf einer ethisch höheren Stufe als Nichtteilnehmende zu stehen? 15 Jahre zuvor hielt ich in Hausleiten, einem Bauerndorf in Niederösterreich, einen Vortrag über die Maasai und untersuchte um Unterstützung für die technische Ausbildung eines Maasai-Schülers. Ich sammelte etwa 250 € bei einem ungleich weniger dramatischen Anliegen. Ich habe keine Zweifel, daß gleichzeitig die Besucher in Hausleiten bei soziologischen Untersuchungen zur Fremdenfeindlichkeit deutlich schlechter abgeschnitten hätten als die AAI-Besucher, da z.B. das N-Wort dort öfter unreflektiert verwendet wird. Afrikanische Freunde wie Jean Dusabe zeigten sich ebenfalls überrascht, daß die Fremdenfeindlichkeit am Lande größer sein soll. Sie meinen relativ übereinstimmend, daß ihrer Erfahrung nach trotz anfänglicher Skepsis die Landbevölkerung wesentlich gastfreundlicher sei.

Bewahren Sie ausschließende Strukturen durch Multifunktionärswesen, Interessenskonflikte und informelle Postenvergabe.

Freunderlwirtschaft, Interessenskonflikte und Multifunktionärswesen scheinen fast Grundzüge der lokalen Gesellschaft zu sein. Wer von seiner Zielgruppe nicht als fremd abgelehnt werden will, bemüht sich daher, oben genannte Auffälligkeiten aufzuweisen. Das gilt auch für sympathisierende Bereiche. Da ist es in Institutionen oder Ministerien sicher hilfreich, wenn zumindest namhafte Posten zuverlässig nach Zugehörigkeit zu Parteien, kirchlichen Initiativen, Männerbünden oder nach Empfehlungen mächtiger Verbündeter vergeben werden. Setzen Sie Personen in geldvergebende Gremien, die selbst in diesen um Mittel ansuchen. Was schert es Sie, wenn diese auch über die Ansuchen potentieller Konkurrenten mitentscheiden. Da kann man zumindest sicher sein, daß die Mittel in den richtigen Händen landen. Die Genialität österreichischer Funktionäre kann darüber hinaus durch möglichst viele Funktionen, vielleicht sogar in einander konkurrierenden Einrichtungen, nur unterstrichen werden.

 

Alle drei Maßnahmen sind fast Garantien, daß nichteingeweihte Außenstehende  wie Zuwanderer kaum Chancen auf Arbeitsplätze oder Subventionen vorfinden. Dadurch bleiben diese Institutionen und Bereiche aber im Gegensatz etwa zu Semperit österreichisch, was sicherlich Vertrauen beim Publikum schafft. Auch ist ein Institut oder Ministerium leichter zu verwalten, wenn die Angestellten genau wissen, daß man durch Gnade und nicht durch Leistung zu seinem Arbeitsplatz gekommen ist. Dies garantiert die Meinungseinfalt innerhalb des Hauses und schaltet langfristig unerwünschte Konkurrenz für den eigenen Aufstieg aus.

Tabuisieren Sie die Bereiche mit dem größten Diskussionsbedarf

In einer Reihe von Spannungsfeldern bestehen schwerwiegende Vorurteile, doch nur die Rechte versucht, Erklärungen für diese anzubieten. Ein Bereich ist der Drogenhandel, in dem die FPÖ und die Kronenzeitung unisono mit einer pauschalierenden Verdächtigung fast aller Afrikaner agier(t)en. Die Sympathisierenden antworten mit extremer Kritik an der Rechten, gehen aber kaum auf deren Argumente ein, die dadurch leichter, weil unwidersprochen, im Gedächtnis der Menschen bleiben. Vielen Menschen scheinen afrikanische Dealer aufzufallen, da kann es nicht genügen, einfach nur laut Rassismus bei den indiskutablen Methoden der FPÖ zu schreien. Da gehören Konzepte entwickelt, da müßte man durch Sachdiskussion das Thema entemotionalisieren und auf sein realistisches Maß zurechtrücken. Bei vielen Engagierten bestehen Ängste vor einer offenen Diskussion von Vorurteilen und daß dieselben durch diese noch verstärkt werden könnten.

Bei der Eröffnung des Universitätscampus wurde jedes Universitätsinstitut eingeladen, die breite Öffentlichkeit bei einem Tag der offenen Tür mit einem interessanten Programm zu begrüßen. Ich schlug im Kollegium eines Instituts vor, daß wir verschiedene „Vorurteilszimmer“ einrichten, in welchen man mit Experten starre Vorurteile gegenüber Afrikanern diskutieren könne. Ein Zimmer hätte dem Thema gegolten: „Braucht Afrika zur Entwicklung eine neue Kolonialisierung?“, ein anderes dem Thema „Haben Afrikaner keine Geschichte?“, ein weiteres „Sind alle Afrikaner Drogendealer?“ usw. Ich stieß überwiegend auf Ablehnung, weil von Institutsmitgliedern befürchtet wurde, daß sich Vorurteile durch die Diskussion noch stärker verankern könnten.

Ich schätze daher Initiativen wie Land der Menschen besonders, weil sie die brennenden Probleme des interkulturellen Kontakts mit den Betroffenen offen ansprechen und dadurch gleichzeitig den Menschen das Gefühl geben, ernstgenommen zu werden. Diese Initiative, die von vielen Prominenten wie Harald Krassnitzer aktiv unterstützt wird, stößt auf eine sehr positive Resonanz und zeigt, daß das Ansprechen von Problemen im Integrationsbereich weitaus mehr als ihre Tabuisierung bringt. Menschen bilden sich ihre Meinung über Geschehnisse im Blickfeld, egal ob wir ihnen Informationen liefern oder nicht. Wenn wir dies nicht tun, bleiben nur mehr Afrikanerskeptiker als Meinungsbildner übrig.

 

Wenn man auf die von der Rechten lancierten Thesen nicht eingeht und ihr ein Meinungsmonopol überläßt, darf man sich nicht wundern, wenn eher deren Thesen übernommen werden. Ignorieren fördert Meinungsänderung nicht und  bedeutet rechtlich sogar Einverständnis. Wenn wir Afrikaner mystifizieren und kindlich verunschuldigen, verlieren wir die Möglichkeit, die Zuwanderergruppe der lokalen Bevölkerung wirklich näherzubringen. Menschen haben Stärken und Schwächen und gerade anhand ähnlicher Verhaltensformen in der Schwäche werden Menschen erfühlbar. Die bloße Hervorhebung von Stärken der Zuwanderer gibt dem Zuhörer zu stark das Gefühl, einer gegen ihn gerichteten Moralpredigt beizuwohnen. 

Bekämpfen Sie Zivilcourage auch durch die richtige Personalauswahl

Am 23.1.1993 versammelten sich etwa 200.000 Menschen in der Wiener Innenstadt, um mit einem Lichtermeer ein Zeichen gegen zahlreiche ausländerfeindliche Tendenzen, besonders auch aus dem Bereich der FPÖ, zu setzen. Die größte Demonstration der 2. Republik wurde als deutliches und selbstbewußtes Signal des anderen Österreichs gegen Xenophobie erachtet.

