Der afrikanische Film in Original und Übersetzung: Wie aus Dämpfen Götter werden

Der afrikanische Film in Original und Übersetzung: Wie aus Dämpfen Götter werden

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich möchte diese Einführung mit einer kleinen Warnung beginnen: ich bin kein Cineast, sondern nur Afrikawissenschaftler. Ich beschäftige mich beruflich weniger mit afrikanischen Filmen denn mit afrikanischen Kulturen, Sprachen und Entwick­lungsfragen. Ich habe die Einladung zu diesem Vortrag dennoch gerne angenommen, weil sie mir die Gelegenheit gibt, einige Eindrücke von der eu­ropäischen Perzeption afrikanischer Filme mitzuteilen, die mir – nach jahrelan­gem Leben in kleinen afrikanischen Dörfern – als Widerspruch zu meinen eige­nen Eindrücken auffallen.

Der afrikanische Film wurde erst in den letzten Jahren zusehends mit der Wertschätzung auch in Europa empfangen, die ihm zusteht. Ich erinnere an verschiedene Auszeichnungen bei den Filmfestspielen in Cannes, in Berlin etc. Es bleibt für mich aber dennoch die Frage, ob das, was wir an den Filmen schätzen, auch mit dem übereinstimmt, was die Botschaft der Filme war. Ich möchte dieser Frage anhand des vielleicht renommiertesten Beispiels afrikani­scher Filmkunst, dem Film Yeelen ‚das Licht‘ des malischen Regisseurs Sou­leymane Cissé nachgehen. Dieser Film lief mehrmals im ORF, dort z.B. in der Reihe Kunststücke, im NDR und in praktisch jeder größeren Sendeanstalt in West­europa.

Eine berühmte französische Filmzeitschrift, Cahiers du Cinema, schrieb über Yeelen: „der schönste Film der afrikanischen Filmgeschichte“. Er gewann 1987 den großen Preis der Jury von Cannes. Man darf annehmen, daß ein Film, der mit derartigen Auszeichnungen und Lobeshymnen bedacht wurde, besonders gut analysiert und in seiner Substanz erkannt wurde. Yeelen ist daher ganz besonders gut geeignet, die Grenzen des westlichen Verständ­nisses zu untersuchen.

Ich möchte mir zuerst die Frage stellen, ob ein einfacher Filmkonsument überhaupt eine Chance hatte, diesen Film ganzheitlich zu verstehen. Die Original-Sprache des Filmes ist die sehr wichtige westafrikanische Sprache Bambara mit (bei uns) deutschen Untertiteln. 

Betrachten wir die erste Ebene, die der dargebotenen Information und ihrer Verfälschung durch verschiedene Mediatoren:

Als erklärende Einleitung erscheint in frz. Sprache zu Filmbeginn folgender geschriebener Text:

„Le Komo est pour les bambara l’incarnation du savoir di­vin. Son enseignement est basé sur la connaissance des signes, du temps et des mondes.“

Vergleichen Sie das mit der deutschen Übersetzung:

„Der Kore, Sinnbild des lebhaften menschlichen Geistes, etc…..“

D.h. im französischen Text spricht man von zwei verschiedenen Geheim­bünden (Komo und Kore), die zum Verständnis des Films auch von allerhöch­ster Wichtigkeit sind, im deutschen Text fällt einer, der Komo, unter den Tisch. Dies ist nicht unwichtig, weil es im Film ja darum geht, daß sich ein Jugendli­cher Geheimwissen der Geheimbünde angeeignet hat und es bestimmte Ge­heimbünde gibt, eben z.B. den Komo, die der Bestrafung von Übeltätern die­nen können und andere, den Kore, zum Finden weiser Lösungen für Probleme der Gesellschaft.

Die mit Untertiteln dargebotene Information unterdrückt allzuoft Informatio­nen, die im Originaltext vorhanden sind:

Der junge Mann ruft einem Alten zu: dugutigi, i ni ce! Dies wird dem deutschsprachigen Publikum als ‚Dugutigi, vielen Dank‚ übersetzt, d.h. dass er sich offensichtlich bei einer Person namens Dugutigi bedankt.  dugutigi heißt aber im Bambara ‚Dorfchef‘ und ist kein Eigenname, was zum Verständnis der Situation nicht wesentlich beiträgt.

