Wie man gekonnt die Menschen an die Rassisten verliert: eine Polemik

15 Tipps, wie Sie garantiert und gekonnt bei der Bekämpfung von Vorurteilen und Rassismus scheitern 

Es ist nicht einfach, alles falsch zu machen, wenn man Rassismus bekämpfen möchte. Mit etwas Anstrengung ist dies aber durchaus möglich, sodass man mit den richtigen Techniken gekonnt und garantiert beim Bekämpfen von Vorurteilen scheitert.

 

 
(aktualisierte Version meines Buchkapitels aus ‚Afrikaner in Wien‘ (2007)

Afrikaner sind das sichtbarste Symbol von Zuwanderung. Negative Vorurteile gegenüber Migranten betreffen daher Afrikaner als eher marginalisierte Gruppe besonders. In der Folge wird in einem breiteren Ansatz untersucht, warum gerade  Menschen, die sich vordergründig besonders für die Bekämpfung von Vorurteilen einzusetzen scheinen, ausgesprochen häufig scheitern. 

Wer als einseitig, überheblich und belehrend empfunden wird, wird auch in Integrationsfragen weniger gehört werden. Wer andere durch Abgehobenheit und Schubladisierungsleidenschaft ausschließt, kann kaum mit Forderungen nach Integration und Toleranz erfolgreich sein.

Um erfolgreich meinungsbildend zu sein, benötigt man besonders die nachvollziehbare Kompetenz des Meinungsbildners; eine gute Sprecher-Hörer-Beziehung mit einem fairen Diskussionsverhältnis zwischen „Lehrer“ und „Belehrtem“, bei welchem nicht nur die „Lehre“, sondern auch das Interesse am Belehrten von Bedeutung ist; sowie die Glaubwürdigkeit des Lehrers, v.a. was eigenes Tun und das Vermeiden doppelter Standards anbetrifft.

Ich habe in vielen Jahren der Beschäftigung mit Integration und Entwicklung, bei der Organisation und Durchführung von Hunderten von Veranstaltungen zu Integrationsfragen eine Fülle engagierter, ausgewogener und didaktisch hochbegabter Menschen kennengelernt, die ich ausdrücklich von der folgenden Kritik ausnehmen möchte. Doch wird ihre Arbeit oft durch schrille Töne anderer, meist Lauterer übertönt. Der weitverbreitete Eindruck der Abgehobenheit und Selbstherrlichkeit einer engagierten Szene beeinträchtigt auch ihre Arbeit in hohem Maße. Ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die sich für andere einsetzen, seien es – leider teilweise schon verstorbene – Prominente wie Karl-Heinz Böhm (Äthiopienhilfe), Ute Bock (Einsatz für jugendliche afrikanische Asylwerber), Willi Resetarits (Projekt Integrationshaus) oder viele Unbekannte wie Andreas Szabo (der mit großem persönlichen Aufwand afrikanische Künstler fördert). Ich habe aber meine Probleme mit denen, die es nicht verstehen, Sachkritik von persönlichem Frust und Vernichtungswillen zu trennen. Oft zeigen sie im eigenen Leben keineswegs einen vorbildhaften Umgang mit Abhängigen und Menschen mit anderen Horizonten und Meinungen, versuchen aber, Marktlücken der Menschlichkeit zu besetzen. Sie möchten damit ihre eigene Geltung erhöhen und eine bequeme Ausrede finden, Frust, Selbst- und Fremdhaß als Akte der Menschenfreundlichkeit erscheinen zu lassen.

 Natürliche Lobbies für Afrikaner und andere Zuwanderer finden sich besonders bei den folgenden Gruppen, die hier Vermittler genannt werden:

  • bei Mitarbeitern und Instituten des Integrationsbereichs
  • bei Mitarbeitern und Instituten des Entwicklungspolitischen Bildungsbereichs (meist auch Arbeitsschwerpunkte im Integrationsbereic
  • bei Medien, die teilweise für ihren Einsatz für Integration und gegen Vorurteile bekannt sind (z.B. Profil, bestimmte Rundfunk- und Fernsehsendungen)
  • bei Mitarbeitern der Nord-Süd-Institute der Universitäten
  • bei politischen Bewegungen mit Arbeitsschwerpunkten in Integrationsfragen
  • bei verschiedenen kirchlichen Instituten und Vereinen
  • bei Personen des öffentlichen Interesses sowie Private mit großem Engagement in Integrationsfragen

 Man kann Mitmenschen trotz der richtigen Argumente nicht immer von seinen Anliegen überzeugen. Der Kampf um mehr Toleranz für Zuwanderer wurde im letzten Jahrzehnt eindeutig von der populistischen und fremdenablehnenden Rechten für sich entschieden. Die Rechte stieg ständig in der Wählergunst, obwohl sie eine Fülle von Angriffsflächen bietet. Man denke an Personaldiskussionen, an primitive „Sager“, an manchmal ungenügende Abgrenzung zum Nationalsozialismus, an Korruptionsskandale, an gerichtlich geahndete Handgreiflichkeiten von Spitzenfunktionären in Diskotheken, an häufige Rufschädigung und Rufmord an Dritten, Orientierungslosigkeit ausgedrückt durch häufigen politischen Richtungswechsel und vieles mehr. Dennoch gewann die Rechte erheblich an Popularität und Akzeptanz ihrer oft zuwandererfeindlichen Thesen. 

Viele „Vermittler“ und Bekämpfer der Rechten haben ihr Scherflein dazu beigetragen. Die erfolgversprechendsten und beliebtesten Strategien des Scheiterns bei der Bekämpfung von Vorurteilen und Rassismus werden in der Folge angeführt.

Höhlen Sie Ihre Sprache aus, bis keine Kritik mehr möglich ist

„Haider ist Hitler!“. Eine mathematische Gleichung, die vom österreichischen Psychologen Erwin Ringel aufgestellt wurde. Also ist Hitler Haider. Aber sind nicht Saddam Hussein oder Pol Pot, ja sogar Le Pen schlimmer als Haider? Waren sie also auch schlimmer als Hitler? Wie nennt man dann Le Pen? Super-Hitler? War also der Holocaust gar nicht so schlimm?

Die Regierung plant die Senkung der Quote für die Zuwanderung von Nicht-EU-Bürgern. Fremdenfeindlich und rassistisch“ nennt das die Grüne Madeleine Petrovic. Fremdenfeindlich? Darüber kann man diskutieren. Rassistisch? Neben Türken und Jugoslawen sind auch Amerikaner betroffen. Wie kreativ wird hier Rassismus interpretiert?

Es vergeht kaum eine Woche ohne Mißtrauensantrag gegenüber einem Mitglied der Regierung. Vor zwanzig Jahren horchte ich auf, wenn ich in Zeitungen von einem Mißtrauensantrag las und dachte mir, daß etwas Gravierendes vorgefallen sein mußte. Heute überlese ich derartige Informationen.

Bei einer internen Parlamentssitzung über Restitutionsfragen wird Ariel Muzicant, der Vertreter der jüdischen Bevölkerungsgruppe Wiens, nicht zugelassen. „Herrenmenschen-Mentalität“ unterstellt er daraufhin den Regierungsverantwortlichen.

Die Regierung stockt die Familienbeihilfe um einen zweistelligen Milliardenbeitrag auf und erlaubt es erstmals auch Selbständigen und Landwirten, sie zu beziehen. Zu recht kritisieren manche, daß wegen der Zuverdienstgrenze von etwa 1500 €/Monat besserverdienende Frauen darauf verzichten müssen. Obwohl die Familienbeihilfe im Gegensatz zu vorher auch ausbezahlt wird, wenn Frauen weiterarbeiten, vergleicht sie Eva Roßmann in einem Standard-Artikel mit dem Mutterkreuz der Nazis (11.6.2000, Kommentar der Anderen). 

Wir nehmen uns durch extreme Wortwahl kontinuierlich die sprachlichen Mittel, mit denen wir Menschen vor wirklich negativen Entwicklungen warnen könnten. Wir gebrauchen sie so inflationär und unterschiedslos, bis sie gehaltlos bei einem Ohr hineingehen und beim anderen wieder herauskommen. Wir verlieren zunehmend die Kritikmöglichkeit durch dieses oft kindische Verhalten, Angelegenheiten bis ins Unerträgliche zu dramatisieren. Schwarz-Weiß-Malerei ersetzt und verdrängt grauschattierte Reflektion. Mit welchen sprachlichen Mitteln werden wir noch warnen können, wenn das absolute Grauen in Form eines neuen Hitlers zurückkehren sollte?

Zerstören Sie die eigene Glaubwürdigkeit

Sie sei erstaunt, daß stets nur über ihre negativen Aussagen zu Österreich berichtet würde, beklagte Beate Winkler, die Leiterin der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus (EUMC) in Wien. Tatsächlich wird jede Kritik des EUMC an Österreich (nach der Aufnahme der rechtspopulistischen Partei FPÖ in die Regierung 1999) fast automatisch von der Kronenzeitung mit scharfen Gegenattacken beantwortet. Es wäre zu leicht, dies allein mit einer automatischen Abwehr gegen Kritik von außen zu erklären, da  die nicht minder kritischen und qualifizierten Berichte des Europarates zu Österreich zu keiner vergleichbaren Abwehrreaktion führten. 

Die EU-Beobachtungsstelle machte – und das ist eigentlich bei den institutionalisierten EU-Integrationsexperten nur schwer verständlich –  folgenschwere Fehler. Sie gab frühzeitig die Warte eines unabhängigen kritischen Beobachters auf und positionierte sich als einzige EU-Institution bereits während der Sanktionen auf der Seite der EU-14. So wurden die Einladungen zur Eröffnungsfeier bewußt so formuliert, daß österreichische Regierungsmitglieder ausgeschlossen waren. Viele Österreicher, Bürger des Gastlandes der Institution, empfanden dies als offenen Affront. Beate Winkler antwortete auf Kritik, daß sie für diese Strategie viel Beifall von der Seite der EU-14 erhalten hätte. Applaus als wichtigste Leitlinie für eine derartige Institution? Wäre es bei der Eröffnung nicht wesentlich wirkungsvoller gewesen, anwesende österreichische Regierungsmitglieder vor der Weltpresse mit berechtigter Kritik zu konfrontieren? So aber tendierte man zum Ausschluß derer, deren Meinungen man verändern möchte, eine äußerst effiziente Förderung der Lagerbildung. 