Eine Woche später in der gleichen Innenstadt, am Schottentor. Ich sitze gegen Mitternacht in der letzten Straßenbahn und warte auf ihre Abfahrt. Neben mir sitzen zahlreiche Studenten, einige von ihnen befanden sich zweifellos auch auf dem Lichtermeer. Plötzlich torkelt ein alter Mann die  Rolltreppe herunter, verfolgt von etwa 8-10 angeheiterten Jugendlichen. Er ruft ihnen etwas zu, einer der Jugendlichen nimmt Anlauf und springt dem Mann wie ein Karatekämpfer gegen die Brust. Der alte Mann fällt um, richtet sich wieder auf, schimpft, der Jugendliche springt ihn wieder an etc. Ich überwinde meine Angst, verlasse die Straßenbahn und stelle mich vor den Mann. Ich hoffe darauf, daß sich mir noch weitere Straßenbahninsassen anschließen, die gebannt auf ihren Sitzen herstarren, doch meine Hoffnung ist trotz der zahlreichen jungen Männer unter ihnen vergeblich. Der aggressive Anführer macht Anstalten, auch auf mich loszugehen. Zwei weitere Mitglieder der Gang schließen sich zögernd dem Aggressiven an. Ich versuche, von meiner Körperhaltung nicht drohend, aber dennoch selbstsicher zu wirken, rede auf zwei Jugendliche ein, die vernünftiger wirken und versuche ihnen klar zu machen, daß sie für etwaige Gewalttaten ihres aggressivsten Mitglieds mithaften würden. Die Strategie funktioniert, sie reden intensiv auf den Halbstarken ein und ich kann einen körperlichen Konflikt vermeiden.

Die Straßenbahn war noch da, als die Jugendlichen gegangen waren. Ich steige ein, die Blicke gehen verschämt zur Seite. Ich empfinde in diesem Au­genblick große Verachtung und habe Probleme, den Heldenmut der Men­schen in der schützenden Menge und das Stillhalten als Einzelne zu verstehen. Ich frage mich, wie viele der jungen Männer, die schweigend in der Straßen­bahn saßen, ihre Eltern und Großeltern wegen deren stillen Duldens der NS-Herr­schaft kritisiert hatten. Nun scheiterten sie schon an der ersten kleinen Her­aus­forderung, dem Terror von noch beherrschbaren Gewalttätern entgegenzu­treten.

Mir sind viele Berichte von Zuwanderern bekannt, in welchen sie sich bei Attacken von Rechtsradikalen über die fehlende Unterstützung seitens der herumstehenden Österreicher beklagten. Eine Afrikanerin erzählte mir, daß sie vor einigen Jahren von einem jungen Mann in der Badner Bahn in den Bauch getreten wurde und daß ihr niemand zu Hilfe kam.

Untersuchungen zeigen, daß Zivilcourage weder vom Einkommen, noch von der Intelligenz, Ethik, vom gesellschaftlichen Status oder der politischen Gesinnung abhängt[1]. Studierende mögen sich leichter verbal für Zuwanderer engagieren, sind aber genauso wenig wie andere bereit, persönliches Risiko für ihre Überzeugung in Kauf zu nehmen. Der Berliner Politologe Peter Grottian berichtet von Experimenten, bei denen in mehr als der Hälfte aller Fälle eingriffen wurde, wenn in der U-Bahn Ausländer belästigt wurden – allerdings nur, solange sich die Helfer nicht selbst in Lebensgefahr bringen mußten. Sexuelle Belästigung führte nur in einem Drittel der Fälle zum Eingreifen. Die Fähigkeit zur Zivilcourage scheint eng mit der Bereitschaft zur gedanklichen Selbstständigkeit zusammenzuhängen:

Werte wie Ruhe und Ordnung aber sind, auch das zeigt die Helferforschung, natürliche Feinde der Zivilcourage. Auch klassische Tugenden der Wohlanständigkeit wie Fleiß, Pünktlichkeit und Tischmanieren sind demnach schlechter Nährboden für Zivilcourage, die immer auch auf der entwickelten Fähigkeit zum Neinsagen beruht. Von den preußischen Sekundärtugenden scheint sich nur ein gewisses Maß an Selbstdisziplin positiv auf die Bereitschaft auszuwirken, Menschen in Not zu helfen. Gute Voraussetzungen sind außerdem: ein vertrauensvolles Verhältnis zu mindestens einem Elternteil sowie Normen, die begründet werden und veränderbar bleiben. Vor allem aber wichtig: wenigstens einen Menschen gekannt zu haben, dessen Mitmenschlichkeit durch nichts und niemanden gebeugt werden konnte. Oder nicht gar so leicht (von Schmude, ebd.).

Es ist daher kaum zu erwarten, daß die Hilfsbereitschaft in Österreich höher als in Deutschland ausfällt. Die Fähigkeit, Nein sagen zu können, wird in Österreich weder durch Erziehung und Schulbildung, noch durch die gesellschaftliche Praxis gefördert. Der selbständige Denker wird in Österreich eher als Bedrohung, denn als Bereicherung aufgefaßt. Dies trifft auch auf die sympathisierenden Bereiche zu, in denen verblüffend viele Entscheidungsträger in ihrem Führungsverhalten ein autoritäres Verhalten zeigen und kaum zwischen Sachkritik und persönlicher Kritik unterscheiden können. Ich wurde mehrmals als Abteilungsleiter eines entwicklungspolitischen Bildungsinstituts von staatlichen Geldgebern gerügt. Ein Anlaßfall bestand darin, daß ich es wagte, die voraussichtlich schrumpfenden Mittel des Staates für Entwicklungsförderung in der Monatspublikation des Hauses zu thematisieren.

Dieses katholische Bildungsinstitut sollte 1994 einen neuen Kuratoriumsvorsitzenden bekommen. Der Kandidat des Kuratoriums wurde von Kardinal Groer abgelehnt, weil er gewagt hatte, rassistische Angriffe eines mit Kardinal Groer befreundeten Priesters auf das internationale Studentenheim Hollabrunn als nicht stimmend zu bezeichnen. So erhielt das Institut eine Notlösung.

Simon Inou, der als regierungskritischer Journalist das Gefängnis seines Heimatlandes Kamerun kennenlernte, erzählt, warum er einen möglichen Arbeitsplatz in der entwicklungspolitischen Branche ausschloß:

„Ich führte intensive Gespräche mit Vertretern einer Institution im EZA-Bereich. Meine Gedanken, die ich bei einem Seminar geäußert hatte, fanden bei Institutsvertretern Anerkennung. Als ich fragte, ob ich eventuell bei diesem Institut mitarbeiten könne, meinte man, daß dies prinzipiell möglich sei, da man mich für einen guten Denker halte. Ich müßte in Zukunft jedoch einen großen Teil meiner kritischen Überlegungen zurückhalten, weil diese von den Geldgebern nicht goutiert würden. Man wolle Probleme mit der Finanzierung des Instituts vermeiden. Da habe ich abgelehnt, denn schweigen hätte ich schon in Kamerun können.“

Als an einem Nord-Süd-Universitätsinstitut eine Assistentenstelle etwas seltsam vergeben wurde, fragte ich ein Kommissionsmitglied, warum keiner der wesentlich besser qualifizierten  Mitbewerber gewählt wurde, wie z.B. Kollege X. Dieser wies (wie weitere erfolglose Bewerber) mehr als die zehnfache Zahl an Publikationen und internationalen Vorträgen, deutlich mehr Erfahrung in der Schwerpunktregion und ein wesentlich höheres internationales Prestige als der Auserwählte auf. „Der X?“, fragte verdutzt mein Gesprächspartner, „Da müßten wir ja den ganzen Tag diskutieren!“. Eine wahrlich fürchterliche Vorstellung für Universitäten… Die Angst vor der Auseinandersetzung mit anderen Gedanken; die Furcht, daß durch diese Dispute eigene Schwächen sichtbar würden, äußert sich auch in der im Vergleich relativ geringen Zahl von Kongreßvorträgen und Publikationen österreichischer Wissenschaftler. Lieber Getreue auswählen, dann kann man wenigstens Einäugiger unter Blinden bleiben…

Wer als Führungspersönlichkeit in sympathisierenden Bereichen große Probleme mit anderen Meinungen hat und sich daher mit Ja-Sagern umgibt, fördert die mangelnde Zivilcourage unserer Gesellschaft und die daraus resultierende mangelnde Unterstützung von Zuwanderern in bedrohlichen Situationen.