Oder eine Geheimbundszene im besagten geheimen Komo-Bund: Eine Person spricht auf Bambara eine andere Person mit Soma an und fügt an, „Du hast Recht mit Deinen Äuße­rungen.“ In der deutschen Übersetzung wird Soma fälschlich als Eigenname gedeutet. In Wirklichkeit ist Soma aber kein Eigenname, sondern bezeichnet den höchsten Initiati­onsgrad eines Eingeweihten im Geheimbund Komo.

Diese Informationen mögen nur wenigen zugänglich sein und die Falschin­terpretation als Eigennamen ist daher entschuldbar. Nicht entschuldbar ist aber, wenn in der Szene, wo der junge Mann in den Dogon-Bergen zu einem Wasserfall kommt und einen einheimischen Alten nach dem Ursprung des Wassers fragt, wo doch kein Wasserlauf sichtbar sei, folgende Antwort be­kommt. Zuerst die Antwort des Alten im Originalton:

 jisòròcogo wèrè bè a la: „Es gibt eine andere Art, Wasser zu bekommen.“

In der deutschen Übersetzung wird daraus: Wir zünden die heilige Pfeife an und beten zum Gott des Feuers.

Das nenne ich Phantasie …

Wie es überhaupt in der Übersetzung nur so von Göttern wimmelt, wo im gesprochenen Original keine Spur davon ist. Das nennt man Verschmelzung der Kulturen oder gegenseitige Befruchtung: bei der Betrachtung einer Szene der Bam­baragesellschaft fügt der europäische Betrachter einfach ein paar Wunschgöt­ter dazu. Dies wird umso witziger, weil in der ORF-Einleitung in der Serie Kunststücke gesagt wird: Yeelen, das ist eine Kampfansage an alle Klischees, die wir gegenüber Afrika nun einmal haben.

Bereits auf der Ebene der gefilterten Information hätte der deutschsprachige Konsument nur mehr einen sehr beschränkten Zugang zum Film. Gerade durch seine tiefen Gedanken, zu deren Verständnis ein Minimum an Kultur­kenntnis notwendig ist, schreit dieser Film geradezu nach Erklärungen, die z.B. in einer Einleitung gebracht werden könnten:

In diesem Film gibt es z.B. eine absolute Schlüsselszene, die sich vier- oder fünfmal wiederholt und zwar jedesmal in Zusammenhang mit der Verfolgung des jungen Mannes durch seinen Onkel. In dieser Schlüsselszene wird ein kleiner Junge gezeigt, der in einen Wald hineingeht und an einer Statue eine Ziege anbindet.

Ich habe weder in einer inländischen noch in einer ausländischen Beschrei­bung des Films jemals eine Erklärung dafür gelesen. Tatsächlich soll diese Szene folgende ganz wichtige Zusatzinformation zum Verständnis des Filmes ausdrücken:

Die Bambaragesellschaft kennt verschiedene Geheimbünde, jeder dieser Geheimbünde trifft sich in einem spezifischen Wald. Der Zugang in diesen Wald ist Nichteingeweihten bei schwerster Bestrafung verboten. Da nur Beschnit­tene, also ab etwa 13-14 Jahren, in diesen Geheimbund aufgenommen werden, und daher nur sie in den Wald hineingehen dürfen, ist der kleine Junge offensichtlich dabei, ein Sakrileg zu begehen. Diese wiederkehrende Handlung steht somit als Symbol für die Kernaussage des Films: die Nicht­unterordnung eines Jugendlichen unter die Autorität der Alten oder der Tradi­tionen, das sich Aneignen von geheimen Informationen, auf die man keinen Anspruch hat und die daraus resultierende Verfolgung durch die Hüter der Ord­nung.

Als Laie frage ich mich, warum man bei einer so häufig wieder­kehrenden Szene, von der ich einmal postuliere, daß sie nur die wenigsten verstanden haben, keine zusätzlichen Informationen einholt, sei es beim Regisseur, bei Afrikanern aus der spezifischen Kultur, bei Ethnologen, was diese oder andere Szenen bedeuten könnten.