Wenige Wochen später verglich Jean Kahn, der Kuratoriumsvorsitzende des EUMC, eine von der FPÖ geplante Arbeitsverpflichtung von Langzeitarbeitslosen (mit erhöhter Arbeitslosenunterstützung) mit der Zwangsarbeit unter den Nazis (s. u.a. Kurier, 17./19.4.2000). Hier wurde nicht nur Unsinn geredet, sondern  wurden eindeutig Grenzen überschritten.  Sozial- und Arbeitspolitik, sofern sie nicht mit Migranten zu tun hat, gehören zweifellos nicht zu den Agenden des EUMC. Trotz der persönlichen Betroffenheit Jean Kahns, der einen Teil seiner Familie in Konzentrationslagern verlor, wäre größere Zurückhaltung hier wohl ratsam und eher im Interesse des EUMC gewesen, der dadurch an Glaubwürdigkeit und Objektivität verlor.

Vielen Österreichern schien dies ein weiterer Beweis für die Rolle des EUMC als spezifisches und subjektives Wachinstrument für die konservative österreichische Regierung zu sein:

„Seltsamer Methoden bedient sich auch die ‚Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit‘. Schon im Frühjahr bei der Eröffnung glänzte ihr Vorsitzender Jean Kahn mit Halbbildung: Als Beleg für die Intoleranz der Regierung nannte er die restriktiven Regelungen für den Familiennachzug von Immigranten. Bloß: Verantwortlich dafür ist Rotschwarz, speziell die SPÖ, namentlich Ex-Innenminister Schlögl und Ex-Sozialministerin Hostasch.“

schreibt Norbert Stanzel am 24.6.2000 in der FPÖ-kritischen Zeitung Kurier.

Das wichtigste Kapital von Enthüllungsmagazinen ist der Ruf der Unabhängigkeit und Objektivität. Das Wochenmagazin Profil erwarb sich große Verdienste bei der Aufdeckung von Skandalen aller Parteien und im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Unter Hubertus Czernin wurde das Profil vorübergehend zu einer selbstdeklarierten „Anti-Haider-Zeitschrift“ und damit offen parteiisch.

Wir da oben, Ihr da unten: Die Umerziehungslust der Engagierten

Bereits rein sprachlich zeigen wir oft den „primitiveren“ Teilen der Gesellschaft, wo es langgeht und wo sie im Gegensatz zu uns stehen. Letztendlich geben wir uns überrascht, wenn sie uns nicht mehr zuhören und unsere ewiggültigen Weisheiten, aufgrund derer wir uns überlegen fühlen, nicht übernehmen wollen.

Wie viele andere Wiener war auch ich, trotz oder vielleicht wegen meiner 10 Jahre Auslandserfahrung, skeptisch gegenüber der für 1996 geplanten Weltausstellung in Wien. Als die Volksabstimmung über deren Abhaltung negativ ausfiel, schrieb Peter Rabl, der Chefredakteur des integrationsoffenen Magazins Profil, in seinem Leitartikel von „einer Kombination aus fortschritts- und modernitätsfeindlichen Nostalgikern, kleinbürgerlichen Schrebergärtnern und dumpfen Fremdenfürchtigen“, die dieses Projekt zum Scheitern gebracht hätten (Profil, 21.5.1991, S.8).

Die größte entwicklungspolitische Bildungsorganisation „Südwind“ schuf eine sinnvolle Initiative zum Abbau von Vorurteilen gegenüber anderen Kulturen und zum Aufzeigen globaler Vernetzungen. Sie nannte sie jedoch „Weltsicht entwickeln“. Die Angestellten des Südwinds sind um vieles weniger überheblich, doch suggeriert der Titel, daß sie die Lehrer und das Zielpublikum die Belehrten sind. Diese sollen sich nicht Details, sondern „die Welt“ und so das Leben an sich von ihnen erklären lassen. Wer sich so bilden läßt, müßte einen Akt der kompletten intellektuellen Unterwerfung machen: „Ja, mein Meister, ich bin unwissend! Lehre und führe mich!“. Die Initiative wendet sich zwar primär an Schüler ab 16 Jahren, richtet sich aber z.B. in Niederösterreich auch an Erwachsene. Da müßte sich ein 50- oder 60jähriger von einem 25jährigen Engagierten des Entwicklungspolitischen Bereichs belehren lassen, wie Leben und Welt zu deuten und zu verstehen seien. Didaktisch erfolgsversprechend? Gerade ältere Menschen meinen, daß Jüngere auch von ihnen lernen sollten. Der gewählte Titel ist viel zu hochtrabend, postuliert die eigene Weltsicht-Überlegenheit und eine Gesellschaft, die es umzuerziehen gilt. Er steht für eine Anmaßung der Eltern-Rolle, wo eine Partnerrolle im kritischen Dialog wohl mehr bringen würde. 

Wir in den sympathisierenden Bereichen sollten kritischer gegenüber unserer Annahme sein, daß wir die großen Lehrer sind. Zu naiv und zu leicht widerlegbar sind viele unserer Postulate, zu leichtgläubig sind wir oft gegenüber denen, die unsere Thesen bereitwillig mit sogenannten Informationen oder Theorien unterstützen. Wirft man z.B. einen tieferen Blick auf die Lebensläufe vermeintlicher Koryphäen für außereuropäische Regionen, stellen sich diese Größen in Wissenschaft und Praxis häufig als gelegentliche Touristen heraus, die zwar hie und da riesige Kontinente besuchten, aber ihr Wissen über diese großteils nur aus Büchern erhielten und ihre Platon’sche Schattenwelt als Realität vermarkten, als das „wahre“ Afrika, Asien oder Lateinamerika. Und sie haben für diese Schattenwelten auch meist die „richtigen“ Schattenlösungen anzubieten[1].

Gérard Mortier, künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, kritisiert die neue Regierung wegen der Kürzung seines Kulturbudgets: Die Regierung wolle „die Menschen dumm bleiben lassen“[2]. Dumm ist demgemäß jeder, der sich bisher vielleicht nur mit geistigen Randerscheinungen wie Marx oder Popper begnügen mußte, Mortiers bedeutende Botschaften aber noch nicht vernehmen konnte. Ein Schelm, der sich Gedanken über die geistige Tiefe und Reife Herrn Mortiers macht…

Der alleinige Wahrheits- und Kompetenzanspruch zeigt sich auch in der bewußten Monopolisierung positiver Begriffe für das eigene Lager, woraus eine grobe intellektuelle Unterschätzung und Abwertung der Rationalität der Konservativeren, Abwehrenden und Aggressiveren spricht. Auch der bei Denkbeiträgen meist ausgewogene Philosoph Doron Rabinovici sagte in einem Interview für Die Zeit (29.6.2000, S.37), daß kein Intellektueller hinter der FPÖ stünde, „außer, man bezeichnet Mölzer als Intellektuellen“. Auch wenn man Personen wie Mölzer oder Höbarth (FPÖ-naher Historiker an der Universität Wien) nicht mag, so kann man ihnen breite Bildung, hohe Intelligenz und Eloquenz im Diskurs nicht abstreiten. Damit wären natürlich die Anforderungen des Begriffs Intellektueller, lt. Duden „Verstandesmensch, geistig Geschulter“, voll erfüllt. Ähnlich ist es, wenn anerkannt großen Schauspielerinnen wie Paula Wessely, vermutlich wegen ihrer Propaganda-Rolle im 3. Reich, von Elfriede Jelinek die Schauspielkunst abgesprochen wird. Dieser elitäre Glaube, daß abseits des eigenen Lagers nur Primitivität vorherrsche, erklärt einen Teil der Kluft zwischen den linken Intellektuellen und einem großen Teil der Bevölkerung und hat möglicherweise zur Auswirkung, daß viele mit diesen „Gespritzten“ (Dialektausdruck für überhebliche Städter in Ostösterreich) nichts zu tun haben möchten.

[1] Ein extremes Beispiel war eine österreichische Afrika-Zeitschrift der 80er-Jahre, die sich thematisch v.a. mit afrikanischer Politik und Entwicklung befaßte und zahlreiche scharfe und zum Teil vernichtende  Kritiken gegen Personen und Strukturen richtete, welche sich mit oder in Afrika beschäftigten. Kein einziger der 5 Herausgeber, großteils Studierenden der Afrikanistik, hatte zu diesem Zeitpunkt Afrika durch eine Reise persönlich kennengelernt und keiner von ihnen hielt es für notwendig, um eigene fundierte Urteile fällen zu können.

[2] ORF-Mittagsjournal vom 25.8.2001.

Sammeln Sie Punkte beim Finden von Rassisten und Faschisten

Halten Sie die Augen offen und versuchen Sie, so viele Faschisten und Rassisten wie möglich zu entdecken. Nehmen Sie bei deren Fehlen im Notfall Neokolonialisten. Eine Bäuerin stiftet Geld für die „N-“ in Afrika: 1 Punkt; ein Unternehmer gibt einem schlecht Deutsch sprechenden Afrikaner keinen qualifizierten Job: noch 1 Punkt usw. Lassen Sie sich nicht so neumodische Dinge wie das Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung einreden, daß z.B. die Bäuerin gar nicht gewußt haben könnte, daß das N-Wort verletzend ist. Schließlich gibt es die Rechtswahrheit, daß Unwissen nicht vor Strafe schützt, d.h. daß Sie für Schwarzarbeit bestraft werden, auch wenn Sie gar nicht wissen, daß die Nichtversteuerung von Arbeitseinkünften ungesetzlich ist. Seien Sie nicht päpstlicher als das Finanzamt und gewinnen Sie den Wettbewerb!! Denken Sie immer daran, daß diese Welt abgrundtief böse ist und nur Sie als Engel können etwas dagegen tun!!!

 

Ein Meeting einer Koordinierungsstelle der entwicklungspolitischen Bildungsreinrichtungen im Jahr 1995. Wir diskutieren die Umsetzung eines Themenschwerpunkts Arbeit für den gesamten entwicklungspolitischen Bildungsbereich in Österreich. Dieser sollte drei Jahre lang ganz Österreich mit Veranstaltungen abdecken. Wir überlegen Konzepte, wie wir den Eindruck der Gefährdung österreichischer Arbeitsplätze durch arbeitende Menschen im Süden verringern und gemeinsame Interessen und Handlungsnotwendigkeiten aufzeigen könnten. Wir beschließen ein mehrtägiges Seminar, um die wesentlichen Thesen und Slogans herauszuarbeiten. Ich schlage vor, scharfe Kritiker unserer Thesen als Referenten einladen, um die Haltbarkeit unserer Argumente und Slogans zu testen, bevor wir mit diesen an die breite Öffentlichkeit treten. Es kommt anders. 