 


[1] Marcus von Schmude. In: Wer eingreift, muß sich vorsehen. Die Zeit 30/2001, Dossier.

Zum Schaden der Spott: Wenn Hilfe zur Selbsthilfe wird

Unsere Bilder von Afrika werden auch durch die Menschen geprägt, die wir in diesen Kontinent entsenden. Wir geben vor, vieles zu tun, um Afrika zu „entwickeln“ und zeigen uns enttäuscht, wenn unsere „Anstrengungen“ und finanzielle Inputs keine Früchte tragen. Selten blicken wir im Westen auf unsere Mitverantwortung für das Scheitern der Projekte. Geben wir wirklich unser Bestes?

Je weiter wir in den Hierarchien nach oben blicken, umso mehr muß man das verneinen. Während auf der Ebene von kleinen NGOs im Entwicklungsbereich oft sehr viel Sorgfalt auf die Auswahl der richtigen „Entwicklungshelfer“ gelegt wird, sind die Selektionskriterien bei den höherqualifizierten und weit besser bezahlten Arbeitsplätzen oft zweifelhaft. Hier ringt eine Vielzahl von Interessenten um wenige freie Stellen, wobei sich meist der mit den besseren Beziehungen durchsetzt.

„Afrika ist der Kontinent, der sich nicht entwickelt.“, schreibt sogar die deutsche entwicklungspolitische Zeitschrift E + Z (10/1992).  Es ist eine weitverbreitete Meinung, die das Klischeebild der lernunfähigen Menschen dieses Kontinents zu bestätigen scheint. Viele Milliarden werden jährlich in den Bilanzen von Entwicklungsinstituten und –ministerien für die afrikanische Entwicklung verbucht, doch nur ein geringer Teil landet tatsächlich in der Region. Äußerst ansehnliche Gehälter von hochbezahlten Entwicklungsexperten sowie Produktlieferungen knabbern an den Milliarden. 80% der sogenannten Entwicklungshilfegelder fließen meist wieder in die Taschen der Geberländer zurück: für die Gehälter der Experten (alleine ca. 60% der gesamten Mittel für Afrika), Nahrungsmittel, Dienstleistungen und Ausrüstung[1].

Nur ein Teil der Entwicklungshelfer wird so gut bezahlt. Während die einfachen „Entwicklungshelfer“ nur geringe Summen erhalten (oft deutlich weniger als 1000 €/Monat), die kaum mehr als die Lebenshaltungskosten abdecken, stecken Mitarbeiter der UNO, staatlicher und anderer internationaler Organisationen oft gewaltige Beträge ein. NGOs, die staatliche Aufträge im Dienste der Entwicklung übernehmen, erhalten pro Mitarbeiter einen Tagsatz von mehr als 500 €. Da zahlt es sich durchaus aus, ein selbstloser Helfer zu sein und erklärt, warum viele zu den attraktiven Futtertrögen drängen. Dort kann man nicht nur viel Geld kassieren, sondern auch wertvolle Punkte für noch attraktivere Posten bei internationalen Organisationen sammeln. Häufig gehen bei der Besetzung dieser Posten jene unter, die schon vorher beträchtliche Erfahrung und Engagement im Umgang mit den Zielkulturen und mit der Thematik aufwiesen. Diese Personen haben oft ethische Hemmungen, in vergleichbarer Weise Beziehungen spielen zu lassen, um ihre Bewerbungschancen zu verbessern. Das Ergebnis spricht oft Bände. Für äußerst verantwortungsvolle Jobs, die mit vielen Millionen € Projektmitteln für Entwicklungszusammenarbeit verbunden sind, werden oft Personen gewählt, die vorher keineswegs auffallendes Interesse an Afrika bzw. an Entwicklungsfragen zeigten und oft auch nachher nicht zeigen.

 

Beispiel: B.H., Italien. Gutbezahlter Angestellter einer internationalen Organisation in einem westafrikanischen Land, bei dem ich mehrmals zu Besuch war. Frischer Abgänger des Medizinstudiums ohne jegliche Arbeitserfahrung und plötzlich für ein Gebiet von der Größe Niederösterreichs verantwortlich. Sein Interesse an der lokalen Kultur war so gering, daß er sich bis zur letzten Pizza buchstäblich jedes Element seiner Lebensführung einfliegen ließ.

Beispiel J.D., Frankreich, dessen Gastfreundschaft ich einmal in Afrika genoß. 3 Jahre Praxis zuhause als Agraringenieur. Hochbezahlter „Entwicklungsexperte“ mit ca. 5000 € monatlich. Keinerlei Kenntnis lokaler Lebensweisen, die für seine Arbeit als Agrarexperte notwendig gewesen wäre, aber ein blendender Kenner der Sexualtechniken der schönen Frauen der Völker des Gastlandes. Ich beließ es bei der einmaligen Akzeptanz seiner Gastfreundschaft, da ich seine Scherze über die dumme lokale Bevölkerung wenig goutierte.

Ähnlich ging es mir bei Parties von Entwicklungsexperten in einer Reihe afrikanischer Länder. Eine derartige Ansammlung von Menschen mit oft bedenklichen Einstellungen gegenüber Afrika hätte man sonst nur mit Mühe zusammengebracht. Während die einfachen Entwicklungshelfer, die ich in sieben Jahren Afrika in oft entfernten Winkeln antraf, sich meist durch großes Engagement und Interesse an lokalen Kulturen auszeichneten, häufig lokale Sprachen beherrschten, waren die mitunter schamlos gut Bezahlten häufig Banausen, was Kultur- und Sprachkenntnis anbetraf, und hochgradige Rassisten. Eine gute Bekannte, Trauzeugin eines engen Freundes, war jahrelang verantwortlich für die Personalpolitik einer UNO-Teilorganisation für ganz Westafrika. Sie sagte mir wörtlich, daß sie Afrika eigentlich hasse.

Diese Personen würden sich niemals für diese Tätigkeiten interessieren, wären diese weniger gut bezahlt und angesehen. Ein Gespräch mit dem damaligen Generalsekretär einer Institution, für die ich früher tätig war:

Ich: „Ich finde es nicht rechtfertigbar, daß Entwicklungsexperten in Afrika 5000 oder 8000 €/Monat verdienen, wenn gleichzeitig Millionen arbeitsloser afrikanischer Akademiker auf der Straße stehen. Um diesen Betrag könnte man locker 10 einheimische graduierte Experten in diesem Gebiet anheuern, die ein Mehrfaches an Leistung erbringen.“ Mein ehemaliger Vorgesetzter, der jahrelang in Afrika als Experte arbeitete: „Ich finde diese Summen absolut gerechtfertigt, schließlich muß man in Afrika auf so vieles verzichten.“

Muß man wirklich? Verzichten ist natürlich relativ und die Last des Verzichtens wird umso größer, je weniger Interesse man an den lokalen Lebensformen zeigt. Man kann nur spekulieren über den Anteil der materiell gelockten „Experten“, deren Nutzen für Afrika oft sehr fragwürdig ist. Ich wäre nicht überrascht, wenn er sich der 50%-Marke nähern würde. Das Scheitern vieler Projekte oder der rein virtuelle Erfolg hängen oft eng mit ihrem berührungslosen Wirken zusammen. Wie kommen diese Experten dennoch zu ihren Positionen?