Ist es da ein Wunder, wenn die Sprecherin des NDR bei der Vorstellung des Films sagt, daß es im Film um einen jungen Mann gehe. Sein Vater solle ihm Geheimnisse anvertrauen, wie es die Tradition verlange und ein mörderischer Konflikt breche aus. Also eigentlich haargenau das Gegenteil dessen, wovon der Film handelt.

Und man könnte hier viele vergleichbare Szenen anführen, wo wichtige Zusatzinformationen für ein besseres Verständnis fehlen: nicht direktes Sprechen, Geist etc.

Vielleicht ist es einfach der Zeitmangel, der eine intensivere Beschäftigung mit einem Film nicht erlaubt, vielleicht aber, und für viele mag das zutreffen, ist das aber auch ein Mangel an Glaube daran, daß Afrika etwas Profundes zu bieten hätte, ein Mangel an Glaube daran, daß Afrika auch selbst denkt und Geschichte gestaltet.

Warum glaubt man eigentlich, bei Filmen aus Afrika nicht nachdenken oder nachfragen zu müssen, wie etwas gemeint ist?

Aber warum sollte das anders sein als auch heute noch in nahezu allen an­deren Formen der Darstellung des Kontinents.

Da wird von den meisten Berichterstattern über Afrika ein Bild einer ungemein stati­schen Gesellschaft gezeichnet, der Veränderung fremd ist, da haben wir auch bei gelehrten Analytikern eine nahezu vollständige Absenz der Sozialwissen­schaften. Da frägt man sich nicht, wie es zu einem afrikanischen Phänomen kommt, sondern begnügt sich mit der einfachen Antwort: Es ist nunmal so:

z.B. wenn ein Rennerpreisträger von unziviliserten Staaten spricht (und nicht von Führern, die eine aggressive Politik, ermöglicht durch bestimmte sozioökonomische Zustände, verfolgen); der ORF-Experte für Afrika, der davon spricht, daß sich die afrikanischen Staats­chefs wie traditionelle Häuptlinge verhielten (dabei sind die meisten afrikani­schen Gesellschaften eher basisdemokratisch und die Chefs unterliegen zahl­reichen Kontrollmechanismen, was sie erheblich von gewohnten Diktaturen unterscheidet), da präsentierte man Idi Amin oder Jean Bedel Bokassa als afrikanische Phänomene, ohne darauf hinzuweisen, daß sie, ähnlich wie Hitler, Khomenei, Stalin, um frühkindlich gestörte Typen handelt, die sehr ähnliche erste Lebenserfahrungen machten. Da werden die Mehrzahl interethnischer Konflikte in Afrika als Stammeskriege beschrieben, obwohl ein offener Beob­achter sofort sehen müßte, daß hier zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen (z.B. Nomaden gegen seßhafte Bauern) einen Wirtschafts­krieg um knapper gewordene Ressourcen ausfechten und vieles mehr.

Wir fragen nicht nach bei Afrika. Unser Bild Afrikas ähnelt oft noch historischen Bildern wie dem Bild vom mehr oder weniger Edlen Wilden. Er ist es und er bleibt es.

Und weil wir im Film Yeelen  Informationen – wenn überhaupt – teilweise nur sehr verfälscht erhalten, gehen wir – und damit meine ich auch die Mehrheit der Kritiker – ahnungslos an der Substanz des Filmes vorbei.  Wir erkennen kaum etwas vom Inhalt und stützen uns nahezu ausschließlich auf ästhetische Kategorien, wie in der einleitenden ORF-Einführung zu diesem Film:

„Yeelen, ein Film von einer Schönheit, die sich nicht mit Worten beschreiben läßt. Yeelen, ein Film, der sich majestätisch über den tristen Kinoalltag hinweghebt. Ein Werk voll Schönheit und Tiefe, voll Innigkeit und sanftem Humor, bei dem der Europäer längst verschüttete Wurzeln erkennen kann. …..“