Die Organisatoren wählen eine absolut linientreue Hauptvortragende, welche die bestehenden Meinungen bedingungslos bestätigt und somit die meisten zufriedenstellt. Trotz der Banalität und Absurdität mancher Beweise für die Schlechtigkeit unserer „natürlichen Feinde“ erntet sie großen Beifall. Nur ich äußere in diesem großen Kreis kritische Worte. So definiert die erstaunlicherweise auf Wirtschaft spezialisierte Universitätslehrerin das Wort Ausbeutung so, dass diese vorliege, falls ein Arbeitgeber seinen Angestellten in einem anderen Land weniger zahle als den üblichen Lohn im Lande des Arbeitgebers. Verfolgt  man diesen Gedanken logisch weiter, dann käme es bereits zur Ausbeutung, wenn eine österreichische Firma in ihrer USA-Filiale Amerikaner beschäftigt und bei einem Verfall des Dollarkurses die lokalen Löhne nicht sofort im gleichen Maße anhebt …. Diese geniale Überlegung genügte für lauten Beifall….

 

Besonders erfolgreich sind Sie bei der Meinungsbildung, wenn Sie negative Handlungen von Zuwanderern oder Ländern des Südens stets mit fürchterlichen Rahmenbedingungen, negative Handlungen von Weißen hingegen stets mit deren  Natur erklären. Machen Sie z.B. deutlich, daß ein Afrikaner gar nicht anders konnte, als mit Drogen zu handeln, weil er keine offizielle Arbeit annehmen darf. Akzeptieren Sie hingegen keineswegs die kindische Ausrede einer Pensionistin, daß sie aus Angst geschwiegen hätte, als unter dem Nazi-Regime Menschen verschwanden, oder daß viele Menschen für Hitler stimmten, weil sie arbeitslos waren und Hoffnung brauchten und suchten. Denken Sie immer daran, daß Sie es mit Faschisten und Rassisten zu tun haben. Die finden immer Ausreden.

Die Lobby ist oft ungleich schneller, selbstzufriedener und umbarmherziger mit ihren vernichtenden Urteilen als viele eigentlich Betroffene. Wenn ein Österreicher das für die Bezeichneten zweifellos verletzende N-Wort verwendet, schreien die meisten Engagierten laut Rassismus, während die Hälfte der Afrikaner noch herauszufinden versucht, ob der Ausdruck bewußt oder in Unkenntnis der verletzenden Tendenz des Wortes geäußert wurde. Die Linke kann nur dann ein besseres Modell für dieses Österreich bilden, wenn wir überzeugender werden, wenn wir nicht nur von besseren Werten sprechen, sondern sie auch verwirklichen und leben und dazu gehört auch die Unschuldsvermutung bei Aussagen oder vermuteten Handlungen bis zum gegenteiligen Beweis. Jemand ist nicht automatisch bei Verdachtsmomenten Rassist, sondern erst nach sorgfältiger Abwägung und Prüfung aller Fakten.

Ich hatte und habe oft den Eindruck, daß für viele Engagierte die Schuldigen oft schon feststehen, bevor man sich die Mühe macht, überhaupt Übergriffe und Verbrechen herauszufinden. Ein Erfolgsrezept für die Publikation in einschlägi­gen Fachzeitschriften bzw. für Vorträge an engagierten Instituten: Man suche für ein Problem im Süden oder bei Integrationsfragen nach einem potentiellen westlichen Täter und stelle auch bei nicht überzeugender Sachlage eine kausale Verbindung her. Für die Rolle des Schuldigen nehme man bevorzugt den We­sten, den Kapitalismus, die USA, die Globalisierung und Rechtsgerichtete.

Eines Morgens ruft mich eine Frau vom Bürgerdienst der Stadt Wien an. Sie fragt mich, ob ich derjenige sei, der eine Umfrage über Afrikaner in Wien durchführe. Sie hätten im Bürgerdienst verschiedene Beschwerden über einen rassistischen Fragebogen erhalten und wüßten nicht, wie sie mit dem ihr vorliegenden Fragebogen umgehen sollten. Sie dächte sogar daran, ihn direkt an den Bürgermeister weiterzuleiten. Ich frage sie, was an meinem Fragebogen rassistisch sei. Sie nannte als Beispiel die Frage, ob der Interviewte sieben verschiedene Zuwanderergruppen für mehr oder weniger intelligent halte. Ich erklärte ihr, daß 60% der von mir befragten Afrikaner annehmen, daß sie intellektuell unterschätzt würden und daher kaum qualifizierte Arbeitsplätze erhielten und daß ich nur durch spezifische Nachfrage bei der Wiener Bevölkerung herausfinden könne, warum und wie oft dieses Vorurteil auftrete. Nur durch Kenntnis dieser Einstellungen könne man auch gezielt dagegen agieren. Sie schien nun beruhigt zu sein. Was mich aber (wieder einmal) bestürzte, war die Leichtigkeit der Unterstellung des Rassismus. Ungeheuer schnell ist man in einer Beweisnot, nachzuweisen, daß man kein Rassist ist. Auf einmal kommt man in eine No-Win-Situation, in der man höchstens zu einem relativ Unverdächtigen werden kann, während der Ankläger, der vielleicht noch niemals zuvor in seinem Leben auch nur einen Finger für Andere rührte, den Richter spielen kann und seine eigene Moral tatenlos außer Frage stellt. 

Ein aktuelles Beispiel (aus dem Jahr 2020) ist der Fall eines Historikers an einem Nord-Süd-Institut der Universität Wien. Bei Vorlesungen zum Sklavenhandel wagte er es, Dokumente vorzustellen, auf welchen das N-Wort vermerkt war. Dies führte zum Aufschrei einer afro-österreichischen Studierenden, welche dies als rassistischen Akt betrachtete. Flugs wurde dieses Verbrechen auch von einer schwarzen Organisatorin der Black Lives Matter-Bewegung in Österreich über ihre Anhängerschaft in den Sozialen Medien weiterverbreitet, womit sowohl der Kollege wie auch das betreffende Institut unter Rassismusverdacht gestellt wurden. Dieses installierte unverzüglich ein Anti-Rassismus-Kommittee, um diesem Verdacht entgegenzutreten. In der Folge wurden sogar Forderungen laut, diesem Historiker die Lehre zu entziehen, was aber wegen seiner Habilitation nicht möglich war. 

Ich kenne diesen Historiker und halte ihn für einen der anständigsten Menschen am betreffenden Institut, der sich z.B. niemals an zweifelhaften Vorgängen innerhalb des Instituts beteiligte und sozial sehr engagiert ist: So wurden z.B. sowohl er wie ich dazu eingeladen, am Nationalfeiertag eines Sahellandes Vorträge zu halten, wofür man uns jeweils einige Hundert Euro als Honorar anbot. Mein Kollege (Jungvater und Alleinverdiener mit einem nicht aufregenden Gehalt) sagte sofort, dass er wegen der Krise in diesem Sahelland das Honorar nicht annehmen wolle und dass man es für ein soziales Projekt in diesem verwenden solle. Einem derartigen Menschen wurde aus heiterem Himmel vorgeworfen, Rassist zu sein, weil er als Historiker historische Dokumente nicht verändern wollte, in welchen das N-Wort vorkommt. Man verlangte von ihm, dass er das wichtigste Gebot von Historikern, nämlich Dokumente keinesfalls zu verfälschen, bricht. 

Dass er seine Berufsethik nicht verletzt, macht ihn zum Rassisten. Da gibt es keine Unschuldsvermutung wegen seiner absoluten Unbescholtenheit, da zählt nicht, dass er außerhalb dieser Lehrveranstaltung niemals das N-Wort verwenden würde, da wird nicht diskutiert, ob ein Historiker überhaupt historische Dokumente verändern dürfte, da zählt nur das Recht desjenigen, der sich moralisch überlegen fühlt. So schnell wird jemand zum Rassisten gestempelt, diesmal wesentlich von schwarzer Seite betrieben, wenn auch von engagierten Weißen unterstützt. Und wenn Schwarze jemanden als Rassisten bezeichnen, haben die wenigsten Weißen in diesen Bereichen den Mut, solche untadelige Kollegen in Schutz zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass eine derartige (beruflich eingeforderte) Verhaltensweise wohl kaum alleine einen tadellosen Ruf ruinieren kann und darf. 

Was veranlaßt Menschen, so schnell derartig gravierende Urteile abzugeben? Der Vorwurf des Rassismus ist keine Bagatelle, er kann in Aktenvermerken und Gedächtnis ewig erhalten bleiben, selbst wenn er nie bewiesen wird. Allzuleicht können damit berufliche Probleme bis zum Existenzverlust verbunden sein. Wie können Menschen, die so schnell zur vernichtenden Schubladisierung neigen, gleichzeitig andere wegen ihrer Vorurteilsbildung kritisieren und dabei noch das Gefühl haben, sich für mehr Gerechtigkeit und Toleranz in der Gesellschaft einzusetzen? Leider erinnert so mancher heroische Einsatz im Integrationsbereich eher an Kreuzzüge und Jakobiner als an Grundregeln erfolgreicher zwischenmenschlicher Kommunikation.

Viele Menschen sind leidenschaftlich mit den sehr schönen Bereichen der Integrationsförderung und EZA verbunden, was oft mit einem fast absoluten Wahrheitsanspruch einhergeht und zu sektenähnlichen Zügen führen kann. So manche Engagierte haben in Führungspositionen, ob in Wissenschaft oder Praxis, große Probleme im Umgang mit anderen Meinungen und sehen sie oft nicht als Bereicherung an: „Wer nicht meiner Meinung ist, ist gegen mich.“ im besten George W. Bush-Stil. Es entfesseln sich teilweise wahre Glaubenskriege, die bis zur chinesischen Tradition der Verunglimpfung an Wandzeitungen gehen können, an denen der ideologische Gegner schriftlich hingerichtet wird (wie ich es einmal an einem Nord-Süd-Universitätsinstitut erlebte, wo ein Lehrender einem anderen über das Blackboard seine Abscheu ausrichtete). Dadurch entwickeln sich innerhalb der gleichen Institution oft scharf getrennte Lager, zwischen denen kaum mehr kommuniziert wird. Wahrheitsansprüche werden oft absolut, Urteile über andere Wissenschaften und Wissenschaftler vernichtend: „Das ist ja keine Wissenschaft!“, „Der kann ja nichts!“. Nur bedingungslose Anhänger werden „voll“ genommen und gefördert, keinesfalls Menschen mit eigenen Profilen.