 

Die Vorselektion des Landes des erfolgreichen Bewerbers: Diese Posten sind durch ihr hohes Gehalt wie durch ihren Einfluß für viele Länder interessant. Hat ein klassisches Geberland einer internationalen Organisation einen höheren Prozentsatz an Beitragsmitteln als an Dienstposten, ist die Druckmöglichkeit klar. Freunde im Personalbereich internationaler Organisationen berichten mir von glasklaren Erpressungen: „Entweder unser Land bekommt diesen Dienstposten oder wir kürzen nächstes Jahr unsere Beiträge!“. Daher steht häufig das Land des erfolgreichen Bewerbers noch vor diesem selbst fest.

Die landesinterne Selektion: Innerhalb der Länder findet der Kampf um die zu vergebenden Posten großteils über politische Einflußversuche statt. Ein Personalmanager des Außenministeriums eines anderen EU-Landes berichtete mir von einem Fall, in welchem die letzten 10 Bewerber für einen Posten bei einer internationalen Organisation 36 Empfehlungen im Sektionschefrang mitbrachten. Wer bloß auf Sachkompetenz und Erfahrung verweisen kann, ist in diesem Falle verloren, hängt doch auch das weitere berufliche Schicksal der Auswählenden von ihrem Wohlverhalten gegenüber den Mächtigen ab.

Warum wehren sich die Empfängerländer nicht gegen diese negative Auslese? Den Empfängerländern in Afrika, die oft von autoritären Strukturen gekennzeichnet sind, sind die Günstlinge allemal lieber als die Engagierten, die ungleich sensibler und intensiver auf Verletzungen der Menschenrechte und andere Mißstände im Lande reagieren. Die Günstlinge haben vor allem ihre Karriere als Ziel, die Engagierten die Verbesserung der Situation ihrer Zielpopulationen. Damit geraten Engagierte leichter in Konflikt mit lokalen Regierungen als Günstlinge, die sich keine Feinde machen wollen, die ihre weitere Karriere gefährden könnten. Und so beginnen ein unheilvoller Kreislauf und die Fortschreibung des Problems. Da wird von den Günstlingen mangels Kulturkenntnis oft das falsche Personal aufgenommen, was sowohl innergesellschaftliche Konflikte wie auch Ressourcenvergeudung bewirken kann; da werden Projekte als Erfolg betrachtet, weil der Projektleiter durch menschliche wie sprachliche Kommunikationsmängel kaum imstande ist, die Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung zu erkennen. auch Auch wird kaum Geld für begleitende soziologische Studien ausgegeben, die den Nutzen derartiger Projekte für die Bevölkerung kritisch hinterfragen.

Auch die Entwicklungssektion des österreichischen Außenministeriums genießt bezüglich seiner Mitarbeiterauswahl keinen guten Ruf. Verschiedene Stellenvergaben lassen vermuten, daß andere als fachliche Gründe im Vordergrund standen (wie z.B. Partei, Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen). Zu deutlich wurden mitunter eingeforderte Qualifikationen wie z.B. mehrjährige Kenntnis der Arbeitsregion, gute Kenntnis lokaler Sprachen und intensive Erfahrung in der Entwicklungspolitik vernachlässigt. Manche Personen auf verantwortungsvollen Posten werden von Regionskennern wenig nett als „freundlich, aber absolut hilf- und ahnungslos“ bezeichnet.

Der in  Äthiopien geborene Leiter des Migrantenforums, Sintayeho Tsehay, meint dazu:

„Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig qualifiziert oft Personen im Außenministerium sind, die für die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten verantwortlich sind. Da sitzen international und kulturell komplett unerfahrene Personen  afrikanischen Ministern gegenüber und bestimmen über Millionenbudgets. Wir haben mehrmals höhere Qualifikationen für die Mitarbeiter der Zusammenarbeit mit Afrika verlangt. Wenn man schon keine Afrikaner nimmt, so sollte man  zumindest erfahrene Österreicher mit Kenntnissen afrikanischer Sprachen wie z.B. Afrikanisten wählen.  Wir fanden aber kein Gehör. In Österreich laufen derartige Bewerbungen viel weniger transparent als in anderen EU-Ländern ab. Sie erfahren nicht, warum Sie bei einer Bewerbung scheiterten; Sie wissen nicht, wer sich sonst noch beworben hatte und können daher auch nicht reklamieren. In England erfahren Sie aus dem Internet, wer sich beworben hat, wer in die nächste Runde gekommen ist usw. Da ist eine extrem subjektive Postenvergabe kaum möglich. Österreich hat hier viel zu lernen und wird innerhalb der EU auch sehr kritisch beobachtet. Der EU-Beitritt wird aber sicher langfristig zu einem Abbau dieser informellen Postenvergaben führen.“

Dieses schlechte Image, das von vielen Branchenkennern geteilt wird[2], müßte ein Alarmsignal für Menschen sein, die ihrem eigenen Anspruch nach das hohe Ziel einer gerechteren Welt anstreben. Ich bin überzeugt, daß eine unabhängige Evaluierung für die Verantwortlichen erschreckende Ergebnisse zeitigen würde. Als Maßnahme der Vertrauensbildung wäre etwa eine größere Transparenz des Bewerbungsprozesses geeignet, aus dem die Qualifikation der erfolglosen wie erfolgreichen Bewerber hervorgeht.

Entwicklung ist für die Einen ein Leidensweg, für viele Andere Geschäft. Die Schuld am Scheitern von Entwicklungsprojekten wird aber vor allem den Afrikanern gegeben, die zum Experimentierfeld der unerfahrenen Günstlinge werden. Sie verlieren nicht nur unsachgemäß verwendete Projektmittel, sondern auch ihren Ruf. Nicht der gescheiterte „Experte“ verläßt das Spielfeld als Dummer, sondern der Afrikaner. Das Scheitern von Entwicklungsprojekten in Afrika schadet auch den Afrikanern in Österreich und Europa, weil es ihren Nimbus der Unfähigkeit fortschreibt.

Ich habe den Eindruck, daß die Qualität der im Entwicklungsbereich Arbeitenden mit steigender Bedeutung und Bezahlung ihrer Posten eher ab- als zunimmt. Es gäbe eine ganz einfache Methode, die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika deutlich anzuheben: die Gehälter und Remunerationen der im bi- und mulilateralen Raum arbeitenden „Experten“ substantiell, etwa um 1/3 zu senken, die Dauer der Verträge aber dafür zu verlängern, um existentielle Sicherheit zu bieten. Schon fielen die meisten Personen weg, für die der Kontinent nur ein unerwünschter, aber lukrativer Zwischenstop ist und die menschlich wie fachlich wirklich Interessierten fänden endlich faire Chancen vor, sich durchzusetzen. Es stimmt nicht, daß man ohne hohe Gehälter keine Experten bekommt. Im Gegenteil: Man bekommt die Experten oft nicht, weil diese im Dickicht der Günstlinge kaum Durchgang finden.

 



[1] Vortrag von George B.N. Ayittey am 13.4.1999 vor dem Afrika-Ausschuß des US-Parlaments. ‚A 1995 Foreign Aid study was conducted by the Freedom Support Coalition, chaired by former Congressman Dave Nagle noted that „80 percent of U.S. foreign aid is spent in the United States buying food, equipment, expertise and services&rdquo (The Washington Times, 13 October, 1995; A17).’ […] ‘Similarly, „an estimated 80 percent of French aid to Africa comes back to France in salaries, orders, and profits&rdquo (Biddlecombe, 1994).’

