Afrikas Sprachenvielfalt – Vorteil oder Hypothek?

(Artikel in Südwind-Magazin, 1.12.2000)

Afrikas Sprachenvielfalt – Vorteil oder Hypothek?

Sprachvielfalt: Afrikas Sprachen sind ein Eldorado für Linguisten: so die 300 Rinderbezeichnungen der Fulbe, 256 Genitiv-Formen der Schona, Klicklaute der Khoisan, die Genitiv-Unterscheidung fatalistisch/lebensaktiv der Mande, 5 Vokallängen im Nordsamo, 5 Tonhöhen im Yacouba, 51 Begriffe für Yams bei Völkern Togos u.a. Afrikas ca. 2000 Sprachen sind z.T. verschieden wie Deutsch und Chinesisch, die Vielzahl eigener Konzepte beeindruckt: Zeichen sprachlicher Flexibilität und Ausdrucksfähigkeit, wie Cheikh Anta Diop mit der Übersetzung der Relativitätstheorie ins Wolof bewies.

Sprachliche Fremddominanz: Dennoch sind, gerade durch diese Sprachvielfalt, fast immer ehem. Kolonialsprachen die National- und Unterrichtssprachen Afrikas: Nigeria (120 Mill. Menschen) hat 286, die Côte-d’Ivoire mit 15 Mill. Menschen 60, Gambia mit knapp 1 Mill. Menschen noch 15 Sprachen.

Sprachvielfalt ist teuer und nutzt oft nicht: Es ist Staaten unmöglich, Schulbücher, Gesetzestexte, Sendungen, Literatur, Filme, Bücher in 286 Sprachen zu verfassen. Die Sprachen teilen sich oft Gesprächskontexte und sind daher häufig nur in engen Bereichen wichtig: die Sprache des Dorfes, die des Marktes, die Verkehrssprache und die Schul- bzw. Nationalsprache. Daher sprechen 10-Jährige, wenn auch reduziert, oft drei Sprachen: Die Muttersprache für einfache Gespräche im familiären Kontext; die Verkehrssprache für die praktische Alltagsbewältigung, die Schulsprache für die Modernität. Man lernt überall vor allem das Nützliche. Städtische mehrsprachige Sprachinformanten suchen oft lange nach simplen Begriffen aus Natur und Gesellschaft, kennen oft Sprichwörter nicht mehr, kaum überraschend für mehrsprachige Europäer, die wie ich das Lexikon ihres Dorfes nur mehr begrenzt verstehen. Der praktische Nutzen der Mehrsprachigkeit wird durch die Kontextabhängigkeit oft relativiert. Ein fünfsprachiger Europäer findet (vereinfacht) 5x soviel Literatur in Bibliotheken, an Büchern, an Treffern beim Internet-Browsen, ein fünfsprachiger Afrikaner kaum mehr als ein einsprachiger mit Kenntnis der Kolonialsprache.

Kolonialsprachen schaffen Distanz: Obwohl von kaum mehr als 20-30% verstanden und fern afrikanischer Realitäten, wurden die ehem. Kolonialsprachen v.a. wegen der Sprach- und Volksvielfalt und deren politischer Konkurrenz als einfachste Lösung für öffentliche Bereiche gewählt. Mit dem Aufstieg in der Hierarchie und dem folgenden Sprach- und Konzeptwechsel im öffentlichen Diskurs entfernen sich Verantwortungsträger ihren Mitbürgern zunehmend sprachlich und inhaltlich, werden eher zu Europäern 2. Klasse als zu Afrikanern 1. Klasse. Mobilisierung, Nation Building, der Abbau wirtschaftlich/politischer Fremddominanz werden enorm erschwert.[1].

Afrikas große Verkehrssprachen gewinnen an Einfluß. Ihre Verbreitung steigt trotz der offiziellen Funktion der ehem. Kolonialsprachen: Um 1900 sprachen 5-6 Millionen Mandekan, heute ca. 35 Millionen; ebenso gewannen Suaheli (ca. 60 Mi.) und Hausa (ca. 40 Mi.) an Bedeutung. Sichere und weite Reiseräume, Pull- und Push-Faktoren verstärken Migrationsströme und den Bedarf nach interethnischen Verständigungsformen. Millionen Migranten aus armen Nachbarländern machten an der Cote-d’Ivoire das von 11% als Muttersprache verwendete Jula zu einer von 61% gesprochenen Verkehrssprache. Migration fördert interethnische Heiraten, deren Kinder meist in der „nützlicheren“, da größeren Sprache erzogen werden, was zum Aussterben kleiner Sprachen führen kann, aber wahrscheinlicher macht, daß die überlebende zukünftig auch als Unterrichtsmedium verwendet wird.

Der praktische Nutzen dieser Sprachen für die Alltagsbewältigung müßte erhöht werden. Die Geberländer könnten den Sprachnutzen erheblich fördern: Warum nicht in großen Sprachen verstärkt Enzyklopädien, Spielfilme, Gesetzestexte, Bürgerrechte, technische Manuals u.a. finanzieren? Die Fähigkeit, autonom Informationen suchen zu können, fördert mündige Bürger und die Zivilgesellschaft, weil das Individuum und Selbsthilfe gestärkt wird, das Warten auf Hilfe unterbleiben kann, die Kontrolle der Mächtigen erleichtert wird. Wissen ist Macht, Afrikas Bürger brauchen afrikanische Zugänge dazu. Dieser Nutzen würde auch andere Afrikaner bewegen, diese Sprachen zu erlernen, die ihnen konzeptuell wesentlich näher stehen als europäische.

Der Schutz kleiner Sprachen ist Luxus, solange in Afrika Kolonialsprachen dominieren und könnte zu einem Sprachmuseum führen. Er würde von den meisten Afrikanern gesuchte Verschmelzungsprozesse bremsen, die in einer neuen und echten Unabhängigkeit Afrikas in 20, 30 Jahren münden könnten, in der Regierende endlich verstanden werden und ihre Bürger verstehen, weil sie die gleiche und afrikanische Sprache sprechen. Afrika braucht eher eine verbesserte Konkurrenzfähigkeit seiner großen Sprachen als eine Mumifizierung seiner kleinen.


[1] Es läßt sich eine negative Korrelation zwischen ethnisch/sprachlicher Zerrissenheit und Wirtschaftswachstum zeigen (Vergleich Ferner Osten – Afrika): Ebermann: Entwicklungsdynamik in Afrika – eine soziodemographische Analyse. In Liebmann, A. & Amon, W. Dimensionen 2000. Holzhausen – Wien. 1997.

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