Machen Sie berechtigte Kritik durch extreme Vergleiche unwirksam

Haider, die FPÖ und das österreichische Fremdenrecht bieten viele Angriffspunkte für fundierte Kritik. Will man erfolgreich verhindern, daß berechtigte Kritik zu Meinungswandel führt, empfiehlt sich der ablenkende Zusatz extremer Aussagen und Vergleiche, wie z.B. „.. wohl einmalig in einer Demokratie“[1] oder „Nur in Österreich könnte jemand wie Haider noch in der Politik tätig sein.“[2] Dadurch lenkt man die Aufmerksamkeit der Angesprochenen geschickt von der Kritik auf die Widerlegung des Extrems und der Lernerfolg ist – wie gewünscht – gleich null. Daraus ergibt sich vermutlich eine anregende Diskussion über interessante „hochdemokratische“ Persönlichkeiten wie Berlusconi, Bossi, Helms oder israelische Minister, die die Ausweisung aller Palästinenser, immerhin aus deren Heimatland, fordern.

„Kommt die FPÖ an die Macht, wandere ich aus!“ ruft mir die junge Kollegin eines sozialistischen Instituts vor der Regierungsbildung 2000 zu. „Wohin?“, frage ich. „Nach Brasilien“. Also ein Land, in welchem Großgrundbesitzer relativ ungestraft indigene Völker morden konnten. Seltsame Alternative idealistischer Menschen auf der Suche nach Menschenrechten…

Wenn man schon das „Reich des Bösen“ vor sich hat (© Ronald Reagan), wie im Falle der Regierungsbeteiligung der FPÖ Jörg Haiders, dann kann die Opposition zu dieser doch nur eine Befreiungsbewegung sein. Dies meint die Philosophin Isolde Charim von der Demokratischen Offensive anläßlich des Schröder-Besuchs in Wien. Die Situation sei ein wenig wie im kommunistischen Polen und die Demokratische Offensive ähnlich der ­­Solidarnosć (Standard, 21.5.2001, Kommentar der Anderen). Es war nie gefahrloser und einfacher, zum Helden zu werden.

Oft wird berechtigte Kritik an Fremdenfeindlichkeit durch gleichzeitige extreme und lächerliche Vergleiche so übertönt, daß das Publikum nur mehr an die Unglaubwürdigkeit des Vergleichs denkt, weshalb es nicht für die Sache gewonnen werden kann.

[1] Der zu Absoluta und Kenntnis der absoluten Wahrheit neigende News-Journalist Alfred Worm über die nach der „Wende“ erfolgte Rundfunkreform. News vom 21.2.2002, Kommentar.

[2] Wie z.B. der an sich ausgewogene Journalist Michael Lingens im Profil vom 18.2.2002, S.128.

Die Kunst der doppelten Standards  – Manche sind gleicher als gleich

A ist in Region B zugewandert. Viele Einheimische lieben A nicht, sie erschweren seine Einreise und seinen legalen Broterwerb im Lande. Viele Einheimische finden, daß A die lokalen Normen zuwenig respektiert. Mein Kollege G sagt, es sei ein Skandal, welche Fremdenfeindlichkeit hier vorkomme. Fremdenfeindlichkeit, sagt er, sei nie ein Problem der Zuwanderer, sondern der Inländer. Die hinterwäldlerischen Inländer sollten gefälligst weltoffener werden und Zuwanderern nicht ihren Lebensstil aufdrängen. In einer pluralistischen Welt sei das erforderlich, ihre Kultur würde durch den Kontakt mit der Kultur von A nur profitieren und sich weiterentwickeln. G meint auch, daß A unbedingt eine Arbeitsgenehmigung erhalten solle. Niemand migriere ohne Zwang. G findet super, wie weltstädtisch seine Wohnstadt durch verschiedene Bauwerke im Stil der Herkunftsregion von A wird. G verabscheut Sprüche einer politischen Initiative, die lautet: B den B-ern. Er hält es für rassistisch, daß aufgrund der lokalen Arbeitslosigkeit der B-s der Zugang von Zuwanderern zum Arbeitsmarkt erschwert wird.

B ist in Region A zugewandert. Viele Einheimische lieben B nicht, sie finden, daß er die lokalen Normen zuwenig respektiert. In seinem Paß steht, daß er in Region A nicht Arbeit suchen darf. G unterstützt voll die Idee einer lokalen politischen Initiative, die lautet: A den A-ern. Er findet, daß aufgrund der lokalen Arbeitslosigkeit Arbeitsplätze bevorzugt an A-s vergeben werden sollten. Mein Kollege G sagt, es sei ein Skandal, wie wenig B die lokalen Normen respektiere. Er verhalte sich so, wie er es von zuhause gewohnt sei und zeige keinerlei Bereitschaft, sich anzupassen. Dadurch zerstöre er die Kultur der Region A, die unbedingt zu erhalten sei. Er verstehe voll, warum B in Region A so unbeliebt sei. Man müsse Region A vor ihm schützen. Mein Kollege G bedauert, daß sich schon so viele Einflüsse des Baustils der Kultur von B in Region A wiederfinden. 

A ist ein Zuwanderer aus Afrika, B ist ein Reisender oder Zuwanderer aus Europa, Region A ist Afrika, Region B ist Europa, G ist ein politisch sehr engagierter Freund.

Diese Form der Persönlichkeitsspaltung ist weder an den Universitäten, noch in anderen sympathisierenden Bereichen selten. Bei einer Podiumsdiskussion, die ich vor Jahren zu diesem Thema im AAI-Wien organisierte, meinte der eingeladene Universitätslehrer Helmut Lukas, er sei immer wieder erstaunt über Kollegen, die bei Zuwanderern in Österreich für totalen Individualismus und Ausleben aller gewohnter Traditionen und Werte, bei westlichen Zuwanderern in Ländern des Südens hingegen für totale Assimilation eintreten. Natürlich gibt es viele Gründe, Schwächere in einem vernünftigen Ausmaß zu schützen und nicht überall gleiche Maßstäbe anzulegen, aber die Gründe für die unterschiedliche Betrachtung werden nur selten vernünftig vermittelt. Daher bleibt häufig nur der Eindruck doppelter Standards und des Hasses auf die eigene Kultur. Doppelte Standards werden mit Sicherheit von vielen Menschen wahrgenommen, die ansonsten offen für Meinungsänderung wären.

Eine rechtsstehende Partei wie die FPÖ könne man doch nicht an einer Regierung eines EU-Staates beteiligen, findet der französische Europa-Minister Pierre Moscovici im Jahr 2000. Italienwahl Mai 2001: Ultrarechte Politiker wie Umberto Bossi kommen an die Macht. Für Moscovici ist es plötzlich keine Frage mehr von Prinzipien, sondern nur mehr von der Größe der eingebundenen rechten Partei. Daher anerkennt er die Regierung in Italien. Diese unterschiedliche Behandlung Italiens und Österreichs führt auch bei der Kooperation mit der Rechten absolut unverdächtigen Menschen wie dem grünen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber zu scharfen Reaktionen:

„Die grotesken Windungen“ europäischer Politiker, die „Doppelmoral“ der Maßstäbe ebneten der extremen Rechten in Europa den Weg. Die Suche nach Unterschieden zwischen Italien und Österreich sei eine Beleidigung für Österreich.[1]

Zu Recht wird ein niederösterreichischer FPÖ-Politiker wegen der Verwendung eines SS-Slogans („Unsere Ehre ist Treue!“) vom Großteil der Presse scharf kritisiert. Einige Wochen später verwendet die gerade im Bereich der Aufklärung über Naziverbrechen verdienstvolle Zeitschrift Profil folgenden Slogan als Heftaufmacher: „Ein Volk, sehr reich, kein Führer!“ (Wahlberichterstattung über die USA, 13.11.2000). Auf aufkommende Kritik, z.B. vom Kurier, antwortete der Herausgeber selbstbewußt:

„Selbstverständlich darf ein Journalist des Profil, der wie das Profil selbst über Jahrzehnte als antifaschistisch ausgewiesen ist, eben das, was Stanzel ihm verbieten will: er darf für eine Geschichte über die US-Wahl den Kalauer „ein Volk, sehr reich, kein Führer“ erfinden.“ (Profil, 20.11.2000, Editorial)

Der verstorbene Künstler Schlingensief war ein engagierter Mensch mit vielen Ideen, wie die Asylantenklause vor der Wiener Oper mit der täglichen Abwahl eines Asylanten zu den Wiener Festwochen 2000. Schlingensief galt als linker Kritiker konservativer, faschistoider und xenophober Politik.

„Nie wieder zulassen, daß Gruppen von Menschen als unwertes Leben betrachtet werden!“ skandieren wir zu Recht als Lehre aus der NS-Zeit und verurteilen Tendenzen der Marginalisierung und Vernichtung von Menschen. Doch dann kommt Schlingensief und spricht davon, daß 90% aller Politiker „Müll“ seien (Profil 29.4.2000): Müll, also zu entsorgender Abfall, der weggeworfen wird, der nicht wert ist, in unserer Mitte zu bleiben, was frappant an NS-Diktion erinnert. Zu Recht wird deutschen Republikanern und österreichischen Freiheitlichen vorgeworfen, daß ihre häufig äußerst negative Darstellung von Zuwanderern labile Menschen zu fremdenfeindlichen und aggressiven Taten verleiten könnte. „Worte sind Taten!“ ist ein nicht unrichtiges, wenn auch oft zu undifferenziert angewandtes Argument. Doch dann kommt Schlingensief und läßt in Graz auf der Bühne des Schauspielhauses „Tötet Wolfgang Schüssel!“ skandieren und plötzlich ist keine Rede mehr von Taten, sondern von Metaphorie.

Nun wird kein vernünftiger Mensch annehmen, daß Schlingensief in geistiger Nähe zum Nationalsozialismus steht, aber er leidet offensichtlich an „verbaler Inkontinenz“ (© der Wiener Kabarettist Gunkl), an der Unfähigkeit, mit Worten verantwortlich wie ein Erwachsener umzugehen. Und wenn sich nun jemand ermutigt fühlt, diesen Müll zu beseitigen, Schüssel zu töten, ohne an die metaphorischen Hintergründe zu denken, weil er unglückseligerweise Schlingensiefs Erklärungen nicht zur Gänze gehört oder verstanden hat?

Kaum jemand ist kompromißloser in der Bekämpfung verhetzender und faschistischer Parolen als die Wortkünstlerin Elfriede Jelinek. Gleichzeitig erklärt sie sich in einem Interview als bedingungsloser Anhänger Schlingensiefs (zitiert in Die Zeit, 27/2000). „Ich bin sein Fan!“.