[2] Bei der Bewerbung für eine Stelle in der Entwicklungssektion des Außenministeriums schlug mir ein Freund, ein ehemaliger Parteichef, spontan vor, für mich zu intervenieren. „Du hast ohne Intervention keinerlei Chancen. In Österreich ist es eben so!“ Er bezeichnete mein Verhalten als verrückt, seine Intervention abzulehnen. Als ich später ein Kommissionsmitglied wegen der relativ merkwürdigen Postenvergabe anrief, die Ausschreibungskriterien zu negieren schien, meinte dieses vielsagend: „Es tut mir sehr leid. Aber Sie kennen doch das Außenministerium!“.

Tiefschwarze Berichterstattung – Afrika im Blickpunkt der Medien

Die Katastrophenorienterung

Katastrophen, Elend, Probleme sind dominierende Bilder der Medienberichterstattung über Afrika. Verschiedene Untersuchungen zeigen, daß der Anteil an sogenannter Katastrophenberichterstattung an der Medieninformation über Afrika bei ca. 70% zu liegen scheint (s. z.B. Ebermann 1993:9). Qualitäts- und Boulevardzeitungen scheinen sich dabei weniger durch den Anteil der Katastrophenberichterstattung als durch den Umfang und die Qualität der begleitenden Information zu unterscheiden. In der Kronenzeitung wird daher ein Problem von Afrika und Afrikanern eher unkommentiert präsentiert und erweckt dadurch den Eindruck, es sei Merkmal der fremden Kulturen und Menschen. Werden hingegen Rahmenbedingungen gezeigt, werden die Handlungsweisen verständlich und übertragbar und verlieren die ethnische Zuschreibung. Die Qualität der Berichterstattung kann innerhalb der gleichen Zeitschrift genauso stark variieren wie zwischen den Zeitungen[1]. Eine Reihe von Journalisten zeigt in besseren Zeitungen und ORF, daß es auch in Österreich hochqualitativen Journalismus über fremde Kulturen und ihre Menschen gibt. Ihre Qualität wird aber oft durch andere Journalisten übertönt, denen eine sensationslüsterne Schlagzeile sehr viel bedeutet. 

Leonhard untersuchte die Berichterstattung des ORF über die Länder des Südens. Er kommt auf einen enorm hohen Prozentsatz von Katastrophenberichterstattung (Leonhard 1991:4)

„Die Themen der aktuellen Berichterstattung über die Länder des Südens lassen sich zu über 80% unter die fünf Bereiche Krieg, Bürgerkrieg, Kalter Krieg, Regierungskrise und Katastrophe subsumieren.“

Er stellt resümierend fest (Leonhard 1991:7), daß

„daß der ORF in Bezug auf die Länder des Südens jede eigenständige Informationspolitik, die diesen Namen verdient, vermissen läßt. Der aktuelle Dienst reagiert nur auf die spektakulärsten Ereignisse. Er setzt kaum eigene Akzente. Gewalt und Krise sind die wichtigsten Kriterien, die nachvollziehbar der Auswahl der Beiträge zugrunde gelegt werden können.“

Der ORF selektiert unter den Nachrichten nach folgender Prioritätsliste (Leonhard 1991:10, in absteigender Reihenfolge):

  • Die Nachricht muß einen Österreichbezug aufweisen
  • Europäer/Weiße in Gefahr
  • Krieg
  • Bürgerkrieg mit besonders hohem Blutpegel
  • Nur Nachrichten mit Bildmaterial werden gesendet
  • Katastrophen
  • Weltpolitik findet statt
  • Wahlen und Regierungswechsel mit spektakulärem Charakter

 Auch in den Printmedien sind die Selektierungsmechanismen vergleichbar. Luger/Pointer (1996:20) schreiben in ihrer Analyse der österreichischen Printmedienberichterstattung über Afrika, daß die

Berichterstattung über afrikanische Länder bzw. Ereignisse, an denen Menschen aus diesen Ländern beteiligt waren, in Summe ein „negatives“ Bild des afrikanischen Kontinents vermitteln. Die Nachrichtenauswahl zeigt ein Bild des Kontinents, das problematischer kaum sein könnte, das eben überwiegend aus Chaos, Krieg und Armut besteht, und positive Aspekte wie Demokratisierungsprozesse, Fortschritte im Entwicklungsprozeß etc. nur sehr geringen Niederschlag finden.“

Durch mangelnde Hinterfragung tradierte Vorurteile in den Medien

Es wird zwar von Jahr zu Jahr mehr über Afrika berichtet, aber oft fehlt die notwendige Tiefe der Berichterstattung. Manche Journalisten möchten positiv über Menschen und Kulturen des Südens informieren, tun dies aber mitunter auf eine so naive und ahnungslose Weise, daß sie das Publikum verwirren und durch neue Klischees eher das Gegenteil erreichen.

Ich schätze die Qualität der Kunstberichterstattung des ORF. In der Sendung Kunststücke präsentierte der Moderator Dieter Moor 1991 dennoch einen der besten und tiefsten afrikanischen Filme auf höchst unglückliche Weise: Yeelen (das Licht) von Souleymane Cissé. Dieses geniale und von zahlreichen philosophischen Bemerkungen und Parabeln bereicherte Epos über Generationskonflikte und Wertewandel wurde von Moor – sicherlich von Sympathie getragen – folgendermaßen präsentiert:

„Yeelen, ein Film von einer Schönheit, die sich nicht mit Worten beschreiben läßt. Y., ein Film, der sich majestätisch über den tristen Kinoalltag hinweghebt. Ein Werk voll Schönheit und Tiefe, voll Innigkeit und sanftem Humor, bei dem der Europäer längst verschüttete Wurzeln erkennen kann. …..

Ein Werk, das zugleich alle unsere Sinne erfüllt und uns zwingt, alle Filmkunst neu zu überdenken. Es fand seinen Weg direkt in die Herzen und Sinne der Zuseher. Warum? Y., das ist eine Kampfansage an alle Klischees, die wir gegenüber Afrika nun einmal haben. Y. räumt mit den Klischees auf, ohne das zu verlieren, was die unverwechselbare Besonderheit des afrikanischen Films ausmacht, nämlich eine naive und primitive Ursprünglichkeit. Die afrikanische Geschichte, bis jetzt nur wenigen und wenig bekannt, ist erstmals auf der Leinwand und voll präsent. Cissés Darstellungen auf der Leinwand haben eine Anmut der Bewegungen und eine Sinnlichkeit, die ihresgleichen schlicht sucht. Nicht die Ästhetisierung der Welt oder ihre Verwandlung in Ansichtskartenromantik, sondern die unmittelbare Einheit der Körper mit ihrer Umgebung und in ihrer Umgebung, das ist das Wesentliche. Also mit einem Wort, der Mensch, wenn er durch den Busch geht, geht er auch durch die Filmeinstellung. Ein Blick genügt. Die Schönheit der Schauspieler hat die Eleganz derer, die sich selbst genug sind.“