„Ein Werk, das zugleich alle unsere Sinne erfüllt und uns zwingt, alle Film­kunst neu zu überdenken. Es fand seinen Weg direkt in die Herzen und Sinne der Zuseher. Warum? Yeelen, das ist eine Kampfansage an alle Clichés, die wir gegenüber Afrika nun einmal haben. Yeelen räumt mit den Clichées auf, ohne das zu verlieren, was die unverwechselbare Besonderheit des afrikanischen Films ausmacht, nämlich eine naive und primitive Ursprünglichkeit. Die afrika­nische Geschichte, bis jetzt nur wenigen und wenig bekannt, ist erstmals auf der Leinwand und voll präsent. Cissés Darstellungen auf der Leinwand haben eine Anmut der Bewegungen und eine Sinnlichkeit, die ihresgleichen schlicht sucht. Nicht die Ästhetisierung der Welt oder ihre Verwandlung in Ansichtskar­tenromantik, sondern die unmittelbare Einheit der Körper mit ihrer Umgebung und in ihrer Umgebung, das ist das Wesentliche. Also mit einem Wort, der Mensch, wenn er durch den Busch geht, geht er auch durch die Filmeinstel­lung. Ein Blick genügt. Die Schönheit der Schauspieler hat die Eleganz derer, die sich selbst genug sind.“

Haben Sie in dieser Beschreibung einen Hinweis auf die Handlung bemerkt? Könnte irgendjemand aus dieser Darstellung diesen Film erkennen? Diese wortgewaltige Beschreibung enthält keinerlei Hin­weis auf das Thema, sondern spricht ausschließlich von ästhetischen Momen­ten. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß der Journalist damit seine eigene Hilflosigkeit übertünchen wollte, weil ihm der Inhalt des Filmes absolut unklar war.

Der Kommentar behauptet, sich gegen alle Clichés, also Vorurteile, zu wenden, die gegenüber Afrika existieren und verstärkt sie sogar z.B. mit dem Ausdruck „primitive Ursprünglichkeit“. Das ist fast schon fortgeschrittenes Kabarett.

Afrika, reduziert aus seine Ästhetik, auf sein Gefühl, von dem Inhalte nicht zu erwarten sind, das ist auch in gewissen Maße die Frucht des Wirkens des großen afrikanischen Dichters und Politikers, Leopold Sedar Senghor, der vor­schnell dem Westen das Denken und Afrika das Gefühl überlassen hat  wie in Ausschnitten des folgenden Gedichts:

daß wir einst hier rufen bei der Wiedergeburt der Welt,

als jene Hefe, derer das weiße Mehl bedarf.

Denn wer sonst sollte die an Maschinen und an Kanonen gestorbene Welt den Rhythmus lehren?

Wer sollte denn sonst den Freudenschrei ausstoßen, der Tote und Waisen bei neuer Dämmerung weckt?

Sagt, wer gäbe denn sonst den Menschen mit der zerfetzten Hoffnung das Lebensgedächtnis wieder?

Sie nennen uns Menschen des Todes.

Doch sind wir die Menschen des Tanzes, deren Füße nur Kraft gewinnen, wenn sie den harten Boden klopfen.

Mein Bild von Afrika und den Afrikanern ist ein anderes und ich glaube, das ist auch die Meinung vieler Afrikaner. Ich möchte daher an uns folgenden Ap­pell richten:

Lernen wir lesen, hören, fühlen,

wenn wir ins afrikanische Kino eintreten

und denken

Geben wir uns nicht zufrieden

mit den ästhetischen Kategorien

die leicht erkennbar sind

Nicht Afrika ist statisch und ahistorisch, sondern unser Zugang zu diesem Kontinent scheint es zu sein.

Umso wichtiger ist es daher, die Regisseure und Skriptschreiber afrikani­scher Filme intensiv zu ihren Absichten und Problemen zu befragen. Darin liegt für mich auch die Wichtigkeit von Filmen wie Ouaga, weil sie Afrikanern das Wort einräumen, selbst über ihre Arbeit zu sprechen.

 

(Vortrag von Erwin Ebermann zur Vorstellung des Films von Thomas Schneider über die Filmfestspiele FESPACO, Burkina Faso. Herbst 1993)

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