Auch in der Praxis zeigt sich oft Doppelbödigkeit, wo man sie weniger erwarten würde. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Kollegen im Afro-Asiatischen Institut Wien, der – vom damaligen Generalsekretär Guggenberger beauftragt – eine Evaluierung des Bildungsprogramms durchführen sollte. Der Auftrag war nicht unwitzig, weil der Evaluator nie zuvor eine vergleichbare Evaluierung durchgeführt hatte, über keinerlei Evaluierungsausbildung verfügte, nie zuvor in der Branche gearbeitet hatte und noch dazu das Bildungsprogramm im Februar 1997  evaluieren sollte, also in einem Monat, in dem es wegen Semesterferien überhaupt keine Bildungsveranstaltungen gab.

In seiner Evaluierungsstudie schrieb er von Verbesserungsnotwendigkeiten u.a. bezüglich des sehr populären, extrem gut funktionierenden und von vier afrikanischen Moderatoren autonom administrierten Diskussions- und Veranstaltungsforum African Speakers‘ Corner. Er schlug vor, daß man die Anzahl der (afrikanischen) Moderatoren erheblich erhöhen sollte, weil (wörtlich) „man ein geschlossenes System von Bekanntschaften vermeiden sollte“, d.h. in gutem Deutsch, daß Afrikaner zur Vetternwirtschaft neigen und derartige Tendenzen im Ansatz bekämpft werden sollten. Diese Überlegungen gefielen sowohl dem Generalsekretär Guggenberger wie auch dem Kuratoriumsvorsitzenden und Multifunktionär im christlichen Entwicklungsbereich Hödl derartig gut, daß sie den Evaluator unverzüglich zum Abteilungsleiter für Bildungsfragen machten. Der Erfolg zeigte sich binnen kurzer Zeit, zwar nicht unbedingt in Form von Publikumserfolgen (das Publikumsinteresse ging deutlich zurück), aber in personeller Bereicherung: Im Büro des unerschrockenen Kämpfers gegen „ein geschlossenes System von Bekanntschaften“ saß plötzlich, als zusätzliche neue Beschäftigte des Instituts, seine eigene Frau, woraus natürlich keinerlei Rückschlüsse auf die Form der Beziehung gezogen werden dürfen. Das afrikanische Diskussionsforum, welches einzigartig in Wien und Österreich war, war wenig später tot.

Beliebigkeit der Handlungen, Beliebigkeit der Aussagen… Es zählt nicht mehr, was getan wird, sondern wer es tut. Könnte man es Bürgern verdenken, wenn sie an die „Farm der Tiere“ denken, wo Einzelne gleicher als gleich sind? Man könnte die Zurückweisung dieser „Engagierten“ durch viele Bürger geradezu als einen Wunsch nach Demokratisierung und Gleichberechtigung auffassen. Für wie dumm muß man Bürger halten, um anzunehmen, sie würden diese Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdanspruch nicht bemerken?

[1] Der Standard, 17.5.2001. S. 7: „Aufregung um Österreich-Attacke.“

Verkindlichen Sie die Menschen, für die Sie werben

Sie möchten, daß Afrikaner nicht auf qualifizierten Arbeitsplätzen unterkommen? Kein Problem! Machen Sie einfach deutlich, daß Afrikaner niemals an irgend etwas schuld sind, machen Sie sie zu ewigen Opfern! Diktatoren erklären Sie am besten und ausschließlich mit intervenierenden ausländischen Mächten; Umweltzerstörung erklären Sie mit brutalen Holzkonzernen, die afrikanisches „Leben im Einklang mit der Natur“ unmöglich machen. Ethnische Konflikte streiten Sie dadurch ab, indem Sie angeben, es hätte im Gegensatz zu allen anderen Weltregionen vorkolonial keine Ethnien in Afrika gegeben und diese wären erst durch die Europäer geschaffen worden. Korruption erklären Sie mit den lockeren Geldbörsen der westlichen Konzerne, die den Idealismus der Regierenden in Afrika brechen. Wirtschaftliche Mißerfolge und Fehlinvestitionen wie überdimensionierte Krankenhäuser im winzigen Heimatdorf eines Präsidenten können Sie durch übel eingestellte westliche Berater erklären. Dealt ein Afrikaner mit Drogen, dann zeigen Sie deutlich, daß er wegen Geldmangels keine Alternativen hatte. Damit haben Sie erfolgreich das Bild von Menschen geprägt, Kindern gleich, die niemals aus eigener Kraft etwas erreichen, niemals Hindernisse überwinden können, in Minutenschnelle einer Gehirnwäsche unterzogen werden können und stets der Hilfe von stärkeren Weißen bedürfen, also optimale Voraussetzungen, um Afrikaner als Konkurrenten auf Managerposten auszuschalten.

 

Der Spruch „Niemand migriert ohne Zwang“ wird gerne zur Sympathiewerbung für Migranten verwendet. Ich halte ihn für einen der dümmsten und gleichzeitig gefährlichsten Sprüche im Integrationsbereich. Ich kenne persönlich Hunderte Menschen, die von Österreich aus in die Staaten auswanderten, nach Kanada, nach Frankreich, nach Tansania etc. Niemand von ihnen migrierte unter Zwang. Die oben genannte Aussage bezieht sich stets auf Migranten aus unterschätzten Regionen, wie z.B. aus afrikanischen Ländern. Afrikanern zu unterstellen, dass sie nur unter Zwang migrieren, ist ähnlich dumm, wie die oft zitierte Ansicht Hegels, dass Afrikaner keine Geschichte hätten. Die oben genannte Aussage ist inhaltlich völlig falsch, weil z.B. bei den Bambara in Mali ein starker Druck auf den jungen Menschen liegt, durch zumindest temporäre Migration in ferne Gegenden persönlich zu reifen, um später Familienoberhaupt sein zu können. Es gibt dabei ein Sprichwort, das besagt, dass junge Menschen, die 100 Orte bereist hätten, sich gleichberechtigt mit 100jährigen zusammensetzen könnten, um sich zu unterhalten. Diese dumme Aussage unterstellt Afrikanern auch, dass sie keinerlei Interesse an fernen Regionen hätten, also mehr oder weniger vor sich hinvegetieren und ähnlich wie bestimmte Tierarten nur dann Veränderungen vornehmen, wenn sie dazu gezwungen sind. Dann sind wir aber logisch wieder beim Vorurteil Hegels, dass Afrikaner keine Geschichte hätten, weil sie bewusst keine machen würden, denn Geschichte bedeutet nunmal Veränderung. 

Vermeiden Sie es, von „Feinden“ Erfolgsprinzipien zu lernen

1999 lud die ÖVP Kärnten den deutschen Universitätsprofessor Rohrmoser zu einem Vortrag ein, was heutige politische Parteien von Hitlers politischer Propagandamaschine lernen könnten. In seinem Positionspapier schrieb er unter anderem: „“Es gibt immer wieder Leute, die sagen, Hitler wäre ein Dummkopf und Verbrecher gewesen; beides war er, nur damit kann man ein derartiges Ereignis nicht erklären. Und genau auf diesem Punkt des rituellen Setzens von Symbolen und Darstellungen ist Hitler genial gewesen.“. Ein gewaltiger Aufschrei in engagierten Kreisen: Wie könne man von Hitler etwas lernen wollen, wie könne man Hitler als genial bezeichnen? Sofort wird lautstark nach Rücktritt aller Verantwortlichen gerufen[1].

Rohrmoser ist ohne Zweifel sehr konservativ, ich finde viele seiner Äußerungen nicht sympathisch. Andererseits: Wie konnte Hitler, das größte anzunehmende Scheusal, so viele Menschen für sich einnehmen? Wie gelang es ihm, Identifikation zu stiften, viele Menschen von seinem Weg zu überzeugen? Ich erinnere mich, wie ich als 13jähriger sein Machwerk „Mein Kampf“ in die Hände bekam und von diesem schlichten und haßerfüllten Geist äußerst enttäuscht war. Die Nazis mußten aber über exzellente Kenntnisse der menschlichen Psyche verfügen, sonst hätten sie nicht viele Millionen Menschen so erfolgreich ansprechen können. Und wäre es nur für die Verhinderung der Wiederkehr der Geschichte, es würde sich allemal lohnen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum Hitler als Demagoge so erfolgreich war. Können wir, wenn wir nicht verstehen wollen, warum jemand wie er zu so großer Popularität gelangte, uns wirksam schützen vor der Verführung der neuen Ultrarechten? Mitunter muß man von seinen Feinden lernen, um nicht unterzugehen.

Eine Koordinationssitzung der entwicklungspolitischen Bildungsszene: Vertreter vieler Organisationen diskutieren die Umsetzung eines mehrjährigen Meinungsbildungsprojekts für ganz Österreich. Wir möchten zeigen, daß die Arbeitenden des Südens nicht (nur) Konkurrenten der Arbeitenden des Nordens sind, sondern eigentlich logische Verbündete. Es ist ein polarisierendes und brisantes Thema und so schlage ich vor, daß wir unsere erarbeiteten Slogans von Werbeexperten auf ihre Tauglichkeit und Transportierbarkeit abchecken lassen. Ich nenne den Namen eines mir bekannten Top-Werbeexperten von Europa-Format und zeige mich optimistisch, ihn zur Gratismitarbeit bei der Kampagne bewegen zu können. Der Leiter der Dachorganisation N.N. fragt mich, was dieser bisher getan hätte. Ich erwähne, daß er u.a. maßgeblich an der erfolgreichen Werbekampagne für den EU-Beitritt Österreichs mitgewirkt habe. Lautes Lachen des Vorsitzenden…. “Die EU-Kampagne!!! Ha, Ha, Ha!“. Was auch nur entfernt nach Wirtschaft klingt, erweckt bei vielen Mitarbeitern im Entwicklungspolitischen Bereich negative Assoziationen und wird oft unkritisch und undifferenziert mit Manchester-Kapitalismus gleichgesetzt. Ich artikuliere meine Enttäuschung, daß nicht die Frage der Nützlichkeit des Werbeexperten, sondern seine ideologische Vorbildwirkung im Vordergrund steht (wobei bereits Wirtschaftsnähe ihn bei manchen, wie im Beispiel, disqualifizieren kann).

Obwohl wir in der Meinungsbildung viel weniger als erhofft erreichen, leisten wir uns oft den Luxus, aus Gründen der reinen Lehre auf die Hilfe von vielen zu verzichten, die vielleicht nicht links, sondern eher liberal sind. Auch dies zeigt, daß nicht immer die Lösung von Problemen,  sondern mitunter die Gruppenbildung und Frustrationsableitung Vorrang hat….

[1] Z.B. Der Standard, 27.7.1999.