Bei kaum einem anderen Kontinent geben so viele Menschen an, mit den „Vorurteilen aufräumen zu wollen“, um das wahre Afrika zu zeigen. In diesem fast satirisch anmutenden Text der ORF-Redaktion verstärkt der Kommentator aber gerade jene Vorurteile, die er  zu bekämpfen vorgibt. Denn gerade die „naive und primitive Ursprünglichkeit“ ist ein besonders schwerwiegendes und dauerhaftes Vorurteil. Darüber hinaus stellt er den Film vollkommen falsch dar. Aus der Fülle traditioneller Weisheit, Mystik und Philosophie über Generationskonflikte erscheint als Ergebnis weißer Analyse plötzlich „primitive Ursprünglichkeit“ auf der Verpackung. Afrika wird in diesen Worten wieder zum Kontinent der Menschen, die nicht denken und nur fühlen. Dabei hätte dieser Film enorm viel Substanz, um wirklich Vorurteile abzubauen. Wenn z.B. ein Weiser im Film sagt: „i bè se ka sa, ka a sòrò, i ma ban.“ (Du kannst sterben und dennoch weiterexistieren.), hätte man über drei verschiedene Arten des Sterbens oder die drei Stufen des Seins in der Bambara-Kultur philosophische Erklärungen anbieten können: die physisch-psychische Existenz vor dem Tode; die rein psychische, aber immer noch individualisierte Existenz nach dem Tode (solange eins Menschen auf Erden, v.a. von Seiten des Nachwuchses, noch gedacht wird. D.h., man existiert weiter) und einer psychischen und nicht mehr individuellen Existenz, in der man seine Persona verloren hat (man ist für die Lebenden anonym und nicht mehr kontrollierbar geworden). Bei afrikanischen Kulturinhalten meinen häufig auch Wohlmeinende, daß man über sie wegen der innewohnenden Simplizität nicht nachzudenken brauche und so kommt es zu einer reinen Kritik der Ästhetik.   

November 1999[2]. Eine Journalistin versucht in einer Rundfunkserie, das Leben und die Probleme von Afrikanern in Österreich zu zeigen. Trotz der guten Absicht, viele Afrikaner zu befragen, scheitert auch hier die Informationsvermittlung an absolut unkritischer Berichterstattung, die das Publikum vor unauflösbare Widersprüche stellt: Ein Afrikaner meint im Interview, daß eine Fremdenablehnung wie in Österreich für ihn ungewohnt sei. Bei ihm zuhause in Ghana bekämen Fremde vom Dorfchef automatisch ein Stück Land, um es zu bebauen. So mancher Zuhörer mag dabei u.a. an die Ausweisung von 300.000 Nigerianern aus Ghana Ende der 60er-Jahre, von 1 Million Ghanaern aus Nigeria 1982, von der gesamten indischen Bevölkerungsgruppe aus Uganda unter Idi Amin 1972 gedacht haben. Mancher  konnte sich wahrscheinlich eine derartige Großzügigkeit kaum erklären, weisen die ländlichen Gegenden Ghanas doch oft eine Bevölkerungsdichte von 200 Personen/km2 und mehr auf. Bauern, die mitunter zuwenig Grund und Boden für ihre eigenen Kinder haben, verschenken diesen bereitwillig an Fremde?

Natürlich kann längst nicht jeder Afrikaner Experte für ganz Afrika sein und oft nicht einmal für andere Kulturen in seinem Land. Welches Wissen besteht bei der breiten österreichischen Bevölkerung über Roma und Sinti in Österreich? In der Stadt geborene Afrikaner haben oft weniger Ahnung vom Landleben als manche Europäer, die in afrikanischen Dörfern wohnen. Würde man es für glücklich erachten, wenn CNN einen Tiroler Bergbauern als Experten für die politische Entwicklung Wiens oder österreichische Städter zu bäuerlichen Problemen in prekären Lagen interviewt? Die Journalistin nahm jedoch als gegeben an, daß jeder Afrikaner auch ein Experte für ganz Afrika sei und schon war die Sendung auf dem Niveau von Belangsendungen. Der Bildungseffekt war vermutlich dahin.

 Negative Exzesse der Afrika-Berichterstattung

Besonders verheerend für das Image der Afrikaner ist die Kombination von Katastrophenberichterstattung, mangelnder journalistischer Sorgfalt und Vorverurteilung. Dies geschah zumindest bei einigen Artikeln der Kronenzeitung, die vermutlich erheblich zur Hysterisierung des Konfliktfeldes Afrikaner und Drogenhandel beitrugen. Der Höhepunkt war wohl der Artikel Machtlos gegen 1000 Nigerianer“ in der Kronenzeitung vom 2.8.1996, S.9. Er suggerierte, daß fast jeder Nigerianer Drogendealer sei und illegal in Österreich lebe:

„In Wien, aber auch in anderen Landeshauptstädten, werden die nach Polizeischätzungen mehr als 1000 illegal in Österreich lebenden Nigerianer immer mehr zu einer sicherheitspolitischen Bombe. „Dank“ unzureichender Gesetze handeln sie fast unbehelligt mit Drogen. [..] Laut Fremdenpolizei leben allein in Wien geschätzte 900 Nigerianer, offiziell gemeldet sind aber – so wörtlich – nur ein paar Dutzend.“

 Spezifisch die Kronenzeitung trug durch ihre Berichterstattung stark zur Assoziation von Afrikanern mit Drogenhandel bei. Im Leitartikel vom 22.5.1999 kritisiert Richard Nimmerrichter die Forderung nach Bestrafung der Beamten, in deren Händen der Schubhäftling Marcus Omofuma am 1.5.1999 ums Leben kam. Er beschreibt ausführlich den heftigen und „tobenden“ Widerstand des Schubhäftlings und stellt die Frage: „Darf zum Beispiel ein afrikanischer Drogenhändler auf die Menschenrechte pochen, während sie den zum Rauschgiftkonsum verführten einheimischen Jugendlichen versagt bleiben?“. Dadurch wurde der Tote assoziativ in die Nähe des Drogenhandels gerückt, obwohl keinerlei Hinweise vorlagen.

1991-93 befragten wir Afrikaner, wie sie die Qualität der Afrika-bezogenen Berichterstattung verschiedener Medien einschätzen:

Tabelle 109: Einschätzung der Medien-Afrika-Berichterstattung durch Afrikaner

Die Afrika-Berichterstattung im … finde ich …

verletzend

unzutreffend

neutral

zutreffend

wohlgesinnt

ubk.

Note[3]

Krone

18

19

3

2

1

17

4,19

Kurier

13

17

8

4

1

16

3,86

ORF

15

19

15

5

1

5

3,76

Presse

5

12

12

3

1

27

3,51

Standard

4

12

13

6

3

21

3,21


Diese Wertungen zeigen eine deutliche Kritik am österreichischen Journalismus, lange bevor Afrikaner intensiv mit Drogen assoziiert wurden. 86% fanden in dieser Kritik die Berichterstattung der Kronenzeitung verletzend oder unzutreffend. Auch andere Medien werden sehr schlecht bewertet. Die wesentlichen Kritikpunkte der Afrikaner sind:

·        Am häufigsten (19x) wird die äußerst negative Sicht Afrikas angesprochen, d.h. daß nahezu nur von Katastrophen in Afrika berichtet wird, aber kaum jemals von seinen schönen und konstruktiven Seiten. Damit wird das Bild eines verarmten und stets von den Almosen der Anderen abhängigen Kontinents erzeugt;

·        16x wird den Journalisten bewußte bzw. unbewußte Fehlinformation vorgeworfen: Sie werden kritisiert, zu einseitig zu berichten und nicht alle Facetten zu beleuchten; Vorurteile ungeprüft weiterzugeben und zu verstärken; allzusehr zu verallgemeinern; aus Absatzgründen eher das Sensationelle zu betonen und mitunter dabei auch die Realität zurechtzubiegen etc.;

·        Die Journalisten werden als zu oberflächlich und inkompetent beurteilt, wüßten zu wenig über Afrika bzw. nähmen den Kontinent nicht ernst.