Tabuisieren Sie die Bereiche mit dem größten Diskussionsbedarf

In einer Reihe von Spannungsfeldern bestehen schwerwiegende Vorurteile, doch nur die Rechte versucht, Erklärungen für diese anzubieten. Ein Bereich ist der Drogenhandel, in dem die FPÖ und die Kronenzeitung unisono mit einer pauschalierenden Verdächtigung fast aller Afrikaner agier(t)en. Die Sympathisierenden antworten mit extremer Kritik an der Rechten, gehen aber kaum auf deren Argumente ein, die dadurch leichter, weil unwidersprochen, im Gedächtnis der Menschen bleiben. Vielen Menschen scheinen afrikanische Dealer aufzufallen, da kann es nicht genügen, einfach nur laut Rassismus bei den indiskutablen Methoden der FPÖ zu schreien. Da gehören Konzepte entwickelt, da müßte man durch Sachdiskussion das Thema entemotionalisieren und auf sein realistisches Maß zurechtrücken. Bei vielen Engagierten bestehen Ängste vor einer offenen Diskussion von Vorurteilen und daß dieselben durch diese noch verstärkt werden könnten.

Bei der Eröffnung des Universitätscampus wurde jedes Universitätsinstitut eingeladen, die breite Öffentlichkeit bei einem Tag der offenen Tür mit einem interessanten Programm zu begrüßen. Ich schlug bei der Institutskonferenz eines Instituts vor, daß wir dabei verschiedene „Vorurteilszimmer“ einrichten, in welchen man mit Experten starre Vorurteile gegenüber Afrikanern diskutieren könne. Ein Zimmer könnte dem Thema gelten: „Braucht Afrika zur Entwicklung eine neue Kolonialisierung?“, ein anderes dem Thema „Haben Afrikaner keine Geschichte?“, ein weiteres „Sind alle Afrikaner Drogendealer?“ usw. Ich stieß überwiegend auf Ablehnung, weil von Institutsmitgliedern befürchtet wurde, daß sich Vorurteile durch die Diskussion noch stärker verankern könnten.

Ich schätzte daher Initiativen wie Land der Menschen besonders, weil sie die brennenden Probleme des interkulturellen Kontakts mit den Betroffenen offen ansprechen und dadurch gleichzeitig den Menschen das Gefühl geben, ernstgenommen zu werden. Diese Initiative, die von vielen Prominenten wie Harald Krassnitzer aktiv unterstützt wird, stößt auf eine sehr positive Resonanz und zeigt, daß das Ansprechen von Problemen im Integrationsbereich weitaus mehr als ihre Tabuisierung bringt. Menschen bilden sich ihre Meinung über Geschehnisse im Blickfeld, egal ob wir ihnen Informationen liefern oder nicht. Wenn wir dies nicht tun, bleiben nur mehr Afrikanerskeptiker als Meinungsbildner übrig.

Wenn man auf die von der Rechten lancierten Thesen nicht eingeht und ihr ein Meinungsmonopol überläßt, darf man sich nicht wundern, wenn eher deren Thesen übernommen werden. Ignorieren fördert Meinungsänderung nicht und  bedeutet rechtlich sogar Einverständnis. Wenn wir Afrikaner mystifizieren und kindlich verunschuldigen, verlieren wir die Möglichkeit, diese Zuwanderungsgruppe der lokalen Bevölkerung wirklich näherzubringen. Menschen haben Stärken und Schwächen und gerade anhand ähnlicher Verhaltensformen in der Schwäche werden Menschen erfühlbar. Die bloße Hervorhebung von Stärken der Zuwanderer gibt dem Zuhörer zu stark das Gefühl, einer gegen ihn gerichteten Moralpredigt beizuwohnen. 

Wie man das „Böse“ als unverzichtbar erscheinen läßt

Berichten Sie als Journalist pausenlos über kleinste Details rechter politischer Bewegungen. Bringen Sie jeden Furz des FPÖ-Chefs und zeigen Sie dessen negative Gerüche auf. Blasen Sie Haider, Strache oder Kickl zur weltgrößten Gefahr auf. Stellen Sie ihn als Schlange und alle anderen Politiker als zitternde Kaninchen dar. Ihre Blattauflage und auch der FPÖ-Chef werden es Ihnen danken. Er wird bald zur einzigen ernstgenommenen Persönlichkeit reifen.

Trotz verschiedener Skandale der FPÖ und ihres damaligen Chefs stieg die FPÖ in nur 13 Jahren von einer 5% Partei (1986) zu einer 27%-Partei (1999) auf. Den Wählern waren die Schattenseiten Haiders mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt, wurde doch laufend über sie berichtet. Der News-Journalist Worm berichtet seit Jahren fast ausschließlich über Haider und die FPÖ, Hans Rauscher (früher Kurier, heute Standard) ist genauso wie Gerfried Sperl (Der Standard) ein entschlossener Gegner des Rechtspopulisten. Im ORF wurden – seit dem Regierungswechsel abgeschwächt – den negativen Aspekten dieser Partei viele Sendungen gewidmet. Warum dennoch der Aufstieg Haiders?

            Schon vor Jahren diskutierte eine Journalistenrunde im Falter-Stadtmagazin, ob man Haider eher totschweigen oder besonders auf seine problematischen Seiten hinweisen sollte. Die Praxis war eindeutig: Über keine andere politische Persönlichkeit Österreichs wurde und wird auch nur ansatzweise gleichviel berichtet wie über Haider. Herausgeber geben offen zu, daß Haiders Porträt auf dem Titelblatt die Umsatzzahlen um 30-100% in die Höhe treibt. Magazine wie News, die sich als Speerspitze der Kritik an Haider und der FPÖ sehen, trugen erheblich zum öffentlichen Eindruck bei, daß sich in Österreich alles um Haider dreht: Kaum ein News-Cover der letzten Jahre ohne Haider-Bild oder -Titel. Diese No-Loose-Situation des Magazins hatte zwei positive Folgen – man konnte sich einerseits als Cheerleader des antifaschistischen und antirassistischen Kampfes darstellen und verdiente gleichzeitig gut damit. Jedes noch so banale Haider-Thema wurde von News zu gigantischen mehrwöchigen Stories aufgeblasen, wie z.B. Haiders Reise nach Libyen, wo er Gaddaffi traf. 

Flugs wurden Theorien einer Weltverschwörung der „Bösen“ entwickelt. Bei dieser Art von Berichterstattung konnten sich andere Politiker nur schwer als Persönlichkeiten profilieren. „Paßt auf ihn auf, sonst frißt er euch!“ war mehr oder weniger die Botschaft, vermutlich begleitet von der Assoziation „Und die anderen sind alle Schäfchen, aber keine Führungspersönlichkeiten“. 

Peace, not discussion: Sorgen Sie für Harmonie im Publikum

Verwenden Sie bereits im Titel von Veranstaltungen oder Publikationen nach Möglichkeit Ausdrücke wie Rassist oder Rassismus. Greifen Sie nie zu Aus­drücken wie Fremdenfeindlichkeit, -ablehnung oder -angst, die erken­nen ließen, daß hinter der Ablehnung Motive und Probleme und damit Lö­sungsansätze stehen könnten. Betonen Sie so häufig wie möglich, daß Rassis­mus stets nur ein Problem der lokalen Gesellschaft sei und nichts mit Zuwande­rern an sich zu tun habe. Unterlassen Sie unreflektierte Aussagen wie: „An Konflikten sind immer zwei schuld.“ Weisen Sie darauf hin, daß es nur in Österreich und Deutschland wirklichen Rassismus gäbe. Dann haben Sie es ge­schafft: Sie bleiben unter sich und kommen ohne die störenden Zwischenredner viel schneller voran, Taktiken zu entwickeln, die diese Welt humaner gestalten werden.

Ein Volksbildungsheim im 13. Bezirk an einem Novemberabend 1993. Man diskutiert über Afrikaner und andere Zuwanderer in Wien. Eine alte Frau wagt beim vorwiegend jugendlichen Publikum mit zittriger Stimme zu äußern, daß sie wegen der vielen neuen Zuwanderer Angst habe, auf die Straße zu gehen. Wer hören will, vernimmt einen Hilfeschrei, die Bitte um Aufmerksamkeit, darum, gehört zu werden und vielleicht auch: „Dann bin ich auch vielleicht fähig, weniger Angst zu haben und meine Meinung zu ändern!“ Ein großer Teil des Publikums dreht sich belustigt zu dieser „irren fremdenfeindlichen“ Frau um, ein abfälliges Grinsen auf den Lippen. Verschiedene „Wissende“ lachen laut. Wie oft wird diese Frau noch versuchen, zu kommunizieren, bis sie merkt, daß man ihr von dieser Seite nicht zuhören wird?

Agieren Sie wie der ehemalige Leiter eines Koordinationsorgans der Entwicklungszusammenarbeit, der 1994 eine Arbeitsgruppe bei einem EZA-Kongreß leitete. Als er merkte, daß der international renommierte und teuer eingeflogene Professor provokante Entwicklungstheorien avancierte, die ihm und einem Teil des Publikums mißfielen, traf er die einzig richtige Entscheidung: Er entzog dem Vortragenden einfach das Wort und gab es explizit und dauerhaft einer wesentlich weniger profilierten, aber gefälligeren Person.

Die wahren Meinungsmacher möchten Meinungen verändern, vermeiden gleichzeitig aber aus ethischen Gründen den Kontakt mit denen, die abweichender Meinung sind.

Zwingen Sie die Menschen zur Lagerbildung

„Man solle für die Aufnahme in die EU stimmen“, meinte die EU-Werberin und Staatssekretärin Brigitte Ederer vor der Volksabstimmung 1994. Um den Leuten aber zu zeigen, daß nicht Sachargumente zählen, sondern nur die Zugehörigkeit zum richtigen Lager, wird gleich ein viel kräftigeres Argument nachgelegt, daß sich Gegner des EU-Beitritts bewußt sein müßten, daß sie dann im gleichen Bett wie Haider liegen. Also lernt der Bürger, daß automatisch alles schlecht sei, was Haider wolle und alles automatisch richtig, was die Anti-Haiders intendieren. Das erleichtert die Orientierung und erspart mühsame Denkarbeit in Sachfragen. Man braucht nur mehr Schaf zu sein. Nur schade, daß sich die rot-schwarze Koalition im letzten Jahrzehnt sehr bemühte, die Forderungen der FPÖ besonders im Integrationsbereich umzusetzen, was die Orientierung für viele Menschen/Schafe erschwerte….