 Der Mangel an Stimmen aus dem Süden im österreichischen Journalismus

Die relative Rigidität der Berichterstattung hängt auch mit dem geringen Anteil ausländischer Journalisten in Österreichs Medien zusammen. Während einzelne Zeitungen, wie z.B. der Standard, offener für die Mitarbeit von Zuwanderern zu sein scheinen, ist der ORF abseits eines „zoologischen“ Projekts namens „Heimat, fremde Heimat“ ein weitgehend geschlossenes System. Diese Sendung wird von einer Reihe kompetenter Journalisten gestaltet, doch warum werden diese auf eine von wenigen Zusehern gesehene Randschiene abgeschoben, anstatt in populären Sendungen Meinungen bilden zu können? In den meisten vergleichbaren Ländern wie Deutschland, Niederlande, Frankreich oder England findet man selbstverständlich auch unter den Nachrichtensprechern Zuwanderer. Daß sie in Österreich weitgehend fehlen, ist nicht nur ein Verlust an Meinungsvielfalt, sondern auch an wirksamen Signalen, daß Zuwanderer einen integralen und unverzichtbaren Bestandteil unserer Gesellschaft darstellen. Der ORF,  in der Berichterstattung über Integrationsfragen eher positiv orientiert, zeigt in seiner eigenen Stellenvergabe-Praxis kaum Unterschiede zu von ihm kritisierten Bereichen. Viele meinen, daß auch beim ORF die Vergabe von Posten und Aufträgen eng an die Zugehörigkeit zu verschiedenen Ingroups gebunden ist, in denen Zuwanderer kaum jemals vertreten sind.

Radio Afrika International: eine afrikanische Alternative

1997 wurde ein engagiertes afrikanisches Medienobjekt in Wien ins Leben gerufen. Anfangs beschränkte man sich auf eine Reihe regelmäßiger Sendungen zu Afrika und Afrikanern. Im Laufe der Zeit kamen viele weitere beachtenswerte Aktivitäten auch in Printmedien hinzu. Die kritische Berichterstattung behandelt eine Fülle von Themen über Afrika und Afrikaner in der Diaspora. Das Projekt wird von dynamischen afrikanischen und österreichischen Journalisten getragen und leidet erheblich unter ständigen Finanzproblemen. Betreiber des Projekts führen die geringe Förderung (ca. 7000 €/Jahr) enttäuscht auf ihre kritische Berichterstattung zurück, die auch liebgewordene blinde Flecken der sympathisierenden Bereiche kritisiert[4]:

„Es kommt sehr oft vor, daß die Mitarbeiter von Radio Afrika auf die ‚Ordnung’ aufmerksam gemacht werden: sie sind in einem Gastland, so daß sie mit ihrem kritischen Journalismus besser aufhören sollen… […] Warum nehmen politische Parteien, Entwicklungs-NGOs usw. keine kompetenten Ausländer oder auch neue Akademiker in ihre Spitzenpositionen auf, anstatt sie zum Verlassen Österreichs zu zwingen, oder das Stipendium zurückzahlen zu lassen? [..] Man sollte die Basis zur Kooperation mit Afrikanern hier schaffen, bevor man nach Afrika fliegt, um die Armut zu bekämpfen – während die hier lebenden Afrikaner im Stich gelassen werden.“

Angesichts der Leistungen des hochmotivierten afrikanischen Teams fällt es schwer, die weitgehende Nichtfinanzierung zu verstehen. Diese Initiative leistet jährlich u.a.

  • 1400 (!!) Rundfunksendungen für Ö1, für Radio Austria International und Radio Orange
  • ca. 50 A3-Seiten in einer führenden österreichischen Zeitung (der Wiener Zeitung)
  • viele Schulaktionen
  • Journalistenschulungen
  • Vergabe von Medienpreisen
  • Organisation von Medienseminaren

 Von dieser Initiative werden keine zukünftigen Leistungen versprochen, sondern gegenwärtige erbracht. Was andere versprechen, wird hier eingelöst. Eine kritisch-konstruktive Grundhaltung, wie sie das Redaktionsteam aufweist, sollte von mündigen Demokraten eher als Bereicherung, denn als Bedrohung aufgefaßt werden. Das Niveau der meisten Beiträge ist ansprechend und objektiv, nur bei wenigen erscheint eine subjektive Note. Diese Initiative würde sich auch im Vergleich mit stärker subventionierten rein „österreichischen“ Initiativen eine höhere Förderung verdienen (als die etwa 5 € pro Rundfunksendung, die anderen Dienstleistungen nicht  einmal eingerechnet).

An der Qualität der Berichterstattung kann die ungenügende Finanzierung kaum liegen. Die Initiative erhielt mehrmals Preise für ihre entwicklungspolitische Berichterstattung. So wurde z.B. dem Chefredakteur Simon Inou am 11.3.2002 der Preis des Landes Steiermark für entwicklungspolitische Berichterstattung verliehen. Dennoch stand Radio Afrika ein Monat später vor der Einstellung, weil der Initiative der Wegfall der Subvention angekündigt wurde.

 Der afrikanische Medien-Preis 2000

Ende 2000 lud Radio Afrika International eine Jury von 10 Experten aus Afrika und Österreich ein, die beste österreichische Printmedien-Berichterstattung über Afrika und Afrikaner herauszufinden.

Wir berücksichtigen die Gesamtheit der überregionalen Tageszeitungen Österreichs sowie die Wochenmagazine Profil, News und Falter. Wir schlossen bewußt das entwicklungspolitische Magazin Südwind und die Wiener Zeitung von der Wertung aus. Der Südwind hat den Widmungszweck einer sensibleren Berichterstattung über Kulturen des Südens und dadurch einen zu großen Startvorteil. Die Wiener Zeitung als Gastgeber der Printausgabe der Tribüne Afrika konnte nicht unvoreingenommen bewertet werden.

 Die Kriterien der Qualitätsbewertungen

Wir wählten für unsere Analyse folgenden Ansatz: Wir gingen von konkreten Ereignissen aus und wollten wissen, wie und in welchem Umfang die verglichenen Zeitschriften auf sie eingingen. Die Zeitschrift, welche gleichermaßen breit wie qualitativ hochwertig über afrikanische Ereignisse im Jahr 2000 berichtete, sollte gekürt werden. Als qualitätsvoll definierten wir Berichterstattung, die ausgewogen ist, in ihrer Afrika-Berichterstattung auch Stimmen aus diesem Kontinent zu Wort kommen läßt und das Prinzip der Objektivität auch in anderen Hinsichten beherzigt; über reine Katastrophenberichterstattung hinausgeht und auch über andere wichtige Geschehnisse berichtet, die zum besseren Verständnis der Entwicklung des Kontinents und seiner Menschen beitragen können. Dazu wählten wir insgesamt fünf Themen im Bereich von Kultur, Wirtschaft, Politik, Integration und Sport aus, die für Afrikaner im letzten Jahr von besonderer Relevanz waren.

 

Diese Ereignisse waren:

  • die Wahlen an der Elfenbeinküste 2000;
  • die Gedenkfeier zum Todestag von Marcus Omofuma a. 1.5.2000;
  • ein afrikanischer Wirtschaftsgipfel;
  • die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 mit dem Mitfavoriten Südafrika;
  • afrikanische Aktivitäten zum Frauentag 2000 in Wien.