1992. Auf dem Titelblatt des Profil prangt groß die Schlagzeile, daß Haider Candussi[1] Schweigegeld zahle. Ich kaufe mir die Zeitschrift, da ich immer an stichhaltigen Argumenten für die Heuchelei (auch) von Populisten interessiert bin. Im Artikel von Alfred Worm finde ich nicht die geringsten Hinweise auf rechtlich bedenkliche Vorgänge, derentwegen Candussi von Haider Schweigegeld erhalten hätte. Es stellt sich vielmehr heraus, daß Haider Candussi den angetragenen Rückzug aus der Politik mit einem in der österreichischen Politik tausendfach angewandten Zuckerl des Versorgungspostens versüßt hatte. Ich bin wütend über diesen sorglosen Umgang mit Begriffen und Realitäten und über die reißerische Aufmachung des Magazins. Ich treffe zufällig N.N., den damaligen Leiter einer Art Dachgesellschaft des Entwicklungspolitischen Bereichs und sage ihm, daß ich zornig bin, weil man durch diese allzu offensichtlichen doppelten Standards die Wähler mit Gewalt der FPÖ zutreibe. Der Artikel untergrabe generell die Glaubwürdigkeit Haider-kritischer Berichterstattung und erschwere es, daß Stichhaltigeres als Argument wahrgenommen werde. N.N., eingefleischter Sozialist, meinte, daß das Profil richtig gehandelt hätte, man müsse schließlich Stellung beziehen.

Jahrzehntelang war Österreich von starker Lagerbildung geprägt, die von den dominierenden Parteien zu ihren Gunsten ausgenutzt wurde (Wohnungen, Arbeitsplätze u.a. oft zwingend gegen Parteimitgliedschaft). In meinem Heimatdorf in Niederösterreich saßen noch vor wenigen Jahren die „roten“ und die „schwarzen“ Bauern stets an unterschiedlichen Wirtshaustischen. Doch die Gesellschaft hat sich durch die Entwicklung der Privatwirtschaft erheblich verändert. Erst diese gibt die notwendige materielle Unabhängigkeit, dem eigenen Wollen und der eigenen Überzeugung entsprechend zu agieren. Engagierte machen oft den Fehler, daß sie die Tendenz zur zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft unterschätzen, die sich auch in der rapide steigenden Zahl von Wechselwählern ausdrückt. Der Appell an die Lager unterschätzt, daß man heute zunehmend über Leistung und Unabhängigkeit und nicht allein über Gunst und Protektion reüssieren möchte.

[1] Candussi war Stellvertreter des damaligen Landeshauptmanns Haiders in Kärnten.

Geben Sie keinesfalls selbst ein positives Modell der Integration ab

16,7% aller Wiener sind Migranten. Integrationsnahe Bereiche setzen sich oft für Zuwanderer ein, wobei sie mitunter scharfe Kritik an der rassistischen und fremdenfeindlichen Gesellschaft äußern, die Zuwanderer keine Chancen gebe. Zuwanderer brauchen qualifizierte Jobs wie einen Bissen Brot, um ihre Gleichwertigkeit auch auf höherwertigen Arbeitsplätzen zu beweisen. Daher sollte man annehmen, daß in sympathisierenden Bereichen zumindest 1/6 der Arbeitsplätze an Zuwanderer vergeben werden.

Leider ist dem anders. In  der entwicklungspolitischen Bildungsbranche sind nur etwa 7% der Beschäftigten Zuwanderer, kaum besser sind die Nord-Süd-Institute der Universitäten und nur der Integrationsbereich schneidet dank des Integrationsfonds relativ normal, aber nicht positiv diskriminierend ab. (Anm. 2023: In diesem Bereich scheint sich im Vergleich zu meiner Erhebung 2002 inzwischen tatsächlich vieles zum Besseren entwickelt zu haben.)

Nahezu alle Studien scheinen zu belegen, daß die Fremdenfeindlichkeit sowohl auf dem Land wie auch bei weniger Gebildeten deutlich höher ausfällt. Die Umfragen verzerren vermutlich die Realität, weil Städter und Höhergebildete meist besser um die Erwartungen der Interviewer Bescheid wissen. Fremdenfreundlichkeit zeigt sich  nicht zuletzt auch in konkreten Akten, die aber kaum jemals Untersuchungsgegenstand sind. 


Das entwicklungspolitische Bildungshaus, für welches ich arbeitete, hatte ein großteils akademisches und studentisches Publikum. Die verbale Unterstützung zu Anliegen von Integration und Entwicklung war dementsprechend hoch, die konkrete Unterstützung jedoch deutlich weniger. 1992 organisierten 2 Kolleginnen einen Benefizabend zugunsten Somalias, welches damals unter einer fürchterlichen Hungerkatastrophe litt. Sie boten ein Gratiskonzert einer guten afrikanischen Gruppe, kostenlose Speisen und Getränke an. 200 engagierte Menschen genossen das Konzert, Getränke und Speisen. Gesamtspendeneinnahmen: ca. 200 €, etwa 1 €/Person. Die Spenden lagen somit deutlich unter den Kosten der Benefizveranstaltung. Wieviele Anwesende hatten wohl trotzdem das Gefühl, etwas zur Verbesserung der Welt  beigetragen zu haben und auf einer ethisch höheren Stufe als Nichtteilnehmende zu stehen? 


15 Jahre zuvor hielt ich in Hausleiten, einem Bauerndorf in Niederösterreich, einen Vortrag über die Maasai und untersuchte um Unterstützung für die technische Ausbildung eines Maasai-Schülers. Ich sammelte etwa 250 € bei einem ungleich weniger dramatischen Anliegen. Ich habe keine Zweifel, daß gleichzeitig die Besucher in Hausleiten bei soziologischen Untersuchungen zur Fremdenfeindlichkeit deutlich schlechter abgeschnitten hätten als die AAI-Besucher, da z.B. das N-Wort dort öfter unreflektiert verwendet wird. 


Afrikanische Freunde wie Jean Dusabe zeigten sich ebenfalls überrascht, daß die Fremdenfeindlichkeit am Lande größer sein soll. Sie meinen relativ übereinstimmend, daß ihrer Erfahrung nach trotz anfänglicher Skepsis die Landbevölkerung wesentlich gastfreundlicher sei.

Bewahren Sie ausschließende Strukturen durch Multifunktionärswesen, Interessenskonflikte und informelle Postenvergabe

Freunderlwirtschaft, Interessenskonflikte und Multifunktionärswesen scheinen fast Grundzüge der lokalen Gesellschaft zu sein. Wer von seiner Zielgruppe nicht als fremd abgelehnt werden will, bemüht sich daher, oben genannte Auffälligkeiten aufzuweisen. Das gilt auch für sympathisierende Bereiche. Da ist es in Institutionen oder Ministerien sicher hilfreich, wenn zumindest namhafte Posten zuverlässig nach Zugehörigkeit zu Parteien, kirchlichen Initiativen, Männerbünden oder nach Empfehlungen mächtiger Verbündeter vergeben werden. Setzen Sie Personen in geldvergebende Gremien, die selbst in diesen um Mittel ansuchen. Was schert es Sie, wenn diese auch über die Ansuchen potentieller Konkurrenten mitentscheiden. Da kann man zumindest sicher sein, daß die Mittel in den richtigen Händen landen. Die Genialität österreichischer Funktionäre kann darüber hinaus durch möglichst viele Funktionen, vielleicht sogar in einander konkurrierenden Einrichtungen, nur unterstrichen werden.

Multifunktionärswesen, Interessenskonflikte und informelle Postenvergabe stellen weitgehend sicher, daß nichteingeweihte Außenstehende  wie Zuwanderer kaum Chancen auf Arbeitsplätze oder Subventionen vorfinden. Dadurch bleiben diese Institutionen und Bereiche aber im Gegensatz etwa zu Semperit österreichisch, was sicherlich Vertrauen beim Publikum schafft. Auch ist ein Institut oder Ministerium leichter zu verwalten, wenn die Angestellten genau wissen, daß man durch Gnade und nicht durch Leistung zu seinem Arbeitsplatz gekommen ist. Dies garantiert die Meinungseinfalt innerhalb des Hauses und schaltet langfristig unerwünschte Konkurrenz für den eigenen Aufstieg aus.

Bekämpfen Sie Zivilcourage auf allen Ebenen

Am 23.1.1993 versammelten sich etwa 200.000 Menschen in der Wiener Innenstadt, um mit einem Lichtermeer ein Zeichen gegen zahlreiche ausländerfeindliche Tendenzen, besonders auch aus dem Bereich der FPÖ, zu setzen. Die größte Demonstration der 2. Republik wurde als deutliches und selbstbewußtes Signal des anderen Österreichs gegen Xenophobie erachtet.

Eine Woche später in der gleichen Innenstadt, am Schottentor. Ich sitze gegen Mitternacht in der letzten Straßenbahn und warte auf ihre Abfahrt. Neben mir sitzen zahlreiche Studenten, einige von ihnen befanden sich zweifellos auch auf dem Lichtermeer. Plötzlich torkelt ein alter Mann die  Rolltreppe herunter, verfolgt von etwa 8-10 angeheiterten Jugendlichen. Er ruft ihnen etwas zu, einer der Jugendlichen nimmt Anlauf und springt dem Mann wie ein Karatekämpfer gegen die Brust. Der alte Mann fällt um, richtet sich wieder auf, schimpft, der Jugendliche springt ihn wieder an etc. Ich überwinde meine Angst, verlasse die Straßenbahn und stelle mich vor den Mann. Ich hoffe darauf, daß sich mir noch weitere Straßenbahninsassen anschließen, die gebannt auf ihren Sitzen herstarren, doch meine Hoffnung ist trotz der zahlreichen jungen Männer unter ihnen vergeblich. Der aggressive Anführer macht Anstalten, auch auf mich loszugehen. Zwei weitere Mitglieder der Gang schließen sich zögernd dem Aggressiven an. Ich versuche, von meiner Körperhaltung nicht drohend, aber dennoch selbstsicher zu wirken, rede auf zwei Jugendliche ein, die vernünftiger wirken und versuche ihnen klar zu machen, daß sie für etwaige Gewalttaten ihres aggressivsten Mitglieds mithaften würden. Die Strategie funktioniert, sie reden intensiv auf den Halbstarken ein und ich kann einen körperlichen Konflikt vermeiden.

Die Straßenbahn war noch da, als die Jugendlichen gegangen waren. Ich steige ein, die Blicke gehen verschämt zur Seite. Ich empfinde in diesem Au­genblick große Verachtung für die jungen Männer und habe Probleme, den Heldenmut der Men­schen in der schützenden Menge am Heldenplatz und die individuelle Passivität in der beschriebenen Situation zu verstehen. Ich frage mich, wie viele der jungen Männer, die schweigend in der Straßen­bahn saßen, ihre Eltern und Großeltern wegen deren stillen Duldens der NS-Herr­schaft kritisiert hatten. Nun scheiterten sie schon an der ersten kleinen Her­aus­forderung, dem Terror von noch beherrschbaren Gewalttätern entgegenzu­treten. 