 

Die Berichterstattung über diese Ereignisse
  • Keine einzige Zeitschrift informierte über alle fünf Bereiche:
  • Der afrikanische Wirtschaftsgipfel kam in keiner Zeitung vor;
  • Nur zwei Zeitschriften berichteten kurz über das Hauptthema des afrikanischen Frauentags, die Beschneidung;
  • Die meisten Qualitätszeitungen berichteten über die Gedenkfeiern an Marcus Omofuma und über die Wahlen an der Elfenbeinküste;
  • Alle Zeitungen berichteten über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft.

 Bei der Berichterstattung über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 achteten wir besonders auf die Darstellung des Mitfavoriten Südafrika. Uns interessierte besonders, welche begleitenden Informationen über dieses Land transportiert wurden. War die Berichterstattung fair und wurde das Land in einer Weise dargestellt, daß die Leser Südafrika als Veranstalter ernstnehmen konnten? War für die Zeitungen die enorme Enttäuschung in Südafrika nach der verlorenen Wahl von Belang?

 

Resümee

Nimmt man die für Afrika wichtigen Ereignisse als Maßstab, so ist die Berichterstattung der meisten Zeitschriften kaum vorhanden. Nur eine Minderheit von Tages- und Wochenzeitungen bietet ein breiteres Informationsangebot.

 Die Zeitschriften mit der besten Afrika-Berichterstattung waren:

  • Der Standard vor
  • den Salzburger Nachrichten und
  • dem Kurier.

 Am Standard gefiel uns besonders die ausgewogene Berichterstattung. Afrikaner wurden nicht nur als Opfer, sondern auch als Akteure der Geschichte beschrieben. Besonders hervorzuheben war, daß Afrikaner auch in der Spalte Kopf des Tages vorgestellt wurden.

 Bei drei Kernthemen unterschieden sich die Zeitungen folgendermaßen:

 1. Wahlen an der Elfenbeinküste.

Intensität und Qualität der Beschreibungen variierten enorm. Die Berichterstattung zu den Wahlen an der Elfenbeinküste war bei allen Zeitungen eher kurz, daher waren die gewählten Aspekte für die Analyse besonders aufschlußreich. Zeitungen mit breiteren Ansätzen wie Kurier, Standard oder Salzburger Nachrichten berichteten jeweils mehrmals über Begleiterscheinungen der Wahl und gingen ausführlich auf Wahlfälschungsversuche des damaligen Diktators ein. Für die meisten anderen Zeitungen spielte das Thema hingegen keinerlei Rolle.

Am Standard gefiel uns, daß der neue Staatspräsident zum Kopf des Tages ernannt wurde sowie die besonders detaillierte und objektive Hintergrund-Berichterstattung über die Eigenheiten des westafrikanischen Staates. Im Vergleich dazu beschränkte sich die Information der Salzburger Nachrichten und des Kurier auf das Nötigste. Am Kurier wurde kritisiert, daß vereinzelt zu besonders plakativen Titeln gegriffen wurde, die geeignet sind, Klischee-beladene Eindrücke von Afrika zu verfestigen.

 2. Der Fall Omofuma:

Am 1. Mai 2000 war der erste Gedenktag des Todes von Marcus Omofuma, der am 1.5.1999 bei der Abschiebung nach Nigeria verstarb. Alle drei Zeitungen berichteten intensiv und vorbildlich über ihn. An der Berichterstattung des Kurier fiel uns positiv auf, daß anläßlich des Gedenktages eine Reihe von in Wien lebenden Afrikanern vorgestellt wurden. Auch die Salzburger Nachrichten stellten in einem größeren Artikel die Studien eines in Wien lebenden Afrikaners über die Situation von Afrikanern in Österreich vor.

 3. Die Fußballweltmeisterschaft 2006:

Praktisch alle Zeitungen berichteten über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006. Auch hier stachen Salzburger Nachrichten, Standard und des Kurier positiv hervor. In den Salzburger Nachrichten wurde den enttäuschten Reaktionen aus Südafrika breiter Raum eingeräumt. Auch der Standard gefiel durch eine ausgewogene und umfangreiche Berichterstattung. Der Kurier berichtete deutlich weniger als Standard und Salzburger Nachrichten von den enttäuschten Stimmen in Südafrika, was letztendlich den Ausschlag für die endgültige Reihung dieser drei Zeitungen gab.

Als Minuspunkt der Berichterstattung der Salzburger Nachrichten vermerkten wir die unkommentierte und unkritische Widergabe einer Aussage Franz Beckenbauers. Er hatte im Vorfeld der Wahl behauptet, daß Deutschland nur durch Manipulation diese Fußballweltmeisterschaft verlieren könnte. Durch diese unkommentierte Berichterstattung konnte der Eindruck erweckt werden, daß nur Deutschland der legitime Gewinner werden hätte können.

Die drei Spitzenreiter setzten sich mit ihrer Afrika-Berichterstattung deutlich vom Rest des Feldes ab. Alle anderen Zeitungen fielen bei Häufigkeit und Qualität der Berichterstattung deutlich ab. Ganz am Schluß des Feldes lag die Kronenzeitung, die wahrscheinlich durch ihre pauschalierende Berichterstattung über Afrikaner und Drogenhandel viel zum negativen Image der Afrikaner in Österreich beigetragen hatte. Für die Berichterstattung der Zeitschriften schien überwiegend die von Leonhard  (s.o.) angenommene Prioritätenliste der ausgewählten Geschehnisse zu gelten. Es wurde kaum über Ereignisse berichtet, die weder einen starken Österreich-Bezug noch wahrnehmbaren Katastrophengehalt aufwiesen.

Auch das Profil berichtete über zu wenige Themen für einen Spitzenplatz der Wertung, obwohl die Berichterstattung über Afrika und die Integration von Afrikanern in Wien übereinstimmend als positiv eingestuft wurde. Das Magazin News wirkte in seiner Berichterstattung zu sehr auf plakativ arrangierte Sensationsberichterstattung orientiert.

Es lassen sich somit folgende Schlüsse über die Qualität der österreichischen Berichterstattung über afrikanische Inhalte ziehen:

·        Nur wenige für Afrikaner wichtige Inhalte sind auch für österreichische Medien von Bedeutung. Bezüglich Frequenz und Vielfalt der Berichterstattung sind einzelne Tageszeitungen den Wochenzeitungen klar überlegen;

·        Die meisten Zeitschriften berichten fast nur beim Auftreten von Katastrophen über Afrika oder Afrikaner. Selbst dann fehlt oft die notwendige begleitende Hintergrundinformation. Einzelne Zeitungen wie besonders die Kronenzeitung vermitteln ein wesentlich negativeres Afrikabild als Konkurrenzblätter;

·        Qualität und Objektivität der Berichterstattung über die ausgewählten Themen erscheinen nur bei den drei erstgereihten Zeitschriften akzeptabel. Nur in ihrer Berichterstattung fanden sich notwendige Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis der Ereignisse.

 


[1] Vor einigen Jahren schrieb ich für das Profil einen Artikel über den Bürgerkrieg in Liberia, der vom damaligen Chefredakteur Stackl bereits abgesegnet war. Als dieser kurzfristig zu einem Art Börsecrash nach New York mußte, schrieb sein Vertreter den Artikel so um, daß es auf einmal vor Ausdrücken wie „Mordbube“ wimmelte. Dies bewog mich letztendlich, der Veröffentlichung des Artikels unter meinem Namen nicht zuzustimmen….

[2] Kein Grund zur Schwarzmalerei – Afrikaner in Österreich, 22.-25.11.1999. Radiokolleg

[3]‚verletzend‘: 5 Punkte … ‚wohlgesinnt‘: 1 Punkt.

[4] Wiener Zeitung. 14. 11. 2000. Beilage der Tribüne Afrikas, Seite 1. Bitterer Journalismus. 

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