Mir sind viele Berichte von Zuwanderern bekannt, in welchen sie sich bei Attacken von Rechtsradikalen über die fehlende Unterstützung seitens der herumstehenden Österreicher beklagten. Eine Afrikanerin erzählte mir, daß sie vor einigen Jahren von einem jungen Mann in der Badner Bahn in den Bauch getreten wurde und daß ihr niemand zu Hilfe kam.

Untersuchungen zeigen, daß Zivilcourage weder vom Einkommen, noch von der Intelligenz, Ethik, vom gesellschaftlichen Status oder der politischen Gesinnung abhängt[1]. Studierende mögen sich leichter verbal für Zuwanderer engagieren, sind aber genauso wenig wie andere bereit, persönliches Risiko für ihre Überzeugung in Kauf zu nehmen. Der Berliner Politologe Peter Grottian berichtet von Experimenten, bei denen in mehr als der Hälfte aller Fälle eingriffen wurde, wenn in der U-Bahn Ausländer belästigt wurden – allerdings nur, solange sich die Helfer nicht selbst in Lebensgefahr bringen mußten. Sexuelle Belästigung führte nur in einem Drittel der Fälle zum Eingreifen. Die Fähigkeit zur Zivilcourage scheint eng mit der Bereitschaft zur gedanklichen Selbstständigkeit zusammenzuhängen:

Werte wie Ruhe und Ordnung aber sind, auch das zeigt die Helferforschung, natürliche Feinde der Zivilcourage. Auch klassische Tugenden der Wohlanständigkeit wie Fleiß, Pünktlichkeit und Tischmanieren sind demnach schlechter Nährboden für Zivilcourage, die immer auch auf der entwickelten Fähigkeit zum Neinsagen beruht. Von den preußischen Sekundärtugenden scheint sich nur ein gewisses Maß an Selbstdisziplin positiv auf die Bereitschaft auszuwirken, Menschen in Not zu helfen. Gute Voraussetzungen sind außerdem: ein vertrauensvolles Verhältnis zu mindestens einem Elternteil sowie Normen, die begründet werden und veränderbar bleiben. Vor allem aber wichtig: wenigstens einen Menschen gekannt zu haben, dessen Mitmenschlichkeit durch nichts und niemanden gebeugt werden konnte. Oder nicht gar so leicht (von Schmude, ebd.).

Es ist daher kaum zu erwarten, daß die Hilfsbereitschaft in Österreich höher als in Deutschland ausfällt. Die Fähigkeit, Nein sagen zu können, wird in Österreich weder durch Erziehung und Schulbildung, noch durch die gesellschaftliche Praxis gefördert. Der selbständige Denker wird in Österreich eher als Bedrohung, denn als Bereicherung aufgefaßt. Dies trifft auch auf die sympathisierenden Bereiche zu, in denen verblüffend viele Entscheidungsträger in ihrem Führungsverhalten ein autoritäres Verhalten zeigen und kaum zwischen Sachkritik und persönlicher Kritik unterscheiden können. Ich wurde mehrmals als Abteilungsleiter des AAI-Wien von staatlichen Geldgebern gerügt. Ein Anlaßfall bestand zum Beispiel darin, daß ich es wagte, die voraussichtlich schrumpfenden Mittel des Staates für Entwicklungsförderung in der Monatspublikation des AAI-Wien zu thematisieren. 

Dieses katholische Bildungsinstitut sollte 1994 einen neuen Kuratoriumsvorsitzenden bekommen. Das Kuratorium des Instituts hatte einen Wunschkandidaten. Leider hatte es dieser vorher gewagt, sich im Namen des AAIs an den damaligen Kardinal Groer zu wenden, weil ein mit diesem befreundeter Priester in Hollabrunn am Sonntag von der Kanzel herunter rassistische Bemerkungen über die Bewohner der damaligen AAI-Filiale in Hollabrunn geäußert hatte. Das genügte für den damaligen Kardinal, dem später Kindesmissbrauch nachgewiesen wurde, diesen Wunschkandidaten abzulehnen und einen Kompromiss zu installieren, von dem weniger kritische Bemerkungen zu erwarten waren. 

Simon Inou, der als regierungskritischer Journalist das Gefängnis seines Heimatlandes Kamerun kennenlernte, erzählt, warum er einen möglichen Arbeitsplatz in der entwicklungspolitischen Branche ausschloß:

„Ich führte intensive Gespräche mit Vertretern einer Institution im EZA-Bereich. Meine Gedanken, die ich bei einem Seminar geäußert hatte, fanden bei Institutsvertretern Anerkennung. Als ich fragte, ob ich eventuell bei diesem Institut mitarbeiten könne, meinte man, daß dies prinzipiell möglich sei, da man mich für einen guten Denker halte. Ich müßte in Zukunft jedoch einen großen Teil meiner kritischen Überlegungen zurückhalten, weil diese von den Geldgebern nicht goutiert würden. Man wolle Probleme mit der Finanzierung des Instituts vermeiden. Da habe ich abgelehnt, denn schweigen hätte ich schon in Kamerun können.“

Als an einem Nord-Süd-Universitätsinstitut, in welchem ich wirkte, eine Assistentenstelle etwas seltsam vergeben wurde, fragte ich ein Kommissionsmitglied, warum keiner der wesentlich besser qualifizierten  Mitbewerber gewählt wurde, wie z.B. Kollege X. Dieser wies (wie weitere erfolglose Bewerber) mehr als die zehnfache Zahl an Publikationen und internationalen Vorträgen, deutlich mehr Erfahrung in der Schwerpunktregion und ein wesentlich höheres internationales Prestige als der Auserwählte auf. „Der X?“, fragte verdutzt mein Gesprächspartner, „Da müßten wir ja den ganzen Tag diskutieren!“. Eine wahrlich fürchterliche Vorstellung für Universitäten… Die Angst vor der Auseinandersetzung mit anderen Gedanken; die Furcht, daß durch diese Dispute eigene Schwächen sichtbar würden, äußert sich auch in der im Vergleich relativ geringen Zahl von Kongreßvorträgen und Publikationen österreichischer Wissenschaftler. Lieber Getreue auswählen, dann kann man wenigstens Einäugiger unter Blinden bleiben…

Im Jahr 2005 ersuchte ich die Magistratsabteilung für Integration der Stadt Wien, die MA 17, um Förderung eines Forschungsprojekts. Bei diesem sollte durch Interviews von Personalmanagern in verschiedensten Bereichen herausgefunden werden, warum auch höherqualifizierte Afrikaner nur selten ihrer Qualifikation entsprechende Stellen bekommen. Ich hatte kurz zuvor die Erstausgabe von ‚Afrikaner in Wien‘ veröffentlicht, wo ich z.B. auch zeigen konnte, dass Afrikaner bei gleicher Qualifikation wie Weiße deutlich seltener bei konkret ausgeschriebenen Stellenausschreibungen positive Antworten erhalten. Mein Buch war bestens angekommen, einer der weltweit führenden Entwicklungsexperten (Franz Nuscheler) hatte eine äußerst positive Bewertung abgegeben, die Vorgängerinstitution der MA 17,  der Integrationsfonds, hatte mehrmals meine Projekte mitgefördert und dadurch erst möglich gemacht (wie z.B. dieses Buch). Ich ging daher durchaus optimistisch zur Besprechung mit Ursula Struppe, der damaligen Leiterin der MA 17, auch wenn ich nicht so präpotent bin, auszuschließen, dass andere Forschungsvorhaben als wichtiger und besser eingestuft werden könnten und dass daher – was ich in der Vergangenheit auch  verschiedentlich erlebte – eines meiner Projekte nicht gefördert werden könnte.

Womit ich aber nicht gerechnet hatte, waren die Aussagen von Frau Struppe im direkten Gespräch. Sie sagte mir wörtlich, dass sie eine Förderung erst dann gewähren könne, wenn ich die finale Studie vorlegen würde. Mit anderen Worten: sollten Passagen der Studie nicht gefallen, dann hätte ich möglicherweise jahrelang umsonst gearbeitet. Ich habe noch niemals zuvor und auch nicht danach in Bewerbungsgesprächen für eine Forschungsförderung eine derartige Reaktion erlebt. Wenn Projektentwürfe nicht gut genug sind oder die Einreichenden nicht genügend qualifiziert sind, dann werden ihre Einreichungen einfach abgelehnt, und damit basta, das ist ein gängiges Vorgehen. Aber das Vorgehen von Frau Struppe war höchst ungewöhnlich, weil es die Gefahr extremer Willkür in sich barg. Hing es damit zusammen, dass ich in der Studie ‚Afrikaner in Wien‘ auch thematisiert hatte, dass längst nicht nur Rassismus und Vorurteile verantwortlich sind, wenn Afrikaner keine qualifizierten Jobs in Wien bekommen, sondern auch ein extremes Ingroup-Denken in der österreichischen Gesellschaft und sogar in sympathisierenden Bereichen? Ich hatte dabei einige Beispiele von willkürlicher Postenvergabe im Bereich der ‚rot‘ regierten Stadt Wien genannt (neben z.B. Beispielen aus dem schwarz regierten Niederösterreich) und scharf kritisiert, dass Beziehungen sehr oft bei qualifizierten Stellenausschreibungen deutlich wichtiger als die Qualifikation der Bewerber seien. Hatte Frau Struppe Sorge, dass ich thematisieren könnte, dass sie im Vergleich mit einigen anderen Mitbewerbern für ihre Stelle relativ wenig vorherige Erfahrungen im Integrationsbereich aufwies? Ich weiß es nicht. Jedenfalls deutete ich ihr Verhalten als eine klare Botschaft: „Falls Du nicht schreibst, was wir von dir erwarten, dann kannst Du mit keinerlei Unterstützung von unserer Seite rechnen.“ Von diesem Zeitpunkt an war es für mich klar, dass ich niemals wieder beruflich mit Frau Struppe zusammenarbeiten wollte. 

Diese Nichtberücksichtigung bei Stellenvergaben von hinterfragenden Personen sowie deren Pönalisierung führt logischerweise dazu, dass die Zivilcourage in den damit verbundenen Bereichen gering bleibt und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem System bevorzugte Personen auch im Privatleben den Mut haben, in möglicherweise gefährlichen Situationen für bedrohte Personen einzutreten. 

 

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